Push it

BBC experimentiert mit On-Demand-TV.

Die BBC probiert mal wieder etwas aus: 300 Leute bekommen eine Box neben den Fernseher. Die Tester können den Festplattenrekorder mit 50 Stunden eigenen Wunschprogrammierungen füllen, weitere 50 Stunden sind BBC-Inhalte, die automatisch für sieben Tage auf der Box landen. Damit findet die Auswahl, was man schaut, nicht mehr wie beim traditionellen programmierten Rekorder vor der Sendung statt, sondern bis zu eine Woche danach, allerdings mit Vorauswahl des Anbieters. (Via MediaGuardian, Pressemitteilungen dazu von der BBC und Cabot Communications.)

Inhalte vom Himmel

Wortfetzen vom Mainzer Mediendisput.

Die Zitate aus einer ausführlichen Rede, die es in eine Agenturmeldung schaffen, sind oftmals nicht unbedingt die repräsentativsten, sondern die knackigsten. Diesen Funken Hoffnung bewahre ich mir, wenn ich lese, was der Hamburger Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg auf dem 11. Mainzer Mediendisput gesagt haben soll. (Der Mediendisput wird von der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, der dortigen Landesmedienanstalt und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Medienpartner sind SWR und ZDF, es mischen aber auch einige führende Leute vom Netzwerk Recherche mit.)

Laut dpa sagte Weischenberg, dass viele neue Medienangebote im Netz zu Unrecht als Gratisleistungen gälten. „Man tut, als wenn die Inhalte vom Himmel fallen würden.“ Tatsächlich, so Weischenberg, sei ein großer Teil des Webangebots nichts anderes als ein „Recycling auf der Basis von geistigem Diebstahl“. In dem Stil geht es weiter — von der potenziellen Übernahme der Wikipedia durch Google (?!) bis zum misslungenen Vergleich des Web 2.0 mit einem „interaktiven U-Boot“ (?!). Ich befürchte, dass er dafür viel Applaus bekommen hat.

Viel erfrischender ist das, was der designierte ARD-Vorsitzende Fritz Raff erzählt hat. Die ARD habe vielleicht „durch Behäbigkeit und Verkrustung“ jüngere, kreative Mitarbeiter abgeschreckt. Die Digitalisierung biete auch die Chance, wieder „Leute ausprobieren und machen zu lassen“. Und dann die kleine Drohung, dass die ARD auf der Höhe der Zeit bleiben müsse. Andernfalls werde „das öffentlich-rechtliche System in zehn Jahren marginalisiert“.

Disclaimer: Mein Arbeitgeber ist eine ARD-Anstalt, mithin ist meine Arroganz genetisch verankert.

Aufhänger

Tim Renner und der Hamburger Radioskandal.

„Solang es hierzulande Radiomacher gibt“, schreibt uns Tim Renner bei SpOn, „werden sie sich erzählen, was im Juli 1999 in Hamburg um kurz nach Sechs in der Früh geschah.“ Kurzfassung: Morningshow-Moderator verschanzt sich im Studio, spielt nur noch „No Milk Today“ und „Dancing Queen“, bis der Geschäftsführer mittels Lastenaufzug ins Studio kommt.

Zur Erinnerung: Alle Verantwortlichen waren weit weg auf einer Tagung. Und nach der völlig überraschenden Aktion, bei dem sich ein Titel aus den 60ern und einer aus den 70ern abwechselten, entschloss sich der Sender damals spontan, die schon geplante Neuformatierung zum Oldie-Programm mit Hits der 60er und 70er vorzuziehen. Für Hamburger: Das war, nachdem sich OK Radio in OK Magic, dann in Magic FM und dann in Mix 95.0 umbenannt hatte. Also bevor sie fun fun radio, fun fun 95 und Oldie 95 hießen. Ein Schelm, wer und so weiter.

Kunstpopradio

Eins Live Kunst startet am 4. Oktober.

Schon seit Mitte 2004 sendet der WDR über DAB-Digitalradio und Internet Eins Live diggi: HipHop, RnB, Dance, Rock und Pop — aber ohne Moderation. Nur zu jeder vollen Stunden werden Nachrichten, Wetter und Verkehr serviert.

Vor einem Monat ist KIRAKA dazugekommen, Kinderradio übers Netz — der WDR nennt es „Webchannel“. Das Programm speist sich vor allem aus den WDR-5-Kindersendungen Lilipuz und Bärenbude.

Und am Mittwoch, dem 4. Oktober, startet der WDR ein weiteres Netzradio, das noch spannender klingt: Eins Live Kunst (MP3-Stream). Die Grundannahme dieses Programms ist, dass nicht jeder, der sich für Literatur, Theater und Kunst interessiert, ausschließlich Klassik oder maximal Jazz hören will. Und dass tatsächlich mancher, der gern Pop hört, auch etwas mit Wortbeiträgen anfangen kann. Eins Live Kunst kombiniert Pop mit Beiträgen aus den Kultursendungen Mosaik, Resonanzen, Scala, Cosmo und Piazza. Werktäglich gibt es eine neue, von Eins-Live-Moderatoren präsentierte Vier-Stunden-Sendung, die danach wiederholt wird.

Nachtrag: Alle ARD-Streams (via Polarluft).

Future Media and Technology

Ein erster Blick auf die BBC-Umstrukturierung.

Eine Weile wurde gerätselt, was bei der BBC-Umstrukturierung aus der Direktion „New Media and Technology“ wird. Der Spagat: Einerseits ist das Internet ja schon kein Neues Medium mehr und soll ja gerade Teil des Alltag der BBC sein. Das spräche dafür, die Onliner in die normalen Redaktionen zu setzen. Andererseits hat diese Direktion in den letzten Jahren einfach Erstaunliches geleistet. Die BBC, mit 25.000 Beschäftigten nicht gerade ein kleines Start-up, gehört in der Verlagsbranche (laut Deloitte) zu den am meisten bewunderten „digitalen Unternehmen“. Früher als andere große Medienhäuser hat die BBC auf RSS-Feeds und Podcasts gesetzt; sehr vorzeigbar sind beispielsweise das Entwicklernetzwerk backstage.bbc.co.uk, die echten Blogs, die Pläne für persönliches Radio und vor allem die Überlegungen, wie die Medienrevolution zurückschlägt auf die Inhalte. Und diese NM&T-Abteilung soll zerschlagen werden?

Nun also doch nicht, im Gegenteil. Vorher gab es „New Media and Technology“ mit einem Budget von 250 Millionen Pfund (!), also etwa 360 Millionen Euro, und 650 Beschäftigten. Stattdessen gibt es nun „Future Media and Technology“ (FM&T) mit einem Budget von etwa 390 Millionen Pfund (!!), also 570 Millionen Euro, und bis zu 1.500 Mitarbeitern. Damit will die BBC unter anderem die Digitalisierung ihrer riesigen Archive vorantreiben: Die entsprechende Abteilung mit 450 Leuten ist nun Teil von „Future Media and Technology“.

Die Budget-Zahlen stammen aus einem Guardian-Artikel, in dem auch das bisherige Neue-Medien-Budget aufgeschlüsselt wird: Von den 360 Millionen Euro gehen über 100 Millionen Euro in die Website bbc.co.uk, gut 50 Millionen Euro in mobile Dienste und interaktives Fernsehen und gut 200 Millionen Euro in den Bereich Technologie. Nach dem neuen Modell soll FM&T zentral für die technologische Entwicklung bei der BBC zuständig sein. Im Pressemitteilungs-Jargon heißt das dann: „FM&T will manage all new media platforms and gateways like bbc.co.uk, the emerging i-player and web 2.0, as well as metadata, search and navigation and BBC Information & Archives which is vital to opening up the BBC’s archives.“

Die Zuständigkeit (und das Budget) für die Online-Sendungsbegleitung im engeren Sinne geht an die Produzenten der jeweiligen Programme. Aber auch dort hat BBC-Generaldirektor Mark Thompson die Strukturen kräftig verändert: Sport- und Nachrichten-Direktion kommen unter das gemeinsame Dach „Journalism“. Aus den drei Direktionen BBC Television, Factual & Learning sowie Drama, Entertainment & Children wird die Gruppe „BBC Vision“. Für Radio und Podcasts zuständig ist künftig „Audio & Music“.

So fernöstlich-harmonisch wie in diesem offiziellen Diagramm wird es natürlich niemals zugehen:

Offizielles BBC-Struktur-Diagramm

(Kommentare zum Diagramm bei Flickr.)

Kleiner Clou zum Schluss: „Future Media and Technology“ schickt in die drei neuen Gruppen Journalism, BBC Vision und Audio & Music jeweils einen Controller „who will make sure that each group gets the talent and support it needs, and who will help make sure that our key future media technology projects work in tandem with our editorial vision and plans“ (Thompson). Der BBC-Generaldirektor lädt übrigens am Ende seiner Ansprache an die Beschäftigten alle, die der Creative-Future-Vision nichts abgewinnen können, zum Gehen ein.

Nachtrag: Tom Coates, der eine Weile an spannenden BBC-Onlineprojekten (aber außerhalb der Neue-Medien-Abteilung) gearbeitet hat, ist sehr skeptisch — von großen Ankündigungen sei wenig geblieben. Jeff Jarvis fordert dagegen, Thompsons Rede in jeder Zeitungsredaktion in den USA zu halten.

Mehr zum Thema:
Guardian: Highfield’s spending power soars at BBC
Guardian: New BBC divisions at a glance
BBC News: BBC restructures for digital age
BBC-Pressestelle: BBC reorganises for an on-demand Creative Future
BBC-Generaldirektor Mark Thompson: Delivering Creative Future