Ärgerliches

Die Netzsperren-Show.

Schon die Bezeichnung Stasi 2.0 mochte ich nie: Wer das Thema Vorratsdatenspeicherung noch nicht kannte, verstand es dadurch nicht besser; wer den Vergleich zwischen DDR damals und Bundesrepublik heute für überzogen hielt, war für das Anliegen gleich verloren.

Noch schlechter ist allerdings Zensursula. Es klingt nicht nur ausgesprochen dämlich, sondern enthält auch das überstrapazierte Wort „Zensur“. Wenn mal ein Kommentar nicht freigeschaltet wird, wenn der eigene Leserbrief nicht gedruckt wird, wenn ein Provider einem Kunden kündigt und die Domain im Transit-Status landet — sofort wird „Zensur!“ geschrien. Selbst wenn es diesmal zur Abwechslung sogar korrekt wäre: Wäre ich Ursula von der Leyen, würde ich mich über die Steilvorlage freuen — jemand hat also etwas dagegen, dass Bilder von Kindesmissbrauch zensiert werden? Wer wäre da nicht auf der Seite der Zensoren?

Ich möchte nicht, dass der Zugang zu Webservern mit kinderpornografischen Inhalten gesperrt wird — ich möchte, dass die Server selbst geschlossen werden und die Anbieter strafrechtlich verfolgt werden. Nach allem, was seriöse Medien aus seriösen Quellen berichten, spielen Webserver zwar kaum eine Rolle beim Handel mit diesem Material, aber wo es sie gibt, müssen diese Inhalte selbstverständlich auch aus dem Web verschwinden.

Ich ärgere mich darüber, dass Ursula von der Leyen so tut, als würde ihr Plan den Zugang zu solchen Inhalten sperren. Ich ärgere mich darüber, dass sie so tut, als würde sie einen Markt austrocknen.

Ich ärgere mich sehr darüber, dass Ursula von der Leyen verkündet, die Sperre („die DNS-Sperre, das ist was Technisches“) könne nur von 20 Prozent der Internetnutzer umgangen werden, und dabei en passant alle technisch versierten Internetnutzer in einen Topf mit Kinderpornografie-Suchern wirft.

Selbst wer solche Netzsperren grundsätzlich befürwortet, sollte sich fragen, ob geheime BKA-Sperrlisten, die niemand überprüfen darf, eines Rechtsstaats würdig sind.

In jedem Fall muss einem klar sein, dass einmal eingerichtete Netzsperren Begehrlichkeiten wecken. Wenn es den Mechanismus schon gibt: Was ist mit illegalem Filesharing von Songs und Filmen oder mit illegalen Glücksspielangeboten? Was ist mit illegaler Produktpiraterie, was mit Rezepturen für explosive Stoffe? Natürlich können auch diese Sperren wieder umgangen werden — am Ende droht damit aber die Kriminalisierung des Umgehens und der Anleitungen zum Umgehen und der Links auf diese Anleitungen.

All das für eine billige Wahlkampf-Show. Das ärgert mich maßlos.

Nachtrag: Elektronische Bundestags-Petition gegen Netzsperren.

Offiziell nur beratend

Deutsches Statement zu ICANN, ITU & Co.

Es ist mal wieder Zeit für eine Dosis esoterische Internetpolitik:

Monika Ermert hat bei heise online über ein Statement der Bundesregierung zum Thema internationale Internetverwaltung berichtet. In dieser Erklärung trägt BMWi-Ministerialrat Peter Voss vor, Deutschland sei mehr oder weniger zufrieden mit den Ergebnissen der bisherigen Kooperationsmechanismen (ITU, ICANN und Internet Governance Forum). Ein Satz sticht hervor:

„As far as future decision-making processes are concerned, Germany would welcome if the influence of governments on international public policy matters was greater than having – at least officially – merely an advisory function.“

Der Einschub „at least officially“ sagt viel darüber aus, wie (nicht nur) die deutsche Regierung die Rolle des Beratenden Regierungskomitees GAC in der ICANN-Struktur sieht. Besonders deutlich war das zum Beispiel bei der ICANN-Entscheidung gegen eine Rotlicht-Domain .xxx zu sehen.

Das Statement endet übrigens mit der Hoffnung „that in the future the various organisations that are active in the field of Internet governance will cooperate more closely rather than work side by side or even against each other“. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Wäre ganz schön, wenn ICANN und ITU nicht mehr abgrundtief verfeindet wären. So viel hat sich in den vergangenen Jahren also doch nicht geändert (die Vorgeschichte, Stand 2002).

Technikhörigkeit

Podcast-Missverständnisse in der FAZ.

Manchmal kann ein Schlusssatz einen ganzen Artikel beschädigen. In seinem FAZ-Porträt des designierten Radio-Bremen-Intendanten Jan Metzger versucht Robert von Lucius ein salomonisches Einerseits-andererseits-Ende. Metzger habe Verständnis für technische Möglichkeiten, und das sei bei Radio Bremen besonders wichtig. Dann folgt dieser Satz:

„Er ist indes nicht technikhörig: Bei einer Debatte über Videojournalismus und Bloggen bezeichnete er Podcast und Videocast als neue Produktionsmittel ‚für eine Handvoll Interessierter‘ — Menschen neigten dazu, sich den klassischen Medien zuzuwenden, da sie die Unübersichtlichkeit sortierten.“

Wo anfangen? Audio- und Video-Podcasts erreichen natürlich weitaus mehr als eine Handvoll Interessierter: Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2008 waren es 4 Prozent (Audio-Podcasts) bzw. 8 Prozent (Video-Podcasts) der Deutschen ab 14 Jahren. Wir reden hier schon über ein paar Millionen mindestens gelegentliche Nutzer.

Die Einordnung von Podcasts als Produktionsmittel ist ebenso fragwürdig wie der angeführte Gegensatz zwischen Podcasts und klassischen Medien: Es gibt nicht nur etliche Podcast-Angebote klassischer Medien. Ein Blick auf die aktuellen iTunes-Podcastcharts zeigt, dass sogar der Großteil der erfolgreichsten Podcasts von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern stammt (Store-Link für iTunes-Nutzer). In diesen Fällen ist der Podcast-Feed meist schlicht ein zusätzlicher Übertragungsweg. Und warum trägt ein Radiobeitrag, wenn er als Podcast angeboten wird, weniger zum Lichten der Unübersichtlichkeit bei?

Ob die angebliche Äußerung Metzgers aus dem Kontext gerissen, missverstanden oder genau so gefallen ist, ist da schon fast egal: Auf einer Medienseite sollte so etwas nicht beifällig als Indiz für fehlende Technikhörigkeit herhalten.

1.170 Objekte

Zum Start der World Digital Library.

Kartenausschnitt
Ausschnitt einer Deutschland-Karte von 1782

World Digital Library — geht es nicht eine Nummer kleiner? Ja, es sind spannende Dinge dabei: eine Karte der angeblichen Insel Kalifornien, australische Weltkriegsposter, eine Dudelsackversion von „Amazing Grace“. Aber es sind dann eben doch nur 151 Bücher, 37 Zeitschriften, 306 Karten, 124 Manuskripte, elf Filme, 536 Drucke und Fotos sowie fünf Tonaufnahmen: noch ein bisschen wenig für eine digitale Weltbibliothek.

Dem von Unesco und US-Kongressbibliothek initiierten Projekt geht es offensichtlich auch nicht darum, Werke im Volltext zu erschließen: Wer sich ein Buch durchlesen will, lädt es sich lieber komplett als PDF-Datei herunter. Dafür, dass an dem Projekt unterschiedlichste Bibliotheken und Archive auf der ganzen Welt beteiligt waren, ist das Ergebnis aber nutzerfreundlich gestaltet und erschlossen.

Eine Konkurrenz zu Google und Europeana solle das Projekt nicht sein, sagen die Initiatoren. Google zählt zu den Sponsoren der World Digital Library, hat aber mit Google Book Search in der Tat ganz anderes im Sinn. Das EU-Projekt Europeana ist zwar zahlenmäßig riesengroß: Vier Millionen Bilder, Texte, Audios und Videos sollen dort verlinkt sein. Derzeit ist Europeana aber kaum mehr als ein wirrer Linkkatalog, der kaum Kontext bietet, ständig an Sprachbarrieren stößt und den Benutzer ratlos hinterlässt. Das macht das WDL-Projekt deutlich besser: Jedes einzelne Objekt wird erläutert, und das gleich in sieben Sprachen.