Die Macht der Schachtel

Neue Methoden zur Radio-Quotenmessung.

Im Paradies der Unwissenheit waren die Onlinejournalisten nie: Jeder Seitenabruf, jedes Umherklicken landet im Logfile. Beim Fernsehen zeichnet das GfK-Meter säuberlich auf, wer wann wohin zappt. Bei Zeitungsmachern heißt das Schreckgespenst Readerscan, mit dem die Leser bis zur letzten gelesenen Zeile erforscht werden. Anders beim Radio — da wird halbjährlich per Telefonumfrage ermittelt, ob und wann ein Hörfunkprogramm schon mal gehört worden ist. Da die Befrager Sendernamen und Slogans als Erinnerungsstütze nutzen, kann beides gar nicht oft genug am Tag genannt werden. Einzelnes in Sendungen erfasst die Media-Analyse dagegen nicht.

Vor allem in kleineren Ländern ist die Methodik da schon weiter. In der Schweiz bekommen die Testpersonen schon seit fünf Jahren eine kleine blaue Uhr, die in jeder Minute vier Sekunden lang per Mikrofon die Umgebungsgeräusche aufzeichnet — aus Datenschutzgründen nur in schlechter Qualität. Nach etwa einer Woche schicken die Tester diese Radiowatch zurück, und nach dem Computervergleich mit dem tatsächlich gesendeten Hörfunkprogramm erhalten die Medienforscher feinste Nutzungsdaten. Das Ergebnis nach der Einführung 2001: Mehr Menschen hören mehr Radiosender als zuvor angenommen. Wer sein Programm via Internet-Stream, Podcast oder überhaupt mittels Kopfhörer konsumiert, wird aber nicht erfasst.

Hand mit PPM-Box Norwegen setzt seit Anfang 2006 auf ein anderes System namens Portable People Meter (PPM). Die Testperson nimmt beim Aufstehen eine kleine Elektronikschachtel aus ihrer Ladebucht und schleppt sie den ganzen Tag lang mit sich herum. Solange sich der Tester bewegt, lauscht das Gerät auf Signale, die alle fünf Sekunden von den Rundfunkanbietern ausgesandt werden. Per Telefonleitung gelangen die Daten zur Auswertungsstelle. Da die für Menschen unhörbaren Signale ohnehin einen Code mit Zeit und Programm enthalten, bringt auch zeitversetztes Hören etwa von Podcasts das PPM-System nicht durcheinander. Was im Kopfhörer abläuft, weiß das Gerät dank eines Adapters für die Kopfhörerbuchse.

Seit gut zwei Wochen liegen in Norwegen die ersten Daten vor, und sie ähneln den Schweizer Erfahrungen. Die Hörerzahlen sind nach der neuen Methodik bei allen Programmen gestiegen, bei einem Anbieter haben sie sich sogar verdoppelt. Das Medium Radio wird nach der PPM-Auswertung häufiger genutzt als Fernsehen, gesunken ist dagegen wiederum die Nutzungsdauer.

(Ein Argument gegen diese neue Art der Nutzungsmessung wurde übrigens sowohl in der Schweiz als auch in Norwegen debattiert: der unfreiwillige Radiohörer, dessen Programmdirektor der Taxifahrer ist. Allerdings fällt es schwer zu glauben, dass genügend Menschen stundenlang im Taxi unterwegs sind, um die Statistik spürbar zu verfälschen.)

Die Szene

Notizen von Besser Online 2006.

Einschalt-Symbol aus dem Besser-Online-Logo Eine kleine Rand-Bemerkung vom DJV-Onlinejournalisten-Treffen BesserOnline. Der Chefredakteur der Netzeitung, Michael Maier, erwähnte in der Eröffnungsdiskussion das Projekt Readers Edition. Gestartet werde mit 20 Moderatoren, die Netzeitung arbeite dabei „stark mit der Bloggerszene zusammen“. Da sind sie wieder: die Blogger und ihre Szene. Vertreten wurden die auf dem Podium übrigens von Don Alphonso, dessen Freude über den Vergleich von Weblogs und Stammtischen nun einmal nicht jeder Blogger teilt. (Mehr zu Readers Edition in zwei Postings von Robert Basic, Vorab-Screenshots und bald auch ein Interview bei ojour.de.)

Eine positive Überraschung waren die vielen Handzeichen, als Matthias Spielkamp sich während seines exzellenten Vortrags immer mal wieder erkundigte, wer denn diese oder jene Web-2.0-Technik kenne oder persönlich nutze. Mein Eindruck ist, dass sich mehr und mehr Kollegen weder von den Buzzwords noch von der pauschalen Buzzword-Kritik schrecken lassen. Und Jan-Michael Ihl hat in seinem Forum auch noch einmal gezeigt, wie schnell im Bedarfsfall ein Blog auf dem eigenen Server eingerichtet ist.

(Eine Haftnotiz für die Macher aller künftiger Kongresse über Digitales: Bitte mehr Steckdosen. Viel mehr Steckdosen. Things go better with Strom. Aber davon abgesehen Applaus für die Organisatoren, die sogar auf die Wetterlage mit der Ausgabe eines Regen-Programms reagierten.)

Vom Mittagessen blieben zwei Links: Zum einen die Initiative Nachrichtenaufklärung, die derzeit wieder auf der Suche nach relevanten Themen ist, die von den traditionellen Medien nicht aufgegriffen werden. Entspricht der Vorschlag den Kriterien der Initiative, landet er über den Umweg der Rangliste vernachlässigter Themen doch in den Redaktionen. (Die Alternative zum Einreichen von Vorschlägen ist natürlich, selbst zu recherchieren und darüber zu bloggen.)

Zum anderen die vierten Wizards of OS, auf die mir Matthias und Meike noch einmal große Lust gemacht haben. Die inspirierende Berliner Konferenzserie über freies Wissen werde ich auch in diesem Jahr wieder verpassen, aber empfehle sie dringend allen netzpolitisch interessierten Menschen: 14. bis 16. September, Columbia-Halle, Berlin.

Nachtrag: Mehr zu BesserOnline bei Don Alphonso, Temmo Bosse, Alexander Hüsing, Christiane Link, Carsten Lißmann, MamasAtWorkLog und Andreas Streim. Und irgendwie auch bei Torsten Kleinz.

Bleibt so

Die angebliche IANA-Ausschreibung ist keine.

Ausschnitt aus dem IANA-Logo (Nur was für Netzpolitik-Freaks:) IANA ist das technische Herz der Netzverwaltung ICANN und unter anderem für die Koordinierung der Rootzone des Domainnamensystems zuständig. Und nun hat das US-Handelsministerium IANA angeblich neu ausgeschrieben, heißt es derzeit bei Heise Online. Nicht ganz: Das US-Handelsministerium kündigt in dem Dokument nur an, den Vertrag über die IANA-Funktion wie bisher mit ICANN zu verlängern, ohne Ausschreibung. Das ist nach dem US-Vergaberecht unter anderem möglich, wenn aus Sicht der Regierung überhaupt nur ein Anbieter in Frage kommt. Selbst wenn sich Mitbewerber auf diese „Presolicitation Notice“ hin melden, muss die Regierung den IANA-Vertrag nicht ausschreiben.