Monika Ermert liefert bei Heise Online ein Update aus Tunis. Was sie schreibt, klingt nicht danach, als sei der WSIS-Gipfel einer Lösung näher. Den kursierenden Dokumenten und den Äußerungen des Tagungsleiters Masood Khan zufolge ist in Sachen Internet Governance allein eines einigermaßen sicher: das Forum, an dem alle Seiten beteiligt werden sollen, ohne bindende Entscheidungen treffen zu können und ohne bestehende Organisationen zu ersetzen.
Dem heutigen Spiegel ist der WSIS-Streit ein Artikel wert, der auch bei Spiegel Online zu finden ist. Schon die Überschrift macht deutlich, wohin die Reise geht: Online lautet sie „Wie die USA die Weltherrschaft im Web verteidigen“, auf Papier „www.wer-regiert-das-netz.de“ (die Domain gehört übrigens Kaffee Weltrevolution Online). Leser des DW-Interviews mit .de-Chefin Dolderer wissen es besser: Die angebliche Weltherrschaft könnte schnell zusammenbrechen, sollte die USA tatsächlich von ihr Gebrauch machen. Selbiges gilt für den SZ-Artikel Machtkampf ums Internet.
(Da ja auf dem jonet-Tag die mangelnde Meinungsfreudigkeit bemängelt wurde:) Die Gründe, die für den Status quo unter US-amerikanischer Weltherrschaft sprechen, überwiegen meiner Ansicht nach alles, was für eine führende Rolle der UN spricht. Man muss nicht gleich mit den Zensurbemühungen Irans oder Kubas kommen, es reicht schon die Intransparenz und Bürokratie des WSIS-Prozesses selbst. Vor allem wirkt die derzeit fragmentierte Internetverwaltung zumindest als System der „checks and balances“. Für die Internationalisierung sprechen hauptsächlich symbolische Gründe, für den Status quo hauptsächlich praktische Argumente — Gerede über die böse Weltherrschaft der USA hilft da nicht weiter. Die EU-Staaten haben einen äußerst schwammigen Kompromissvorschlag ins Gespräch gebracht, und das Spiegel-Interview mit EU-Medienkommissarin Viviane Reding macht noch einmal deutlich, wie schwammig das „neue Kooperationsmodell“ ist. Die Zeit arbeitet auf dem Gipfel eher für die USA. Außer dem Status quo — nicht das Schlechteste — wäre eine Einigung denkbar, die bei den Länderdomains die formale Aufsichtsrolle der Regierungen stärkt, aber im Alltagsgeschäft alles beim alten belässt.
Eine gründliche und intelligente Darstellung der Problematik liefert Kenneth Neil Cukier in Foreign Affairs, im Spiegel verzerrt als heftige Kritik an der US-Position dargestellt.
Nachtrag: Einen kleinen Einblick in die Geschehnisse in Tunis liefert die Liste der Room Documents. Das Word-Dokument 18 zeigt die Gemeinsamkeiten, auf die sich eine informelle Arbeitsgruppe unter kanadischer Leitung bis heute einigen konnte. Noch markieren aber einige eckige Klammern im Text die umstrittenen Passagen.