Militant oder terroristisch?

BBC-Nahost-Berichterstattung unter der Lupe.

Ausschnitt einer Karte der israelischen und palästinensischen Gebiete Der Auslandskorrespondent zu nah dran am Geschehen, die ferne Zentrale dagegen objektiv-distanziert? Bei der BBC ist es eher umgekehrt, zumindest scheint das in einem Bericht über den israelisch-palästinensischen Konflikt durch. Mit Inhaltsanalysen, qualitativen Interviews und repräsentativen Befragungen hat ein unabhängiges Panel im Auftrag des BBC-Kontrollgremiums versucht, die Unparteilichkeit der Berichterstattung zu beurteilen. Kritik kommt von beiden Seiten, aber zumindest die befragten Briten halten die BBC-Berichte für besonders unparteilich. Das Panel ist überwiegend zufrieden, sieht aber Raum für deutliche Verbesserung — mehr historischen Kontext, mehr Interpretation und Analyse.
Die interessantesten Studien als PDF-Dateien:

Rote Tücher

Spiegel Online über die BBC-Pläne.

Rotes Tuch Wenn Spiegel Online über Internet-Pläne der BBC berichtet, klingt es sehr häufig so, als sei der eigentliche Adressat die deutsche Medienpolitik — böse öffentlich-rechtliche Krake würgt arme kommerzielle Medien. Frank Patalong schreibt denn auch weniger darüber, wie die BBC auf den Wandel reagieren will, sondern darüber, ob die kommerziellen Medien das mögen oder nicht. Und das ist ein wenig ergänzungsbedürftig.

Wenn Patalong etwa aus dem „Guardian“ die Worte „aggressive Landnahme“ zitiert, wird nicht klar, dass die britische Zeitung hier selbst die Konkurrenz zitiert: „Last night, the BBC’s plans came under fire from commercial rivals which accused it of a ‚digital land grab‘.“ Genau das Gleiche passiert beim Zitat aus der „Daily Mail“, die BBC parke „ihre Panzer im Vorgarten der Konkurrenz“ — damit hat die Zeitung die Meinung der Konkurrenz wiedergegeben. Die „Sun“ wird korrekt Murdoch zugeordnet, bei der „Times“ fehlt der Hinweis.

Patalong schreibt gleich zu Anfang, die BBC wolle sich „zur Jugendmarke mausern“. Na ja: Die BBC hat angekündigt, ihre Inhalte für 12- bis 16-Jährige unter einen neuen Marke positionieren (wie CBeebies für jüngere und CBBC für ältere Kinder). Wird damit schon die gesamte BBC zur Jugendmarke?

Dann heißt es, die TV Licence werde „wird wie eine Steuer erhoben“ und an die BBC „durchgereicht“. Das ist seit 15 Jahren nicht mehr der Fall, seither erhebt die BBC wie in Deutschland Rundfunkgebühren.

Übernommen wird die Murdoch-Schelte, der BBC gehe es um einen Angriff auf Murdochs teuren Zukauf MySpace. Nur zum Vergleich die wörtliche Formulierung des BBC-Ziels: „Across the BBC, support new artists, new music and UK music so that the BBC becomes the destination for unsigned bands and young musicians to turn to for support“.

Patalong gibt die ITV-Forderung wieder, die BBC-Pläne müssten auf den Wert für die Öffentlichkeit überprüft werden. Der „Public value test“ ist ein britisches medienpolitisches Instrumentarium, das ohnehin zum Einsatz kommen wird, etwa für den Internet-TV-Player der BBC.

Die zweite digitale Welle

Vorbereitungen bei der BBC.

Radarbild eines Hurrikans What we’re seeing is a distinct second wave in digital.
In many ways, traditional media coped quite well with the first wave: they launched new linear channels and text-based websites and began to experiment with mobile phones and other portable devices.
Particularly after the dotcom bubble burst at the turn of the century, there was a real sense in traditional media that the digital thing had been nailed.
If you came late to the party, there was no need to worry – you could always dip into your pocket and buy a website or two.
Anyone who thinks that that’s the size of it – and there’s plenty of them across British broadcasting – has got a big shock coming.
I believe that this second digital wave will turn out to be far more disruptive than the first, that it will be fundamentally disruptive,

and that the foundations on which much of traditional media is built may be swept away entirely

BBC-Generaldirektor Mark Thompson (Hervorhebung Wortfeld)

Mehr dazu:
Gesamte Rede Thompsons
BBC Creative Future – erste Antworten auf die Herausforderungen
Details zu Creative Future
Liveblogging der internen Präsentation – von BBC-Blogger Paul Mason
Kritik von ITV und News Corporation

Find, Play and Share – BBC-Pläne für Programmangebot, Navigation, Katalogisierung
Die BBC rüstet sich für die digitale Zukunft – Gina Thomas, FAZ

Blogs bereichern die BBC

Tagebücher, Teamblogs, Blogprojekte.

Hellgraue Schrägstreifen auf dunkelgrauem Grund Schrägstreifen, natürlich: Auch die BBC verschließt sich nicht diesem simplem grafischen Mittel, der Welt zu sagen, dass sie Web-2.0-mäßig auf der Höhe der Zeit ist. Das BBC Blog Network bündelt die diversen Weblogs der Rundfunkanstalt unter einem Dach. Die Zahl ist noch nicht übermäßig groß, aber dafür die Bandbreite.

Die BBC-Disability-Lifestyle-Site Ouch bloggt, Radio-1-DJ Annie Mac bloggt, und der Politikchef bloggt schon lange. Mal sind es Teamblogs, mal ganze Blog-Projekte: afrikanische Tagebücher oder Wortmeldungen von schottischen Inseln etwa. Und im Newsnight-Blog schreibt Paul Mason live und ohne vorher zu fragen mit, was auf einer internen Präsentation zur kreativen Zukunft der BBC passiert. Mehr davon!

Bleak House 2005

Eine exzellente Dickens-Verfilmung.

Vom ersten Satz an, wo Nebel und Dämmerung und die übliche unmenschliche Staats=Justiz=Maschinerie mit einander identifiziert werden, steht kein Wort, keine Episode mehr umsonst : nie sind Zufall — oder, wenn Sie so wollen, Notwendigkeit ! — als so eisernes Netz über Menschen und Dinge gespannt worden. Scheinbar belanglose — nicht „Taten“, sondern Handgriffe ! — führen maschinenhaft, 500 Seiten später Verbrechen & Tod herbei, Glück oder Unglück Unbekannter, Nie=Gesehener, Nie=Bedachter. Um die 57 Hauptpersonen kreist unermüdlich der Planetoidenring der Nebengestalten, immer zunehmend an Zahl und Bedeutsamkeit.
[aus Arno Schmidts Funk-Essay über Charles Dickens — „Tom all alone’s / Bericht vom Nicht-Mörder“]

Ein 700-seitiger Dickens-Roman zerschreddert zu einer Soap mit 30-minütigen Folgen? Das geht, oh ja, sogar sehr gut. Schließlich hat ihn Charles Dickens in 19 Fortsetzungsheftchen herausgebracht und seine Leserschaft mit Cliffhangers zum Weiterlesen genötigt. Zwei Sätze zur Einführung: „Bleak House“ ist die Geschichte des ewig währenden Erbschaftsstreits Jarndyce v Jarndyce, der die Juristen gut ernährt und den potenziellen Erben nur Unheil bringt. Während der Prozess im Hintergrund auf der Stelle tritt, kommen einige der Beteiligten Geheimnissen auf die Spur, in die sie alle verwoben sind: die junge Waise Esther, der Gerichtsschreiber mit Pseudonym Nemo, Lady Dedlock, der düstere Anwalt von Sir Leicester Dedlock, der Straßenfeger Jo und viele andere.

Die Neuverfilmung von 2005 (BBC/WBGH) richtet sich mit ihrem bisweilen halsbrecherischen Tempo auch an die Zuschauer, für die ein Gerichtsprozess aus dem 19. Jahrhundert sonst eine schriftliche Einladung zum Wegzappen ist. Recht so — weg mit minutenlangen Kutschfahrten durch düstere Landschaften und Selbstgesprächen aus dem Off. Ja, die Kostüme und Kulissen waren bestimmt aufwändig und teuer, aber das Auge der Kamera gehört auf die Menschen gerichtet in diesem Drama um Liebe, Mord und viel Geld, um den Ruf einer Adelsfamilie, die Suche nach den eigenen Wurzeln und die krassen sozialen Missstände im England des 19. Jahrhunderts. Dank der exzellent umgesetzten Romanvorlage und Schauspielern in Hochform wird daraus eben keine Soap zum Mitschämen, sondern ein strahlender Beleg dafür, wie gut Fernsehen sein kann. Belohnt wurde dies erfreulicherweise nicht nur mit Lob der britischen Fernsehkritik, sondern auch mit vielen und begeisterten Zuschauern.

(Wer nicht warten mag, bekommt natürlich übers Netz auch in Deutschland die DVD mit einer einstündigen und 14 halbstündigen Folgen.)

Nachtrag: Giesbert Damaschke ist ebenfalls begeistert.