BBC-Web-Grundsätze

Fünfzehn nützliche Gebote.

Unsterbliche Links, mehrere Wege zu Inhalten, Barrierefreiheit — diese Liste soll die Orientierung für BBC 2.0* sein. Besonders gut gefällt mir das dritte Gebot:

Do not attempt to do everything yourselves: link to other high-quality sites instead. Your users will thank you. Use other people’s content and tools to enhance your site, and vice versa.

* „Versionsnummern sind pille-palle.“ (Nico Lumma, 2007)

Anglofrankreich

Akten aus dem britischen Nationalarchiv.

Eine erstaunliche Berichterstattungswelle lösen in Großbritannien regelmäßig die freigegebenen Dokumente aus den National Archives aus. Früher gab es im Regelfall nach 30 Jahren Einblick in die dort gelagerten Regierungsakten, allerdings konnte der Lordkanzler diese Frist im Einzelfall verlängern oder verkürzen (natürlich: verlängern!). Jetzt sind alle Dokumente dank Informationsfreiheitsgesetz im Prinzip zugänglich, wenn sie nicht unter die eine oder andere Ausnahme fallen.

Auf Grund solcher Aktenfreigaben berichtete die BBC etwa im Dezember 2005, was Großbritannien 1975 im Falle eines Nuklearkrieges vorhatte (Audio dazu: „This is the Wartime Broadcasting Service. This country has been attacked with nuclear weapons.“). Jetzt ist eine rosafarbene Akte mit dem Titel „Anglo-French Union“ aufgetaucht. Das war der radikale Vorschlag, mit dem der französische Premier Guy Mollet 1956 in London auftauchte: Großbritannien und Frankreich sollten sich zu einer Union zusammenschließen. Alternativ wollte Frankreich dem Commonwealth beitreten, mit der jungen Königin Elisabeth II. als Staatsoberhaupt.

Viel spannendes Material, das da in Archiven gehoben wird; hierzulande in Feuilleton-Serien wie „Wir vom Archiv“ (FAZ) weniger prominent als in Großbritannien.

Der Abgang

Protokolle aus einem Rundfunk-Aufsichtsgremium.

Was für Dramen sich hinter den Kulissen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten abspielen können!

Ich spreche natürlich vom Doppel-Rücktritt an der Spitze der BBC vor zwei Jahren — da ging es um die Berichterstattung über die Frage, ob die britische Regierung einen Bericht über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen manipuliert hat. Jetzt stellt sich nicht nur heraus, dass der BBC-Generaldirektor Greg Dyke unfreiwillig zurückgetreten ist. Er hat sogar versucht, seine Wiedereinsetzung zu erreichen. Dokumentiert wird das nun alles auf den Webseiten der BBC, in einem Artikel mit zwei Sitzungsprotokollen des Aufsichtsgremiums. Ein seltener Einblick in die Entscheidungsabläufe im Board of Governors zu einer ungewöhnlichen Zeit, der dem Guardian und der Your-Right-To-Know-Aktivistin Heather Brooke zu verdanken ist: Sie hatten die Veröffentlichung vor einem Schiedsgericht für Informationsfreiheit erzwungen.

Selbermaschinen

BBC-Kreativangebote im Überblick.

Create with the BBC ist eine exzellente Übersichtsseite, auf der die BBC derzeit 47 Stellen in ihrem Onlineangebot zeigt, an denen Nutzer mit Tönen, Bildern und Text selbst etwas schaffen können. Nur drei Beispiele für die Bandbreite:

  • Inside Lives, ein lokales Projekt, bei dem Nutzer aus Lincolnshire (oder Humberside oder Lancashire) Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Nicht zuhause, sondern bei einem Treffen gemeinsam mit anderen.
  • BBC 1 OneMusic Virtual Studio, eine Shockwave-basierte Website, auf der Nutzer mit Musiksamples, Sequenzer und Mischpult experimentieren können.
  • Die Dialektkarte aus dem Language Lab. Einfach mal als „theme“ rechts „What they wear“ auswählen und dann als „concept“ „child’s soft shoes worn for PE“. Ergebnis: Die Schuhe, die britische Kinder im Sportunterricht anziehen müssen, haben regional völlig unterschiedliche Namen. Und mit weiteren Sprechern wächst auch das Kartenmaterial.

Exklusive Kehrtwende

Namen, Fotos und Äußerungen von Tatverdächtigen.

Ethik im Journalismus, Abteilung Praxis: Bei ihren Recherchen zur jüngsten Mordserie in Ipswich spricht die BBC-Radioreporterin Trudi Barber mit einem 37-jährigen Supermarkt-Angestellten, der die Ermordeten kannte und dessen Haus die Polizei bereits durchsucht hat. Der Mann ist bereit zu einem Hintergrundgespräch, aber nicht zu einem Interview für das Radio. Dem Boulevardblatt Mirror gibt er ein Interview und wird kurz danach festgenommen — unter dem Verdacht des fünffachen Mordes.

Soll die BBC das aufgezeichnete 36-Minuten-Gespräch trotz der vereinbarten Vertraulichkeit senden oder nicht?

Der Sender hat sich dafür entschieden, aber die im Blog nachgelieferte Begründung ist nicht sehr überzeugend. Fix vermischt sich das öffentliche Interesse mit der Neugier der Öffentlichkeit und der Freude am exklusiven Stoff. Der Großteil der Kommentatoren ist jedenfalls von der BBC enttäuscht.

(An dieser Stelle für eine Minute die Augen schließen und ausmalen, der Mann stelle sich am Ende als unschuldig heraus. Er kann vielleicht seinen überall vollständig genannten Namen ändern, aber die Fotos aus seinem MySpace-Profil sind längst in allen Zeitungen.)

Mittlerweile sitzt ein zweiter Mann in Untersuchungshaft, und die Polizei hat darum gebeten, keine Namen zu nennen. Ohne großen Erfolg: Auch der zweite Verdächtige wird zumindest von BBC, Times und Telegraph mit vollem Namen genannt (anscheinend nicht vom Guardian). Neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte gibt es für die eindringliche Bitte der Polizei nach englischem Recht einen zweiten guten Grund: Wenn die Geschworenen durch Medienberichterstattung beeinflusst werden, kann der Prozess platzen. Dem Medium droht sogar eine Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts.

Und in Deutschland? Keine vollen Namen, keine Fotos, fordert der Pressekodex von Printmedien. „Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt und Haftbefehl beantragt ist oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird.“ Bei Anzeichen einer möglichen Schuldunfähigkeit ist nicht einmal das zulässig.