Die hohe Live-Kunst

BBC-Bilder vom Machtwechsel.

Viele der BBC-Livebilder vom dann doch plötzlichen Regierungswechsel in der 10 Downing Street heute Abend hatten Kinoqualität — und das ohne monatelange Vorbereitung wie bei einer Amtseinführung in Washington. Ein Machtwechsel in 90 Minuten, zusammengefasst in knapp drei, zu überdramatischer Musik.

(Ja, ich bin noch da.)

BBC-Aufnahmen vom Regierungswechsel

Parlamentube

BBC Democracy Live, Bundestag.de und C-SPAN.

In zweieinhalb Wochen feiern die Briten ein denkwürdiges Jubiläum: Am 21. November 1989 ließ das britische Unterhaus die Fernsehkameras ins Parlament. Gleich in der ersten übertragenen Rede erklärte der Tory-Abgeordnete Ian Gow den neuen Zuschauern, was er davon hielt: „I have always voted against the televising of the proceedings of this House, and I expect that I always will.“ (Video) Die britischen Parlamentarier hatten im Vorfeld jahrelang über das Fernsehen und die Folgen gestritten. Ausschüsse legten anfangs exakt fest, was die Fernsehregie zu zeigen hatte: denjenigen, der offiziell das Wort hat — auch und gerade bei Tumulten im Westminster-Palast. Inzwischen hat sich Aufregung längst gelegt, und die Kameras dürfen auch die sogenannten „reaction shots“ zeigen.

Fast 20 Jahre später hat die BBC ein Onlineprojekt freigeschaltet, das sie schon vor einer Weile angekündigt hat: Democracy Live, eine durchsuchbare Parlaments-Mediathek. Das Angebot nimmt britisches Ober- und Unterhaus, die Parlamente von Schottland, Wales und Nordirland und das Europäische Parlament in den Blick, bietet Videos von Reden und Debatten und erschließt die Themen.

Screenshot Democracy Live

Democracy-Live-Nutzer können dabei einzelne Abgeordnete gleichsam abonnieren. Über „Follow this representative“ bekommen Nutzer mit, wann immer es um ihren Parlamentarier geht — nicht nur dessen eigene Reden, sondern auch bloße Erwähnungen. Der Clou: Die Videos werden per Spracherkennung in Text gewandelt und sind damit durchsuchbar. Viele der Videos können auch direkt woanders eingebettet werden, leider aber noch nicht die Videos aus dem Ober- und Unterhaus.

Erwähnung Gordon Browns auf Democracy Live

In Deutschland, wo dem Parlamentspräsidenten schon eine Phoenix-Übertragung nicht genügt (Zapp-Video), hat sich mitterweile auch schon einiges getan: Bundestags-Plenardebatten sind in einem Videoarchiv auf bundestag.de zu finden — und Nutzer können die Videostreams ebenfalls bei sich einbetten. Dass das alles noch nicht so einfach funktioniert, wie man es sich wünscht, beschreibt Matthias Mehldau ausführlich auf netzpolitik.org.

Video-Embedding auf bundestag.de

Einzelne Landtage haben ebenfalls Video-Archive, die aber nicht sehr zugänglich sind, beispielsweise in Bayern erst nach Sitzungstag, dann nach Tagesordnungspunkt sortiert. Nur ein echter Politikfreak wird einfach auf Verdacht ein Video starten, dass nur mit „Zwischenbemerkung Harald Güller (SPD)“ betitelt ist.

Auch der von Amerikas Kabelnetzbetreibern finanzierte Sender C-SPAN bietet im Netz interessante Video-Suchfunktionen: In der C-SPAN Video Library gibt es beispielsweise einen Personeneintrag zu Angela Merkel, der zu allen Videos mit ihr führt. Damit lässt sich aber auch gleich auflisten, wer mit wem gemeinsam in welchen Videos auftaucht: Bush und Berlusconi, Steinmeier und Solana. Das erinnert ein wenig an die automatische Erfassung der im Fernsehen auftretenden Politiker, die das MIT Medialab vor einigen Jahren als Gegen-Überwachungsprojekt gestartet hatte.

Merkel-Auftritte bei C-SPAN mit appears-with-Funktion

Auch bei C-SPAN sind die Videos durchsuchbar, dafür nutzt der Sender die TV-Untertitel. Eine Videoseite — beispielsweise zur Merkel-Rede vor dem US-Kongress — enthält eine inhaltliche Zusammenfassung, Transkript, Schlagwörter, Personeneinträge und zahlreiche Tools zur Weiterverbreitung. Es werden sogar die Seiten, in denen das Video eingebettet ist, zurückverlinkt.

Ein bisschen Spielerei ist dabei, ein bisschen Eitelkeit der Redner sicher auch. Aber wer je in einer Bibliothek die schweren Bände der Bundestags-Plenarprotokolle gewälzt und mühsam die Fundstellen abgegrast hat, will mit Sicherheit nie wieder zurück zur Welt vor der Volltextsuche.

Überplant

Vorbereitungen für das Ableben von Queen Mum.

Als die Mutter von Königin Elisabeth II. vor knapp sieben Jahren im Alter von 101 Jahren starb, war die BBC vorbereitet. Sehr gründlich vorbereitet: Über Jahrzehnte hatte die BBC die Berichterstattung geplant, zweimal im Jahr gab es Probedurchläufe. Die Planungen gerieten nach und nach bizarr detailliert, berichtete Chris Cramer, der nach 20 Jahren bei der BBC damals CNN International leitete:

„When I was at the BBC, there was a cupboard, and there were black dresses and there were black ties. There was a glass cabinet, because we were paranoid that people would lose the key to the cupboard. So in fact, there was a little hammer, and you used the hammer […] to actually get the ties and the dresses and the scripts out.“

Bei den Onlinern vom Guardian bestand der erste Schritt im Queen-Mum-ist-tot-Plan dagegen im Entfernen eines Inhalts, wie Onlinechefin Emily Bell gerade verraten hat:

„At the Guardian, in days gone by, we had a rather splendid Dress the Queen Mother interactive on our website (decommissioning it was the first instruction to the duty editor who was on the shift when she passed away).“

Eckstein

Der BBC-Finanzblogger Robert Peston.

Robert Peston, der leitende Wirtschaftsredakteur der BBC, ist so etwas wie das Gesicht der Finanzkrise für die Briten geworden: Dass Northern Rock in Schwierigkeiten war, erfuhren sie von ihm – und hoben ihr Geld ab. Dass Lloyds TSB die angeschlagene HBOS übernehmen will, meldete ebenfalls Peston – und der Aktienkurs stieg in 45 Minuten um fast 150 Prozent. („Will everyone please stop praising Robert Peston?“, schrieb Bill Blanko im Oktober.)

Den Lloyds-HBOS-Scoop meldete Peston übrigens zuerst in seinem BBC-Weblog, das es seit Ende Januar 2007 gibt. Auf der BBC Future of Journalism Conference wurde er gefragt, warum er bloggt. Seine Antworten, zusammengefasst zu finden bei Jem Stone, sind bemerkenswert. Als Leseanreiz: „I do see the blog as the absolute cornerstone of the way that I work. It’s central to everything that I do at the BBC.“ (Via reportr.net.)

BBC Democracy Live

Eine durchsuchbare Parlaments-Mediathek.

Auf der Konferenz e-Democracy 08 hat BBC-Nachrichtenchefin Helen Boaden ein neues Projekt angekündigt: Democracy Live. Ein Auszug aus ihrer Rede, in der es ansonsten viel um Bürgerjournalismus geht:

But we are acutely aware that the formal political processes need to be brought into this world too.
To that end, we are about to launch an important new site called Democracy Live.
This will offer live and on demand video from all the main UK institutions and the European Parliament. Users will be able to search across the video for representatives and issues that are relevant to them. They will be able to find out more about their representatives in the institutions and follow their contributions.
The site will also offer detailed guides to how the institutions across a devolved UK work and what powers they have, all the must know information about issues in the news and blogs from our political editors, plus a range of ways for users to comment and contact their representatives and institutions.
And while this will make for a compelling mix on the site, we also want it to be a shareable resource, with video and text content that users can take and place on their own sites or blogs.

Schon jetzt ist die Parlamentsarbeit in Großbritannien weitaus transparenter im Netz zu verfolgen als zum Beispiel in Deutschland — dank TheyWorkForYou von mySociety. Und in den USA gibt es OpenCongress, MAPLight, OpenSecrets.org, um nur die bekanntesten zu nennen. Beim Bundestag hat sich die Datenbanken-Welt zwar in den vergangenen Jahren optisch deutlich verbessert (siehe DIP). Aber die Benutzung ist weiterhin viel zu umständlich, von offenen Schnittstellen und Videoauszügen ganz zu schweigen.