Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche hat einen Zehn-Punkte-Medienkodex vorgelegt. Am meisten Wirbel verursacht offenbar die Regel Nr. 5, „Journalisten machen keine PR“. Mich hat indes die Präambel in Erstaunen versetzt. In voller Länge lautet sie:
Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus. Um seine Qualität und Unabhängigkeit zu sichern, setzt sich das Netzwerk Recherche für dieses Leitbild ein.
Unter „zunehmendem ökonomischen Druck“ kann ich mir durchaus etwas vorstellen, aber was sind die „neuen Technologien“, die den Journalismus bedrohen? Weblogs? Content-Management-Systeme? Tee-Pads für Kaffeebrühmaschinen? Die Pressemitteilung zum Kodex wiederholt die Formulierung lediglich, im Konzeptionspapier von 2004 ist von Technologien noch keine Rede.
Die Federführung bei der Erarbeitung des Kodizes hatte nach seinen eigenen Worten Professor Rainer Burchardt, Vorstandsmitglied beim Netzwerk Recherche, scheidender Deutschlandfunk-Chefredakteur und Dozent für Medienmanagement an der FH Kiel. In einem Interview zum Medienkodex sagt er, der politische Journalismus sei in den letzten Jahren schneller, zugleich fehleranfälliger worden und unter Druck geraten. Zitat: „Das hat ganz viel zu tun mit der Digitalisierung, also der technologischen Entwicklung auf der einen Seite, mit dem Internet natürlich auch. Wir haben es mittlerweile mit einem sehr aggressiven Internetjournalismus zu tun, mit dem so genannten Blogging.“ Also doch.
Mit wenig Mühe wäre das als Maschinenstürmerei abzutun, zumal die Präambel auf dem Kodex-Poster für die Redaktionswand unglücklicherweise in Erik van Bloklands Schrift FF Trixie erscheint, die auf dem Schriftbild einer alten Schreibmaschine beruht. Zur Ehrenrettung des Netzwerks Recherche: Viele schlaue Leute dort setzen sich sehr für Informationsfreiheit ein, unterstützen beispielsweise die Vermittlung von Techniken der Software-gestützten Investigativrecherche und wollen keineswegs zurück zu Farbband und Tipp-Ex.
Vor zwei Jahren schrieb Rebecca Blood einen Essay mit mindestens zwei weisen Sätze über Journalisten und Blogger:
Reporters would benefit by regarding bloggers as modern Baker Street Irregulars. When bloggers link to conflicting or contextualizing material, smart reporters will further research and verify promising leads, and credit the bloggers who uncovered them.
Wer das für die typische überbordende Selbstverliebtheit einer Bloggerin hält, lese einen aktuellen Artikel des BBC-Online-Korrespondenten Paul Reynolds mit dem Titel „Bloggers: an army of irregulars“. Es ist keine Wunschvorstellung, es ist hier und heute Realität für Journalisten und Medien, die sich darauf einlassen.
Trotz der relativ eindeutigen Äußerungen Burchardts habe ich per E-Mail beim Netzwerk Recherche um eine Klarstellung gebeten, was mit „neuen Technologien“ konkret gemeint ist. Falls es doch die Tee-Pads für Kaffeebrühmaschinen sind, hat das Netzwerk meine volle Unterstützung.
Nachtrag: Sehr Lesenswertes über Old-School-Ängste und Trennungsgebote im Medienkodex schreibt Lorenz Lorenz-Meyer in seinem Weblog Club Volt.