Blogwertschöpfung

Die Kosten von Politiker-Weblogs.

Angela Merkel zahlt für vier Ausgaben ihres Video-Podcasts nach Angaben des stern 26.000 Euro an die Agentur RCC, pro Podcast also 6.500 Euro (via Spreeblick).

Das ist aber noch günstig im Vergleich zum videofreien Weblog des britischen Umweltministers David Miliband. Auf Nachfrage eines Oppositionsabgeordneten räumte das Ministerium ein, dass zwei Mitarbeiter bis zu 40 Prozent ihrer Zeit mit dem Weblog verbringen. Das macht nach der Rechnung der Opposition im Jahr 40.000 Pfund, also knapp 60.000 Euro. (Andererseits hätte ich für das Geld lieber ein Weblog des Bundesumweltministers als ein Poster mit Tierfotos in Deutschland-Form.)

Die Szene

Notizen von Besser Online 2006.

Einschalt-Symbol aus dem Besser-Online-Logo Eine kleine Rand-Bemerkung vom DJV-Onlinejournalisten-Treffen BesserOnline. Der Chefredakteur der Netzeitung, Michael Maier, erwähnte in der Eröffnungsdiskussion das Projekt Readers Edition. Gestartet werde mit 20 Moderatoren, die Netzeitung arbeite dabei „stark mit der Bloggerszene zusammen“. Da sind sie wieder: die Blogger und ihre Szene. Vertreten wurden die auf dem Podium übrigens von Don Alphonso, dessen Freude über den Vergleich von Weblogs und Stammtischen nun einmal nicht jeder Blogger teilt. (Mehr zu Readers Edition in zwei Postings von Robert Basic, Vorab-Screenshots und bald auch ein Interview bei ojour.de.)

Eine positive Überraschung waren die vielen Handzeichen, als Matthias Spielkamp sich während seines exzellenten Vortrags immer mal wieder erkundigte, wer denn diese oder jene Web-2.0-Technik kenne oder persönlich nutze. Mein Eindruck ist, dass sich mehr und mehr Kollegen weder von den Buzzwords noch von der pauschalen Buzzword-Kritik schrecken lassen. Und Jan-Michael Ihl hat in seinem Forum auch noch einmal gezeigt, wie schnell im Bedarfsfall ein Blog auf dem eigenen Server eingerichtet ist.

(Eine Haftnotiz für die Macher aller künftiger Kongresse über Digitales: Bitte mehr Steckdosen. Viel mehr Steckdosen. Things go better with Strom. Aber davon abgesehen Applaus für die Organisatoren, die sogar auf die Wetterlage mit der Ausgabe eines Regen-Programms reagierten.)

Vom Mittagessen blieben zwei Links: Zum einen die Initiative Nachrichtenaufklärung, die derzeit wieder auf der Suche nach relevanten Themen ist, die von den traditionellen Medien nicht aufgegriffen werden. Entspricht der Vorschlag den Kriterien der Initiative, landet er über den Umweg der Rangliste vernachlässigter Themen doch in den Redaktionen. (Die Alternative zum Einreichen von Vorschlägen ist natürlich, selbst zu recherchieren und darüber zu bloggen.)

Zum anderen die vierten Wizards of OS, auf die mir Matthias und Meike noch einmal große Lust gemacht haben. Die inspirierende Berliner Konferenzserie über freies Wissen werde ich auch in diesem Jahr wieder verpassen, aber empfehle sie dringend allen netzpolitisch interessierten Menschen: 14. bis 16. September, Columbia-Halle, Berlin.

Nachtrag: Mehr zu BesserOnline bei Don Alphonso, Temmo Bosse, Alexander Hüsing, Christiane Link, Carsten Lißmann, MamasAtWorkLog und Andreas Streim. Und irgendwie auch bei Torsten Kleinz.

Was Blogger können

Über die Weblog-Studie von Matthias Armborst.

Abbildung auf dem Cover des Armborst-Buches Was Friseure können, können nur Friseure: Dieses schöne Friseursalon-Dogma scheinen manche beim Netzwerk Recherche auch auf Journalisten anzuwenden. Jedenfalls klingt so die bedrohliche Pressemitteilung zu einer Neuerscheinung über Weblogs, ihr Verhältnis zum Journalismus und zur Medienethik. Über den Pressetext und den Buchtitel ist schon ziemlich heftig gestritten worden — aber das Buch selbst bereichert die Diskussion immens! (Ja, ich habe heute das Rezensionsexemplar gelesen.)

Der Autor Matthias Armborst lässt sich nicht auf cluetrainesken Überschwang ein, zeigt aber, wie Journalist-Sein und Blogger-Sein mehr miteinander zu tun haben, als viele Journalisten — und sogar viele Blogger — meinen. Zum einen, indem er die Entwicklung und Formen von Weblogs auf fast 50 Seiten nachzeichnet, mit vielen gut ausgewählten Beispielen. Zum anderen, indem er eine Befragung von 148 Bloggern und Blog-Nutzern aus dem deutschsprachigen Raum auswertet.

Wer die deutschsprachigen Blogger für einen Haufen gewissenloser Allespublizierer à la Matt Drudge hält, wird von der Befragung sehr enttäuscht sein. Ohne das J-Wort zu verwende, findet Armborst eine ganze Reihe von journalistischen Motiven und Handlungsweisen unter den Bloggern. Statt der traditionellen Nachrichtenwert-Kriterien ist aber persönliches Interesse die treibende Kraft. Und Bloggerethik? Ungeschriebene Regeln gelten natürlich auch in der Blogosphäre: Drei Viertel der Befragten rechnen beispielsweise damit, dass wiederholte Falschmeldungen eines Bloggers zu Protesten seiner Leser und Glaubwürdigkeitsverlusten führen würden. Ungeprüfte und ungenaue Informationen zu veröffentlichen und den Lesern Präzisierung und Korrektur zu überlassen, lehnen mehr als drei Viertel der befragten Blogger ab.

„Weblogs können den Journalismus anspornen, ergänzen und bereichern“, schreibt Armborst am Ende. „Ersetzen können sie ihn nicht.“ Touché. Wer sich als Journalist nicht angespornt oder bereichert fühlt, sondern nur von der eigenen Unersetzlichkeit schwärmt, sollte das Buch erst recht lesen. Von Untergrundblogs aus dem Irak über Watchblogs und Journalisten-Weblogs bis zu Blogosphären-Tools zeigt die Studie das immense journalistische Potenzial des Mediums, ohne Weblogs dabei auf Quasi-Journalismus zu reduzieren.

Eine Warnung: Es ist und bleibt eine wissenschaftliche Studie. Wer allergisch auf Fußnoten reagiert, die mit vgl. ebd. beginnen, ist definitiv besser bedient mit einem der Bücher über Blog-Technik oder dem wirklich schönen Blogs!-Band. Aber neben Jan Schmidt mit Weblogs: Eine kommunikationssoziologische Studie ist Armborst einer der ersten, die sich mit Offenheit, Detailkenntnis und eben wissenschaftlichem Werkzeug der deutschsprachigen Blogosphäre nähern.

Übrigens gibt es schon auf Seite 9 eine kleine Exklusivinformation: In der nächsten Neubearbeitung des dicken Duden-Universalwörterbuchs und des Fremdwörterbuchs sollen Weblog, Blog, Blogger und bloggen ihren Platz finden. Darauf freue ich mich schon jetzt.

Matthias Armborst, Kopfjäger im Internet oder publizistische Avantgarde? Was Journalisten über Weblogs und ihre Macher wissen sollten, Münster: Lit 2006. (184 Seiten, 14,90 Euro.)

Nachtrag: Eine weitere Rezension von Verena Schmunk beim PR Blogger.

Unglaublicher Schrott

Die Diskussion um den nr-Medienkodex geht weiter.

Raucher-Hinweis: Bloggen gefährdet den Journalismus Vor einem Vierteljahr habe ich mich an dieser Stelle gefragt, was das Netzwerk Recherche in der Präambel seines Medienkodizes mit „neuen Technologien“ meint, die angeblich den Journalismus gefährden. Auf eine Mail an das Netzwerk habe ich bis heute keine Antwort bekommen.

Erfreulicherweise hat jemand beim nr-Jahrestreffen in Hamburg nachgefragt. Christiane Link dokumentiert in ihrem Weblog die Diskussion um den Kodex. Ein Auszug:

Jemand aus dem Publikum fragt, warum die neue Techniken eine Gefahr darstellen.
Rainer Burchardt kritisiert Blogs. Was da an Schrott verbreitet werde, einschließlich Wikipedia, sei unglaublich. Man habe es mit knallharter Ökonomisierung der Ware Information zu tun.

Christiane — bloggende Journalistin wie ich — fügt an: „Was das mit Blogs und Wikipedia zu tun hat, verstehe ich gerade nicht.“ Ich auch nicht. Aber ich kapiere ja schon nicht, dass jemand wie Burchardt, der sich damit professionell beschäftigt, immer noch solche Pauschalurteile fällt.

Nachtrag: Der Frager aus dem Publikum, Marcus Lindemann, hat sich bei Christiane zu Wort gemeldet mit einer sehr lesenswerten Ergänzung. Und so entdecke ich nebenbei auch das recherch-o-log — laut Selbstbeschreibung schreiben dort „bloggende Journalisten und Journalistinnen sowie journalistische Blogger und Bloggerinnen über journalistische Recherche und recherchierenden Journalismus“.