Ausgeträumt

Keine Somnatisten in der Wikipedia.

Kurzzeitig hatten sie es auch in die Wikipedia geschafft, jetzt sind sie wieder weg: die Somnatisten.

Dabei hatte die vierköpfige Künstlergruppe aus dem Zürich der Vierzigerjahre ganz erstaunliche Ideen — etwa das Kosmische Wettbüro, in dem die Besucher gegen sich selbst wetten konnten. Statt die kunstgeschichtliche Lücke zwischen Surrealisten und Situationisten mit den fast vergessenen Künstlern zu füllen, haben die Wikipedianer den Artikel gelöscht.

Dass die Somnatisten tatsächlich eine Fiktion des Büros Archipel (Sabine Siegfried und Christoph Willumeit) sind, hält die Hamburger Kunsthalle nicht von einer Mini-Retrospektive mit Werken, Manifest und Biografischem ab: nur noch bis zum 6. August im zweiten Teil der Ausstellung „Kunst in Hamburg. Heute“.

Schmuckfarbe Gold

Beiruts Hoffnung auf das Aufblühen.

Da die Automarke Mini einer der Sponsoren des Digital Lifestyle Day war, gab es für die Teilnehmer in München damals die aktuelle Ausgabe des Kundenmagazins „Mini International“. Ein journalistisch anspruchvolles Hochglanzmagazin mit beigelegter CD, auf dem Cover in Serifenschrift, Großbuchstaben, Schmuckfarbe Gold: Beirut.

Selbstverständlich erwähnten die Autoren das Thema Krieg, und im Editorial auch das Attentat auf Ex-Premier Hariri — aber vor allem zeigten sie die Vorfreude auf ein erneutes Aufblühen. Das Stadtporträt fällt eher zu trendy aus; der Wille, Beirut vor den anderen zu entdecken, war offenkundig groß.

Der Zwei-Minuten-Clip, der auf der Mini-Website erhalten ist, zeigt, was war. Oder teilweise sogar noch ist, wie der Guardian schreibt: Hip-Hop-Klänge im nahen Brummana, Bombeneinschläge im Süden Beiruts.

Future Media and Technology

Ein erster Blick auf die BBC-Umstrukturierung.

Eine Weile wurde gerätselt, was bei der BBC-Umstrukturierung aus der Direktion „New Media and Technology“ wird. Der Spagat: Einerseits ist das Internet ja schon kein Neues Medium mehr und soll ja gerade Teil des Alltag der BBC sein. Das spräche dafür, die Onliner in die normalen Redaktionen zu setzen. Andererseits hat diese Direktion in den letzten Jahren einfach Erstaunliches geleistet. Die BBC, mit 25.000 Beschäftigten nicht gerade ein kleines Start-up, gehört in der Verlagsbranche (laut Deloitte) zu den am meisten bewunderten „digitalen Unternehmen“. Früher als andere große Medienhäuser hat die BBC auf RSS-Feeds und Podcasts gesetzt; sehr vorzeigbar sind beispielsweise das Entwicklernetzwerk backstage.bbc.co.uk, die echten Blogs, die Pläne für persönliches Radio und vor allem die Überlegungen, wie die Medienrevolution zurückschlägt auf die Inhalte. Und diese NM&T-Abteilung soll zerschlagen werden?

Nun also doch nicht, im Gegenteil. Vorher gab es „New Media and Technology“ mit einem Budget von 250 Millionen Pfund (!), also etwa 360 Millionen Euro, und 650 Beschäftigten. Stattdessen gibt es nun „Future Media and Technology“ (FM&T) mit einem Budget von etwa 390 Millionen Pfund (!!), also 570 Millionen Euro, und bis zu 1.500 Mitarbeitern. Damit will die BBC unter anderem die Digitalisierung ihrer riesigen Archive vorantreiben: Die entsprechende Abteilung mit 450 Leuten ist nun Teil von „Future Media and Technology“.

Die Budget-Zahlen stammen aus einem Guardian-Artikel, in dem auch das bisherige Neue-Medien-Budget aufgeschlüsselt wird: Von den 360 Millionen Euro gehen über 100 Millionen Euro in die Website bbc.co.uk, gut 50 Millionen Euro in mobile Dienste und interaktives Fernsehen und gut 200 Millionen Euro in den Bereich Technologie. Nach dem neuen Modell soll FM&T zentral für die technologische Entwicklung bei der BBC zuständig sein. Im Pressemitteilungs-Jargon heißt das dann: „FM&T will manage all new media platforms and gateways like bbc.co.uk, the emerging i-player and web 2.0, as well as metadata, search and navigation and BBC Information & Archives which is vital to opening up the BBC’s archives.“

Die Zuständigkeit (und das Budget) für die Online-Sendungsbegleitung im engeren Sinne geht an die Produzenten der jeweiligen Programme. Aber auch dort hat BBC-Generaldirektor Mark Thompson die Strukturen kräftig verändert: Sport- und Nachrichten-Direktion kommen unter das gemeinsame Dach „Journalism“. Aus den drei Direktionen BBC Television, Factual & Learning sowie Drama, Entertainment & Children wird die Gruppe „BBC Vision“. Für Radio und Podcasts zuständig ist künftig „Audio & Music“.

So fernöstlich-harmonisch wie in diesem offiziellen Diagramm wird es natürlich niemals zugehen:

Offizielles BBC-Struktur-Diagramm

(Kommentare zum Diagramm bei Flickr.)

Kleiner Clou zum Schluss: „Future Media and Technology“ schickt in die drei neuen Gruppen Journalism, BBC Vision und Audio & Music jeweils einen Controller „who will make sure that each group gets the talent and support it needs, and who will help make sure that our key future media technology projects work in tandem with our editorial vision and plans“ (Thompson). Der BBC-Generaldirektor lädt übrigens am Ende seiner Ansprache an die Beschäftigten alle, die der Creative-Future-Vision nichts abgewinnen können, zum Gehen ein.

Nachtrag: Tom Coates, der eine Weile an spannenden BBC-Onlineprojekten (aber außerhalb der Neue-Medien-Abteilung) gearbeitet hat, ist sehr skeptisch — von großen Ankündigungen sei wenig geblieben. Jeff Jarvis fordert dagegen, Thompsons Rede in jeder Zeitungsredaktion in den USA zu halten.

Mehr zum Thema:
Guardian: Highfield’s spending power soars at BBC
Guardian: New BBC divisions at a glance
BBC News: BBC restructures for digital age
BBC-Pressestelle: BBC reorganises for an on-demand Creative Future
BBC-Generaldirektor Mark Thompson: Delivering Creative Future

Wahre Größe

Pressekonzentration in Deutschland.

Kreisdiagramm mit Anteilen von 97,3 Prozent und 2,7 Prozent Axel Springer, WAZ-Gruppe, Stuttgarter Zeitung/Rheinpfalz/Südwest Presse, Ippen-Gruppe und DuMont Schauberg — diese fünf Verlagsgruppen decken 97,3 Prozent des deutschen Kauf-Tageszeitungsmarktes (also ohne Tageszeitungs-Abos) ab.

Der Artikel des Medienwissenschaftlers Horst Röper über die Konzentration der deutschen Tagespresse im 1. Quartal 2006 steckt voller solcher Datenschätze. Dabei schaut er sich vor allem die zehn größten Verlagsgruppen an, aber auch die Entwicklung der Tagespresse insgesamt, neue Konzepte, Gratiszeitungen und E-Paper. In der Zeitschrift Media Perspektiven ist Röper übrigens Dauer-Autor zum Thema Medienkonzentration. Ähnlich faktengesättigt sind seine Medienmulti-Analysen — im aktuellen Teil 1 geht es um ProSiebenSat1 und Axel Springer, im Teil 2 um Bertelsmann, RTL, Gruner + Jahr, Burda, WAZ, Holtzbrinck und Bauer.

(Disclaimer: Die medienwissenschaftliche und medienpolitische Fachzeitschrift Media Perspektiven wird von den ARD-Werbegesellschaften herausgegeben. Der NDR ist mein Arbeitgeber.)

Fantasy Radio

BBC-Radioprogramm zum Selbermixen.

Molekül Radio ist schwierig, und das liegt an den Wort- und den Musik-Molekülen. Ein paar Oldie-Atome zu viel, und schon sind jüngere Hörer verschwunden. Etwas weniger Wort, zum Beispiel weniger Service-Atome? Findet der staugeplagte Pendler nicht gut, und haut ab. Langkettige Feature-Moleküle findet der eine großartig, schaltet aber trotzdem ab, weil sich ein anorganisches Pop-Molekül daran angedockt hat. Und Kultur-mit-Klassik-Moleküle mag auch nicht jeder.

Ein mögliches Gegenmittel ist die Substitution: Automatisch WDR 2 nehmen, Celentano, Furtado und Keating entfernen und durch Bach, Satie und Mendelssohn Bartholdy ersetzen. Fertig ist das DAB-Programm WDR 2 Klassik.

Ein anderes Gegenmittel ist die Analyse: Sendungen einzeln als Podcast anbieten (und die Musik-Moleküle aus GEMA-Gründen weitgehend entfernen).

Ein drittes Gegenmittel, auf das die BBC setzt: Der Hörer bekommt den Chemiebaukasten einfach selbst in die Hand gedrückt. Die BBC-Plattform iPlayer (ehemals iMP) soll dem Nutzer ermöglichen, seinen persönlichen Radiosender zu gestalten (via ojour.de). Damit wird die Rundfunkanstalt zum Anbieter Tausender, wenn nicht Millionen von Radiostationen, „all of them based on the extraordinary wealth of existing BBC content, but as relevant to individual users as the playlists they assemble for their iPods“, sagt BBC-Generaldirektor Mark Thompson in einer Rede. Das klingt zumindest wie eine brauchbare Antwort auf last.fm und Pandora.

Hat eigentlich schon jemand ein W-LAN-Radio?