Schotterflug

Bahn-Datenaffäre, Berliner Lecks und Text-Kuratoren.

Bahn-Chart mit Projektnamen
(Zusammenarbeit der Deutschen Bahn AG mit der Firma Network Deutschland nach Projektvolumen 1998 bis 2007, mit den entsprechenden Codenamen – zu finden im Bahn-Zwischenbericht zur Datenaffäre)

Mit etwas Abstand noch einmal zum Abmahnungsstreit netzpolitik.org/Deutsche Bahn:

Lernen kann man etwas über das Zuspielen von Dokumenten, zum Beispiel das Tempo. Am 26.1.2009 um 14.59 Uhr erhält der Bundestags-Verkehrsausschuss per Fax den Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix. Am 27.1. um 12.23 Uhr leitet das Ausschusssekretariat das Dokument per Fax weiter. Der handschriftliche Vermerk „o. Mitglieder“ bedeutet vermutlich, dass dieses Fax an die ordentlichen Mitglieder des Ausschusses gegangen ist. Und am 28.1. ist der Bericht schon in zwei Redaktionen gelandet, nämlich beim Tagesspiegel und beim Kölner Stadt-Anzeiger. (Beide Redaktionen glauben offenbar, die Information exklusiv zu haben: Sie veröffentlichen sie im Netz erst kurz vor Mitternacht und verweisen auf die Druckausgabe vom 29.1.)

Dass Dokumente beim Zuspielen einen Drall, einen Effet bekommen, wird beim Blick auf diese ersten Artikel zum Dix-Bericht klar: „Bahn ließ auch wegen Mehdorn-Steueranzeige ermitteln“ und „Noch ein Skandal: Die Revanche des Bahnchefs“. Beide Medien stürzen sich also auf einen Satz aus dem siebenseitigen Bericht: „Ein Mitarbeiter hatte unter einem falschen Namen Herrn Mehdorn eines Steuerdelikts bezichtigt und sich in einem Schreiben an mehrere Finanzbehörden gewandt.“ Beim Kölner Stadt-Anzeiger reagiert sogar Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach auf den Satz: Dieser Vorgang sei „unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen“, sagt Bosbach, übrigens Abgeordneter aus dem Verbreitungsgebiet des Kölner Stadt-Anzeigers.

Netzpolitik.org-Blogger Markus Beckedahl veröffentlicht das komplette Dokument am 31.1. (erst nach der Abmahnung hat er die Namen der Beteiligten abgekürzt und Funktionsbezeichnungen ganz weggelassen). Am selben Tag hat die Süddeutsche schon ausführlich aus dem Dokument zitiert und sich diesmal nicht nur auf „Projekt Uhu“, die Steueranzeige beschränkt.

Glücklicherweise geht es netzpolitik.org weniger um das persönliche Schicksal Mehdorns als um den Umgang mit Mitarbeiterdaten generell, das Memo ist sehr vorsichtig anmoderiert, ohne die Steueranzeige ins Zentrum zu stellen. Im Nachhinein zeigt sich, dass das Dix-Memo genau an dieser Stelle fehlerhaft ist: Es gab keine Anzeige unter falschem Namen gegen Mehdorn, sondern unter dem falschem Namen Hartmut Mehdorn. Die Bahn kann in ihrem Zwischenbericht zur Datenaffäre entsprechend laut klagen: „Die Berichterstattung [der Medien] zum Projekt Uhu ist falsch und irreführend.“

Es ist inzwischen keine große Kunst mehr, ein Dokument im Netz anonym so zu publizieren, dass es kaum mehr verschwindet. Wie es netzpolitik.org hier gemacht hat, ist deutlich sympathischer: Das Dokument bekommt quasi einen Kurator, der die Veröffentlichung auf sich nimmt und mindestens für die Echtheit (wenn schon nicht die Richtigkeit) mit seinem Ruf bürgt.

Die Aufregungs- und Solidarisierungsspirale und das Spiel David gegen Goliath hat schon Ralf Bendrath auf netzpolitik.org beschrieben. Sein Fazit liest sich aber wie eine deutliche Warnung vor Nachahmung: Nicht zuletzt aus politischen Gründen hat die Bahn den Streit schnell fallengelassen, und nur wenige Blogger sind so gut vernetzt wie netzpolitik.org.

Wer vor Gericht gewonnen hätte? So eine große Rolle spielt es nicht, denn beim nächsten Dokument kann alles anders aussehen. Ralf Bendrath hat zurecht angemerkt, dass es beim Veröffentlichen solcher Dokumente um konkrete inhaltliche Gründe im Einzelfall gehen sollte und nicht um den Weil-wir-es-können-Reflex. (Um so weniger verstehe ich seine Forderung, mit dem Spiegeln des Dokuments schon mal vorsorglich „persönliche Solidarität“ zu zeigen.) Ergänzend: Ruhig länger darüber nachdenken, wem die Veröffentlichung nützt. Und wenn sowohl Geld und Zeit für Rechtsstreitigkeiten als auch die exzellente Vernetzung fehlen — vielleicht lieber einen Kurator mit Rechtsabteilung im Hause wählen.

Vorbild China

Bundestags-Gutachter kritisieren Netzsperren-Pläne.

Doch mit einem „vergleichsweise geringen Aufwand“ könnten Internet-Nutzer die abgeriegelten Seiten trotzdem aufrufen. Wollte man eine wirksame Sperre einrichten, müsse das Internet nach dem Vorbild Chinas umstrukturiert und der Grundgedanke der dezentralen Vernetzung von Computern aufgegeben werden.

Der Spiegel gibt in einer Vorabmeldung wieder, wie ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags die geplante Sperre von Internetseiten vernichtend kritisiert.

Netzpforten

Google und das Sperren von Inhalten.

Ein langer, spannender Artikel von Jeffrey Rosen im New York Times Magazine über „Googles Gatekeeper“: Wer entscheidet nach welchen Maßstäben darüber, welche Inhalte welt- oder landesweit aus der Google-Suche oder dem YouTube-Angebot entfernt werden?

Grundsätzlich hat Google drei Optionen. Wenn wir beim Beispiel YouTube bleiben, kann Google ein Video ganz löschen, nur für ein bestimmtes Land verstecken — oder natürlich online lassen. Und grundsätzlich sind auch die Regeln einfach: Das Video wird ganz gelöscht, wenn es gegen Googles Bedingungen verstößt. Er wird für ein Land versteckt, wenn es nicht gegen Googles Bedingungen, aber gegen die Gesetze des jeweiligen Landes verstößt. Ansonsten bleibt es online.

Und dann setzt die Realität ein. Beispielsweise mit Ländern, in denen der komplette Zugang zu YouTube gesperrt wird, wenn einzelne Videos als Gesetzesverstoß angesehen werden; mit undemokratischen Staaten, deren Gesetze nicht mit den Grund- und Menschenrechten konform gehen; mit Forderungen einzelner Gruppierungen und der physischen Sicherheit der Google-Mitarbeiter im Lande. Gleichzeitig aber auch mit dem Druck von Menschenrechtsgruppen und Medien.

Wer den Artikel liest, muss Nicole Wong von der Google-Rechtsabteilung zustimmen: Dass ein kleines Team bei Google derlei Entscheidungen trifft, ist keine auf Dauer tragfähige Lösung. Was sind die Alternativen?

Die eine ist hier schon einmal erwähnt worden: In der Global Network Initiative geht es darum, als Unternehmen kritischer hinzusehen, wenn Regierungen Sperrungen fordern, die Menschenrechten widersprechen.

Einen anderen Weg nennt in dem Artikel Andrew McLaughlin, Googles Experte für internationale Netzpolitik: „[…] McLaughlin pointed to Germany, which has established a state agency that gathers the U.R.L.’s of sites hosting Nazi and violent content illegal under German law and gives the list to an industry body, which then passes it on to Google so that it can block the material on its German site.“ Die „state agency“ ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, der Filtermechanismus heißt offiziell BPjM-Modul (mehr dazu bei der Bundesprüfstelle). Google.de-Nutzer sehen in solchen Fällen am Ende der Trefferliste einen Hinweis: „Aus Rechtsgründen hat Google 1 Ergebnis(se) von dieser Seite entfernt. Weitere Informationen über diese Rechtsgründe finden Sie unter ChillingEffects.org.“

Wer sich darüber aufregt, regt sich also immerhin über etwas auf, was in der Hand deutscher Politiker (und somit indirekt auch deutscher Wähler) liegt. Aus Googles Sicht ist das die bessere Stelle, um über die eigenen Regeln zu entscheiden. Nebenher werden die Sperrungen von Google bei Chillingeffects.org dokumentiert und nicht bei Google.com angewandt.

Wie gesagt: ein spannender Artikel. Andrew McLaughlin würde allerdings in seinem Optimismus hinzufügen, dass die Sperrungen die Nebengeschichte sind zu einem unglaublichen Zuwachs an Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit dank des Internets. In einem Video vom Menorca TechTalk im Juni 2008 wirbt er für Aufmerksamkeit bei den Europäern für das Thema Inhaltsregulierung:

Netzkodex

Die Global Network Initiative.

Eine erstaunliche Liste: Einerseits Google, Microsoft und Yahoo — andererseits Human Rights Watch und World Press Freedom Committee. Dazu ein paar übliche Verdächtige aus dem amerikanischen netzpolitischen Umfeld wie EFF und CDT. Das etwas zu lange Motto der Global Network Initiative: Protecting and Advancing Freedom of Expression and Privacy in Information and Communications Technologies.

Ein guter Startpunkt zum Verständnis: Bei einer Anhörung im US-Kongress 2007 wird Yahoo-Gründer Jerry Yang zusammengefaltet, weil Yahoo die Verhaftung mehrerer chinesischer Dissidenten ermöglicht hat (und den Kongress darüber auch noch falsch informiert hat). „It’s complicated“, sagte der Chef der Yahoo-Rechtsabteilung damals.

Googles Mitbegründer Sergey Brin hat einen ähnlichen Lernprozess hinter sich, nachdem der Internetkonzern eine zensierte Google-Suche für China startete. Nach heftiger Kritik von Menschenrechtsgruppen sagte Brin 2006: „Perhaps now the principled approach makes more sense.“

In der neuen Initiative geht es also mit Sicherheit auch darum, den angekratzten Ruf aufzupolieren. Aber mit etwas Optimismus kann daraus ein bisschen mehr werden. Die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre sollen systematisch mitbedacht werden, durch interne Beauftragte, externe Gutachter und Jahresberichte. Die beteiligten Firmen wollen genauer und kritischer hinsehen, wenn Regierungen Zensurmaßnahmen auferlegen oder die Herausgabe von Nutzerdaten verlangen. Immerhin gibt es damit eine Selbstverpflichtung, die sich mit der Realität vergleichen lässt. Auch wenn es beim Thema Privatsphäre nur um den Schutz der Daten vor Regierungsstellen geht, nicht vor den Unternehmen selbst.

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