Mit dabei

Datenschutz-Großdemonstration in Berlin.

Ich gehe am Sonnabend zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein und dem Bundesverband der Katholischen Jungen Gemeinde demonstrieren. Und mit dem Bündnis aktiver Fußball-Fans, der Deutschen Aids-Hilfe, der Linux User Group Backnang und vielen, vielen anderen.

Bei Stefan Niggemeier wird gerade über das Motto der Demonstration debattiert: „Freiheit statt Angst“. Nicht glücklich, nein, aber es ist auch nicht so einfach, ein sperriges Thema wie digitale Bürgerrechte auf eine Kurzformel zu stutzen. Ganz ehrlich: Wie oft kann man mit einem halbwegs komplexen Weltbild überhaupt zu 100 Prozent hinter einem Demonstrationsmotto stehen: „Stoppt die…“, „Nein zum…“, „Gemeinsam gegen…“?

Großes Verständnis habe ich auch für eine Große-Menschenansammlungen-Allergie. Wenn, wie im September 2007, mehr als 15.000 Menschen gemeinsam durch ein sonniges Berlin spazieren, einige mit Anarchie- und andere mit FDP-Flaggen, dann ist das schon ein merkwürdig heterogenes Gemisch. Ab und an waren Plakate und Menschengrüppchen dabei, zu denen man gern ein paar Meter Abstand hielt. Bei Weitem überwogen aber Leute, denen das Netz, ihre Daten und ihre Privatsphäre am Herzen lagen. Das muss ab und an einfach demonstriert werden, mit Außen- und Binnenwirkung.

Vor einem Jahr waren Datenspeicherung, Datenhandel, Datendiebstahl und Datenmissbrauch absolute Nischenthemen. Das hat sich gerade ein klein wenig geändert — was unter anderem an vagabundierenden CDs mit vier Millionen Kontendaten liegt, an der Bespitzelung von Mitarbeitern und Journalisten durch Telekommunikationsanbieter oder am erstaunlichen Diebstahl von 17 Millionen Mobilfunk-Kundendaten.

Die Demonstration ist eine Gelegenheit, jenseits der kurz aufflackernden Skandale auf die Themen Datenschutz und Überwachung hinzuweisen — von der Vorratsdatenspeicherung über das geplante EU-Telekom-Paket bis zur automatischen Autokennzeichen-Erfassung. Aus vielen Gründen, die nichts mit Verschwörung zu tun haben, schaffen sie es sonst nicht so oft in die Medien und sind — auch deswegen — für Politiker nicht eben attraktiv.

Für die Zögernden noch zwei letzte Lockmittel: Wir Nichtganzkonsequenten, die wir Gmail trotz Google-Datenschutzpolitik nutzen oder iPods trotz Rechtebeschränkung, dürfen guten Gewissens mitdemonstrieren. Gern auch schlechten Gewissens. Und wer beim Demonstrieren immer in die Nähe der Leute mit der grässlichen Musik gerät, die liebevoll gebastelten Datenkraken nirgends entdeckt, seine peer group aus den Augen verliert und einfach nicht mehr mag, kann jederzeit seinen Eigenanteil an der Demonstration auflösen und sich Berlin angucken. Der Versuch ist es wert.

Berlin Alexanderplatz, 11. Oktober, 14 Uhr.

I am root

USA wollen Domainnamen-Kontrolle behalten.

Wenn die Rootzone-Datei des Domainnamensystems geändert wird, verschwinden zwar keine Länder von der Karte, aber gegebenenfalls Länderendungen wie .de oder .me aus dem Domainnamensystem — mit gravierenden Folgen. Derzeit gilt: Keine Änderung dieser Datei ohne Genehmigung des US-Handelsministeriums. Und das gilt nach dem Willen des Ministeriums wohl auch in Zukunft: „[T]he Department (…) has no plans to transition management of the authoritative root zone file to ICANN as suggested in the PSC documents“, schrieb die zuständige Behörde am Mittwoch an die Internetverwaltung ICANN. Mit „PSC documents“ sind eine Reihe von Plänen einer ICANN-Arbeitsgruppe gemeint, mit denen das institutionelle Vertrauen in die Internetverwaltung gestärkt werden soll. Die Frist für öffentliches Feedback dazu läuft an diesem Donnerstag ab.

Gefunden bei Bret Fausett, einem der Veteranen der ICANN-Beobachtung. Er freut sich sichtlich, dass das Ministerium Klartext redet: „Here at Lextext Central, we’ve known this forever, and people close to the ICANN process have known it too.“

(Dass diese erst einmal dramatisch erscheinende Rolle der Root-Herrscher eine gezähmte Macht ist, war übrigens vor längerer Zeit einmal Thema bei Wortfeld.)

Nicht so .hastig

ICANNs nächste Domainrunde.

Als ich bei AFP las, dass „die 1,3 Milliarden Internetnutzer weltweit“ bald „geläufige Wörter wie .liebe und .hass und auch Eigennamen“ eintragen lassen können — weitere AFP-Beispiele sind stadt, .liebe und .hansi –, dachte ich: Das klingt aber nicht nach ICANN. Nach einem Blick auf das ICANN-Flussdiagramm dazu dachte ich: Das allerdings sieht sehr nach ICANN aus.

Ohne die Vorfreude auf .hansi trüben zu wollen — eine Top-Level-Domain (TLD) zu bekommen wird auch in Zukunft etwas schwieriger sein als eine normale Domainregistrierung. (Alles, was folgt, sind ICANN-Vorschläge, die noch nicht beschlossen sind.)

Erst einmal muss eine TLD beantragt werden. Der Antragsteller muss belegen, dass er organisatorisch und technisch in der Lage ist, eine TLD zu betreiben. Die gewünschte TLD darf die Stabilität des Domainnamensystems nicht gefährden. Die beantragte TLD darf nicht mit einer bestehenden zu verwechseln sein (wie etwa .C0M mit einer Null). Sie darf nicht bestehende Rechte verletzen (.bmw dürfte damit chancenlos sein). Sie darf nicht gegen Moral und öffentliche Ordnung verstoßen (damit wird es mindestens schwieriger für .xxx).

Immer noch Interesse an der eigenen TLD? Wenn alle bislang genannten Kriterien abgehakt sind, kommt die nächste Hürde: Geht es um eine TLD für eine bestimmte „community“, etwa .aero für die Luftfahrtbranche? Dann muss der Antragsteller belegen, dass die Gemeinschaft zumindest keine Einwände hat. Geht es nicht um eine bestimmte Gemeinschaft, wird die TLD meistbietend versteigert. Dann muss der Antragsteller nur noch einen Vertrag mit ICANN abschließen und die Zustimmung des ICANN-Direktoriums bekommen.

Das ganze Verfahren dauert mindestens vier Monate. Über die Kosten schreibt die Herald Tribune: „The application fee for a domain name under the proposed system has not been set, but candidates estimate that it could range from €25,000 to €250,000(…)“.

(Nebenher: Über Initiativen wie .hamburg oder .berlin wundere ich mich immer wieder. Nicht nur sind Beispiele wie abendblatt.hamburg kontraproduktiv, weil umständlicher als abendblatt.de. Alle bisherige Erfahrung zeigt, dass die wesentlichen Gewinner bei neuen TLDs diejenigen sind, die welche verkaufen. Und es hat sich längst herumgesprochen, dass im Zeitalter der Suchmaschine das Raten von Domainnamen eine wirklich schlechte Suchstrategie ist.)

Arrangement

Zeit für einen Blick auf ICANN?

Bei ICANN habe ich einiges mitgemacht: Habe jahrelang darüber gebloggt, stundenlange Telefonkonferenzen angehört, bin zu Tagungen gereist oder habe sie im Netz verfolgt — und irgendwann war es dann genug oder sogar ein bisschen zu viel. Natürlich höre ich mir immer noch gern, was die geschätzte Jeanette Hofmann im Netzpolitik-Podcast zum Thema zu sagen hat, und ich lese weiterhin Bret Fausetts Blog Lextext.

Aus der Hinterher-ist-man-immer-schlauer-Perspektive: ICANN war für jeden etwas anderes. Zahlreiche Sozialwissenschaftler fanden es als cyberdemokratisches Experimentierfeld spannend, waren aber mehr am Verfahren interessiert als an den tatsächlichen Problemen, mit denen sich ICANN herumschlagen musste. Andere waren, noch etwas abstrakter, an ICANN als neuem Governance-Ansatz interessiert. Die Regierungen stürzten sich ebenfalls darauf: Weil ICANN als Organisation ein vertrauteres Muster war als die langbärtigen Wissenschaftler, die sich vorher um das Domainnamensystem kümmerten. Weil sie Internet als wichtiges Zukunftsthema erkannten und nationale Interessen zu verteidigen suchten, ohne genau zu wissen, worin diese bestehen. Die Firmen sahen ICANN mal als Quasi-Regulierer, mal als Lizenzvergabestelle zum Drucken von Geld, mal als Forum, in dem die Industrie ihre Probleme lösen konnte. Für viele Techniker war es ein Rätsel, was all diese Nicht-Techniker da wollen.

Und jetzt? Wäre ICANN tatsächlich eine klassische internationale Organisation geworden, dann würde noch heute ein Verfahren laufen, in dem die Rootserver nach regionalem Proporz verteilt werden. Das war tatsächlich lange ein großes Aufregerthema: Wieso stehen so viele der 13 Server in den USA? Imperialismus! Die Lösung war schließlich keine politische, sondern eine technische (Anycast): Heute verteilen sich die Rechner über die ganze Welt.

Es ist ruhiger geworden, und aus der Perspektive des entfernten Beobachters sieht es so aus, als wenn sich alle wichtigen Spieler mit dem Fortbestehen ICANNs arrangiert haben, selbst die Rootserver-Betreiber und die Weltfernmeldeunion ITU.

Womöglich ist aber gerade das ein guter Zeitpunkt, ICANN wieder etwas genauer zu verfolgen. Zum Beispiel auf das Budget zu schauen: 2002/03 lagen die Gesamteinnahmen bei sechs Millionen US-Dollar, dann kletterten sie auf neun Millionen, 15 Millionen, 30 Millionen, 42 Millionen und schließlich 49 Millionen US-Dollar (2007/08). Im neuesten Etatentwurf rechnet ICANN für 2009 mit Einnahmen von 61,7 Millionen US-Dollar (via Lextext).

Mehr zum Thema:

Gespeichert

Schwerpunkt Überwachung bei jetzt.de.

Anrufe wie dieser sollen zukünftig gespeichert werden. Man kann dann herausfinden, dass ich dich von München aus in Bremen angerufen habe, dass wir zwanzig Minuten telefoniert haben. Hätte ich dich mobil angerufen, würde auch gespeichert, wo du gerade bist.

Ein ganz vorzüglicher Anfang für ein Interview mit Ralf Bendrath über Vorratsdatenspeicherung im jetzt.de-Schwerpunkt Überwachung.

Dazu passend ein Teil von Heribert Prantls Kommentar Der artgerechte Staat:

Der Staat dreht hier die Beweislast um: Für ihn gilt der Eingriff ins Grundrecht als Normalität, und der Bürger, der sich dagegen verwahrt, als missliebig und verdächtig.