Wie wahr?

Britische Diskussion über TV-Authentizität.

Es klang zunächst wie der aufgeblasenste Medienskandal des britischen Sommerlochs: In einem Trailer für eine BBC-Dokumentation schien es, als würde die Königin aus einer Foto-Session mit Annie Leibovitz herausstürmen. In Wirklichkeit war die Reihenfolge zweier Szenen vertauscht, und die Königin war tatsächlich zur Fotografin unterwegs.

Aber in Kombination mit dem Anrufquiz-Skandal vom Frühjahr ist daraus eine kleine Lawine geworden. Die BBC hat weitere Sendungen überprüft und dabei eine Reihe von Fällen entdeckt, in denen Produktionsmitarbeiter so getan hatten, als seien sie Anrufer. Die Branche rechnet offenbar damit, dass weitere Fälle auftauchen. Reaktion der BBC: Keine Anrufquizze mehr, Schulungen für die Mitarbeiter und einige Beurlaubungen, die Medienberichten zufolge wohl bis in die mittlere Managementebene gehen.

Und jetzt geht es langsam ans Eingemachte: Wie viel Wirklichkeit verträgt das Fernsehen? Wie entsteht, um in Großbritannien zu bleiben, eine Sendung wie Holiday Showdown, in der zwei inkompatible Familien zusammen zwei Wochen Urlaub machen, und das von den entstehenden Konflikten lebt? Etwa, wie es im Observer heißt, durch Lügen beim Anwerben der Teilnehmer und zusätzliche Stressfaktoren „like leaving them hungry“? Was ist mit Zwischenschnitten in Nachrichtenbeiträgen, mit dem Politiker, der für die Kamera den Flur entlanggeht und mit Papier raschelt, mit dem abgefilmten Faxgerät, aus dem angeblich just eine Pressemitteilung quillt?

Ist das Publikum mittlerweile so medienerfahren, dass es gestellte Szenen und andere Schummeleien erkennt? Wenn ja, sehen die Zuschauer darüber hinweg oder ärgern sie sich? Welche Rolle spielen YouTube & Co.? Welchen Effekt haben die kleinen, handlichen, günstigen Digital-Video-Kameras — werden TV-Reporter damit wieder mehr Beobachter als Regisseure des Geschehens? Der bloggende Chef der BBC-Abteilung Global News, Richard Sambrook, erwartete schon vor dem Ärger um den Queen-Trailer einen baldigen Wandel im Nachrichtengeschäft: „I suspect that the current push towards transparency and openness, coupled with the raw authenticity of new video techniques, driven by cheap ubiquitous cameras and outlets like YouTube will mean before too long these techniques will start to look as dated as Walter Cronkite’s tweed suit.“

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Schwarzweißmalerei

Blair über die Entwicklung der Medien.

Tony Blair in Schwarzweiß Auf seiner langen, langen Abschiedstournee hat Tony Blair eine Rede über die Medien gehalten. Er erwähnt etwa die Bemühungen der Politiker, den Nachrichtentag mit eigenen Themen zu dominieren. Das sei schwieriger geworden:

When I fought the 1997 election – just ten years ago – we took an issue a say. In 2005, we had to have one for the morning, another for the afternoon and by the evening the agenda had already moved on.

Er kritisiert Dramatisierungen:

Life’s usual grey is almost entirely absent. „Some good, some bad“; „some things going right, some going wrong“: these are concepts alien to today’s reporting. It’s a triumph or a disaster. A problem is „a crisis“. A setback is a policy „in tatters“. A criticism, „a savage attack“.

Und die „neuen Medien“ kommen bei ihm nicht eben gut weg:

It used to be thought – and I include myself in this – that help was on the horizon. New forms of communication would provide new outlets to by-pass the increasingly shrill tenor of the traditional media. In fact, the new forms can be even more pernicious, less balanced, more intent on the latest conspiracy theory multiplied by five.

Der Independent, die einzige von Blair direkt kritisierte Zeitung, stellt den Angriff natürlich als Auszeichnung dar. Guardian-Kommentator Martin Kettle sieht in der Rede einen Weckruf, der vermutlich ungehört verhallen wird. Aber die interessanteste Reaktion kommt von Emily Bell, der Onlinechefin des Guardian. Sie nennt in ihrem Kommentar unter anderem ein paar ganz praktische Gründe, warum das Parlament ins mediale Abseits geraten ist — und die ziemlich genau auch auf den Bundestag zutreffen. Und Bell sieht gerade im Netz, wo Berichterstattung und Analyse eher eine Konversation als ein abgeschlossener Vorgang sind, mehr Ausgewogenheit als in den „linearen Medien“:

The people who are, in my limited experience, most hostile to the idea of the democratising effect of the web are journalists and politicians, both sets much keener on central contol and power than they would care to admit.

(Obige Zeichnung nach (CC)-lizensiertem Foto von Jens-Olaf.)

Fünfzigtausend

Alte Guardian-Titelseiten zum Jubiläum.

Der Guardian feiert seine 50.000 Ausgabe mit einem Artikel und vor allem einer Galerie von 50 Titelseiten seit 1821 — und die zeigt, wie sehr sich die Zeitungen äußerlich verändert haben.

„Atomic bombs used on Japan“ steht 1945 in Versalien über einem langen Zweispalter, auf einer Seite voller Text, ohne ein einziges Bild. Während der Suezkrise 1956 finden sich auf der Titelseite so hölzerne Überschriften wie „Mr. S. Lloyd to attend N.A.T.O. Council“ und „Mr. Gaitskell puts Labour’s view“. Erst beim Kennedy-Attentat 1963 sieht die Seite eins so aus, wie man es erwartet: die unterstrichene Schlagzeile größer als der Zeitungskopf. Ähnlich eindrucksvoll ist der Vergleich zwischen der Ausgabe vom 13. Juni 1964 – Nelson Mandela wird zu lebenslanger Haft verurteilt – und der vom 12. Februar 1990 – Nelson Mandela ist frei.

Paralysiert

Warum der BBC iPlayer nicht vorankommt.

Von der geplanten BBC-On-Demand-Plattform iPlayer war ja bei Wortfeld schon öfters die Rede. Sie ist, nach vier Jahren, immer noch die geplante Plattform. Bobbie Johnson hat für den Guardian versucht herauszufinden, warum die BBC unter anderem damit nicht vorankommt. Ein Auszug aus dem Artikel:

After years of being technologically ahead of its rivals in both the public and private sector, people at the heart of the corporation say that it is paralysed by fear, and innovation has been crippled by a power struggle between different factions.

(Da MediaGuardian eine Registrierung erfordert, geht der Link jetzt direkt auf das Weblog des Autors.) Um den Hintergrund zu verstehen: Tessa Jowell, über die Ex-BBC-Generaldirektor Greg Dyke so sehr schimpft, ist seit 2001 die britische Ministerin für Medien. Michael Grade leitete von 2004 bis 2006 das BBC-Aufsichtsgremium. Ofcom ist der britische Kommunikations-Regulierer, der sich um vieles kümmert, aber nicht die BBC-Aufsicht. Dafür war von 1927 bis 2006 das Board of Governors zuständig, seit 2007 ist es der BBC Trust.