Observiert

Relaunch-Effekte bei Guardian und Observer.

In der FAZ am Freitag stand am Ende einer Meldung über einen Chefwechsel bei der britischen Sonntagszeitung Observer Folgendes:

Der „Guardian“ hat seit der teuren Umstellung auf das Berliner Format an Auflage verloren. Der „Observer“ legte dagegen deutlich an Auflage zu.

Tatsächlich? Die Guardian-Auflage hat in den Monaten nach der Umstellung die 400.000er-Grenze überschritten, seither sind es zwischen 360.000 und 380.000 Exemplare (ABC-Zahlen). Im halben Jahr vor dem Relaunch lag die Auflage durchschnittlich bei 337.000 Exemplaren.

Der Observer hat erst im Januar auf das Berliner Format umgestellt und von dem Relaunch deutlich mehr profitiert: Die Auflage schnellte im Januar 2006 auf 542.000 Exemplare hoch. Mittlerweile sind es 430.000 bis 480.000. Wieder zum Vergleich: Im halben Jahr vor dem Relaunch waren es durchschnittlich 410.000 Exemplare.

Auflagen von Guardian und Observer von August 2005 bis September 2007

Anders gesagt: Direkt nach dem Relaunch haben beide Zeitungen deutlich zugelegt, dieses Plus ist mittlerweile wieder etwas abgeschmolzen, aber die Auflage ist höher als zuvor. Den Gegensatz, den die FAZ-Journalistin aufstellt, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

Blockgletscher

Und schließlich der FAZ-Relaunch.

Hoch und heilig: mein letzter Beitrag zum FAZ-Relaunch. Nun ist er da, und wer mag, kann ihn sich per Video von Werner D’Inka erläutern lassen.

FAZ- und FAS-Schriften

Ich schließe mich überwiegend Jürgen Sieberts geschmackspolizeilicher Analyse an: Designpreise gibt es dafür nicht. Hätte ich beim Titelseiten-Foto der ersten neugestalteten Ausgabe auf eine unangreifbar tolle Aufnahme gewettet, hätte ich verloren: ein mäßiges Foto von Kim, Roh, Kellner und sieben Flaschen Wein. Das neue Design ist ansonsten solide, aber eben leider völlig auf der sicheren Seite. Schade, dass gestalterische Veränderungen bei der FAZ immer das Tempo von Blockgletschern haben müssen.

Etwas überrascht hat mich die Schrift, die die FAZ-Fraktur für Meinungsartikel ersetzt: Times New Roman Bold Condensed, also die schon bislang omnipräsente Schrift, nur schmal gestellt — selbst für FAZ-Verhältnisse ein bisschen konservativ. War das eine Umentscheidung in letzter Minute? Der umhergezeigte Dummy, der auch im Video zu sehen ist, zeigt noch eine andere Schrift — etwas schwer zu erkennen, könnte eine fette Walbaum sein.

Überschrift in Walbaum Bold und Times Bold Condensed

Die obere Variante hätte für etwas mehr Spannung und mehr Profil gesorgt. Um noch einmal Fontblog beizupflichten: Die FAZ verdient eigentlich eine Exklusivschrift, wie etwa der Guardian.

Schild und Schaum

Die FAZ verteidigt den Relaunch vorab.

Dass eine Zeitung sich vor einer Design-Erneuerung mal umhört, wie die Leser den Entwurf finden, ist unspektakulär bis üblich. Was die FAZ macht, geht eine Spur weiter: Die in einer repräsentativen (!) Befragung des Lieblingsinstituts Allensbach gewonnene Leserpräferenz für den mittelmutigen Entwurf von dreien ist der Schild für die Schlacht mit der lautstarken Minderheit der Allesbewahrer. „Einladend, frisch, übersichtlich“ schreibt die Zeitung am Donnerstag auf der Titelseite über sich selbst, mit dem neuen Erscheinungsbild folge die FAZ „dem Votum einer großen Mehrheit ihrer Leser“.

Und schon vor dem Relaunch am Freitag schäumen die ersten Kommentatoren: „Die Abbildung der ersten Seite im neuen Stil läßt mich ernsthaft über die Kündigung meines langjährigen Abonnements nachdenken. “ „Früher gab es weder bunte Bilder noch farblich unterlegte Überschriften. Dennoch stand mein junges Herz sofort in Flammen und die Zuneigung zu dieser Lektüre ist bis heute nicht abgeflaut.“ „Frankfurter Allgemeine Kinderzeitung. (…) FAZ, was ist aus Dir nur geworden?“ „Das konsequente Beharren auf der traditionellen Rechtschreibung war wohl der letzte Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins. Nach der Aufgabe dieser Position begibt sich die FAZ nun endgültig in die Niederungen der kommerziellen Angepaßtheit hinab.“ „mal sehen, wann franz beckenbauer seine kolumne auf der titelseite bekommt…“

Immer greller

FAZ-Relaunch am Freitag.

Die konservativeren unter den FAZ-Lesern sollten ihre Zeitung jetzt nicht mehr zum Altpapier bringen. Nur noch bis zum 4. Oktober wissen DWDL und kress, ist die Titelseite frei von Farbfotos. Am 5. schlägt dann der lange angekündigte Relaunch zu. Bald danach wäre eine Neuauflage der Imagebroschüre empfehlenswert, in der es momentan in bestem Manufactum-Tonfall heißt:

Eine Titelseite ohne Bilder – auch das ist ein Merkmal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am Kiosk, inmitten der immer greller bebilderten Printprodukte, ist sie dadurch auf den ersten Blick zu erkennen.

Nachtrag: Mercedes Bunz hat auf der OMD die neu gestaltete FAZ fotografiert. Auch FAZ.NET wird — endlich — etwas aufgeräumter.

(Apropos lange angekündigt: Der neue Name steht fest, die Zeit durfte schon das Geotagging bewundern, die Werber dürfen derzeit gucken, das Flash-Intro läuft. Und die Passwortabfrage meldet sich schon mit „Produktiv-System WestEins“. Na dann!)

Happy Barcode!

30 Jahre EAN in Deutschland.

Keine Sondersendungen, keine Gedenkstunde im Bundestag, keine Ansprache des Bundespräsidenten. Aber keine Sorge, kleiner Strichcode: Wortfeld hat Deinen 30. Geburtstag nicht vergessen.

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