Druck und Wandel

Notizen vom ersten Tag des DLD 06.

Vom Digital Lifestyle Day 2006 in München
Technorati: – Flickr: dld06

Für alle, die sich die Panels des Digital Lifestyle Days anschauen wollen: Es gibt Videos davon. Obendrein haben diverse Podcaster und Blogger Interviews geführt, die sicherlich in den nächsten Tagen auftauchen. Die reine (und anstrengende) Dokumentation des Ereignisses können also andere übernehmen. Stattdessen ein paar Gedanken aus der für mich spannendsten Diskussion, „Europe’s catch-up“.

Thomas Middelhoff hat es geschafft, das Grundgemurmel im Saal zum Verstummen zu bringen, als er das Geschäftsmodell der Medienbranche anzweifelte. (Sonst klingt es häufig danach, was für Pläne die Medienbranche als nächstes hat, oder wie sich die Medienbranche dramatisch verändert. Aber eine Medienbranche ohne Geschäftsmodell?) Die Frage sei, so Middelhoff, ob die Unternehmen wirklich bereit seien, ihr Geschäftsmodell zu ändern. Erstes Opfer sei die Musikindustrie gewesen, nun sei die Filmindustrie dran, als potenzielle nächste Opfer nannte er Free-TV und Printmedien. Middelhoff sinngemäß: ‚Die Zeitungsbranche braucht ein neues Geschäftsmodell, das auch noch in fünf bis zehn Jahren funktioniert. Die Verleger bleiben auf die Frage danach eine klare Antwort schuldig. Es ist notwendig, unter Unsicherheit zu handeln, nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Doch der Druck für einen Wandel ist stärker, als die Manager denken.‘ (Daneben gab es noch einmal viel Rechtfertigung für frühere Entscheidungen, die weniger spannend war. Aber das Genannte ist ein deutlicher Warnschuss für die Branche von einem ihrer früheren Top-Manager.)

Hubert Burda hatte einige Vorwürfe gegenüber der Politik — da EU-Kommissarin Viviane Reding anwesend war, richtete sie sich vor allem die frühere Generaldirektion Informationsgesellschaft. Burda sagte, Politik sei immer noch „text-driven, television-minded, broadcasting-minded“. (Daneben kritisierte er die deutschen Unis, was weniger spannend war.) Reding räumte ein, dass Politiker einen Hang zu alten Denkmustern hätten. Loïc le Meur nannte eine Reihe von Beispielen von Märkten, die von US-Firmen dominiert werden, und europäischen Firmen, die von US-Firmen übernommen wurden, und fragte, warum dies nicht als Katastrophe wahrgenommen werde und wie man die nationalen Politiker aufwecken könne.

Ebenfalls für Stille im Saal sorgte Thomas Madsen-Mygdal von 23 mit einem Eingangsstatement, das sich gegen Redings Forderung nach besserem und EU-harmonisiertem Schutz von geistigem Eigentum richtete. Jedes E-Business-Unterfangen von (DLD-Veranstalter) Hubert Burda Media verstoße vermutlich gegen unzählige Patente, so Madsen-Mygdal. Zu spüren bekämen solche Probleme aber nur das kleine Garagen-Startup ohne Anwalt oder der individuelle Internetnutzer. Später forderte er auf, Firmen anzugreifen, die auf das alte Geschäftsmodell „lock-in“ setzten. Wie hätte sich die Blogosphäre entwickelt, fragte er, wenn allein (beispielsweise) Typepad den Markt dominiert hätte und die neuen Features eingeführt hätte, die es für richtig hält?

All dies basiert nur auf kurzen Notizen, zitierfähiges Material dann im Video des Panels. (Ebenfalls sehenswert für Interessierte: Dan Dubno von CBS News führte am Ende von „What matters?“ Filmchen vor. Eine 3D-animierte Sixtinische Kapelle für die Papst-Berichterstattung, ein 3D-animiertes Tatorthaus für eine Kriminaldoku und eine Wahl-Monitorwand, die sich an der Bedienung des Bildschirms bei „Minority Report“ orientierte. In den letzten Minuten des Panel-Videos zu finden.)

Mehr dazu: Europe’s Catchup (Nicole Simon), Day 1 take-aways (Bruno Giussani).

Munich calling

Digital Lifestyle Day 2006.

Vom Digital Lifestyle Day 2006 in München
Technorati: – Flickr: dld06

So ganz weiß ich auch nach einem Blick auf das Echo auf die vergangene Konferenz nicht genau, was mich auf dem Digital Lifestyle Day 2006 erwartet — „Trends und Perspektiven des digitalen Wandels“ (dpa) oder ein „Check, was nach den Klingeltönen in die Konsumentengans gestopft werden kann“ (Hal Faber). Jedenfalls bin ich gespannt auf die kommenden Tage in München und wie immer darauf, einigen Blogs endlich Gesichter zuordnen zu können.

Es gibt ein offizielles Moblog, angekündigt sind Podcasts bei Tomorrow auf Deutsch und auf der DLD06-Site auf Englisch, obendrein Videos. Der Neu-Münchner Heiko Hebig hat zudem ein paar Tipps für Teilnehmer. Der Saxophonist spielt sich schon einmal warm hier im ersten Stock, aber bislang fehlt mir eine wichtige Zutat für den digitalen Lebensstil: eine Steckdose.
(Ich befürchte übrigens, eine der Folgen des DLD-Besuchs ist intensives Nachdenken über einen Nachfolger für mein Ende 2001 offiziell vorgestelltes Mobiltelefon mit pastellblauer Hintergrundbeleuchtung. Ich weiß: ich Konsumentengans.)

Nachtrag: In der Reihe vor mir sitzt Bruno Giussani, der fleißig livebloggt.

Blogs gescheitert, weitermachen

Spiegel Online über angebliche Blog-Schließungen.

Ganz unproblematisch ist das nie, wenn professionelle Medien „bloggen“: Das Führen von Weblogs ist per definitionem eine Sache des „alternativen Journalismus“, der „Community“ – es definiert sich teils dadurch, dass es eben nicht kommerziell und „professionell“ motiviert ist. Medien nehmen das Blog dagegen als bloße Stilform auf, was mal mehr, viel öfter aber weniger glaubwürdig ist.

Das könnte Selbstkritik an „The World From Berlin“ (ehemals „Fishwrap“) sein, einem angeblichen Weblog von Spiegel International, ist es aber nicht. Im oben zitierten Spiegel-Online-Artikel heißt es, die „Washington Post“ habe ihr Experiment beendet, Leser unter dem Dach der Zeitung bloggen zu lassen. Gescheitert sei dieses Blog-Experiment, von der „Schließung des Angebots“ ist die Rede.

Ausriss: Washington Post macht Blog dicht

Nicht ganz: Die Washington Post hat nicht nur ein Weblog, sondern bei der letzten Zählung 19 Weblogs. Einige beschäftigen sich mit den Bundesstaaten in der Umgebung von Washington, andere sind Personen-Weblogs, eines verfolgt die Kandidatur von Richter Alito für das Oberste Gericht. Doch alle scheinen bestens zu funktionieren.

Mit mehr als nur Wohlwollen könnte man den Spiegel-Online-Artikel so verstehen, dass Weblogs nur dann Weblogs sind, wenn die Kommentare offen sind. Werden also die Kommentare geschlossen, schließt man damit die Weblogs. Diese Definition ist zwar sehr strikt und vielleicht auch ein wenig irreführend. Ich habe aber soeben auf einem der dortigen Weblogs kommentieren können.

Erhellend ist allein das öffentliche Statement „auf der Blog-Webseite“, das Spiegel Online verlinkt: Washingtonpost.com hat schlicht die Kommentare im Weblog der Herausgeber geschlossen, und nur dort. Was das alles mit bloggenden Lesern unter dem Dach der Zeitung zu tun hat — ich weiß es nicht. Der Artikel endet mit einem Hinweis, dass die „Los Angeles Times“ ähnliche Erfahrungen machte und „ihr offenes Blog“ nach zwei Tagen wieder schloss. Danke der Nachfrage: Den dortigen mindestens neun Weblogs geht es gut, auch wenn dort die Kommentare nach Absenden erst noch freigeschaltet werden. Mit „offenes Blog“ ist offenbar ein fehlgeschlagenes Experiment mit einem Wiki-Editorial gemeint.

(Wäre es nicht leichter gewesen, einfach direkt zu schreiben, dass der Autor Weblogs professioneller Medien nicht mag?)

Wiki P., Nachtrag

Über den Anlass des Streits.

Fast jeder hat mittlerweile fast alles über den Fall Tron gesagt. Bislang entgangen war zumindest mir die Behauptung, dass der Autor eines schauderlich klingenden Hacker-Verschwörungs-Romans auf dem vollen Namen von Boris F. als Namen für eine fiktionale Figur mit der Begründung beharre, der Name F.s stehe auch in der Wikipedia. Das soll der konkrete Anlass für die (verweigerte) Bitte der Eltern an die Wikipedia gewesen sein, den Nachnamen abzukürzen, sagt CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn laut ORF futurezone.

Die Folgen des Streits sind wahrlich nicht schön: Die Eltern stehen mehr im Rampenlicht als je zuvor, Wikimedia Deutschland darf wikipedia.de vorerst nicht mehr als Weiterleitung zur deutschen Wikipedia verwenden und der Roman bekommt unverdiente Publicity. Aber zumindest dürfen wir alle – die Wikipedianer ausdrücklich eingeschlossen – noch einmal darüber nachdenken, ob es weise ist, solche Konflikte juristisch zu lösen.

Nachtrag: Weiterleitungsverbot aufgehoben.

Auf die Finger

Über die kleine Medienkritik in Weblogs.

  1. Medienrauschen: Wird man es bei Spiegel Online jemals lernen?
    (Kurzfassung: In einem Spiegel-Online-Artikel sind Wikipedia-Auszüge ohne Quellenhinweise übernommen.)
  2. Mathias Schindler: Spiegel Online: Souveräne Reaktion
    (Kurzfassung: Spiegel Online hat sich entschuldigt.)
  3. Peter Turi: Spießer2.0
    (Kurzfassung: Kritik an kleinkarierten Blog-Attacken gegen die etablierten Medien.)
  4. Fabian Mohr: Warum Haue pädagogisch wertvoll ist
    (Kurzfassung: Inhalte kopieren ist nicht nur provinziell, sondern dumm.)