ICANN und die Weltfernmeldeunion ITU

Hintergrund zur Rolle der International Telecommunication Union

(Kap. 5.1.5.3 aus: Alexander Svensson, Regierungsbeteiligung und Nutzerpartizipation bei der Internetverwaltung ICANN, Stand: November 2002)

Die Weltfernmeldeunion ITU ist auf mehrere Weisen ein Gegenspieler zum ICANN-Modell: Die Verwaltung von Nummern und Vergabe von Radiofrequenzen sind traditionelle Aufgaben der ITU, und nicht alle Staaten sind damit einverstanden, dass die ITU bei der Verwaltung von Internetadressen und Domainnamen außen vor gelassen wurde. Zudem ist die ITU eine klassische internationale Vertragsorganisation und eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, während ICANN eine private Organisation kalifornischen Rechts ist.

Vorläufer der heutigen International Telecommunication Union ist die Internationale Telegraphen-Union, die 1865 gegründet wurde und – nach den multilateralen Kommissionen für Donau- und Rheinschifffahrt – als erste internationale Organisation gilt. Oberstes Organ ist die vierjährliche Konferenz der Regierungsbevollmächtigten, zwischen diesen Konferenzen ist es der ITU-Rat; in beiden Gremien sind ausschließlich Regierungen vertreten. Nach einer großen Strukturreform Anfang der neunziger Jahre ist die ITU in drei Sektoren gegliedert: Radiokommunikation (ITU-R), Telekommmunikations-Standardisierung (ITU-T) und Telekommunikations-Entwicklung (ITU-D). Die Politik der ITU wird auch nach der Reform wesentlich von den Mitgliedstaaten dominiert, wenngleich die Rolle privater Unternehmen und Verbände insbesondere im Sektor Standardisierung zugenommen hat.

Diagramm: Struktur der ITU-T

Bei der Erarbeitung des gTLD-Abkommens von 1997, das nie umgesetzt wurde, hatte die ITU eine wichtige Rolle: Sie war in der elfköpfigen Gruppe vertreten, die das Abkommen erarbeitete, der ITU-Generalsekretär sollte es an öffentliche und private Stellen verteilen, als Depositar die Unterschriften entgegennehmen und „weitere Kooperation bei der Implementierung des gTLD-MoU ermöglichen“ (GTLD-MoU 1997). Zudem sollte die ITU zwei Vertreter in das zwölfköpfige Aufsichtsgremium namens Policy Oversight Committee entsenden.

Von entscheidender Bedeutung ist aber die Frage, ob in dieser Phase die ITU-Aktivitäten im Namen und mit Billigung der Mitgliedstaaten geschahen. In der Antwort des deutschen Bundesjustizministeriums auf eine Kleine Anfrage vom Mai 1997 heißt es: „Die Bundesregierung ist bei den Beratungen nicht konsultiert worden, da es sich nicht um Regierungsverhandlungen handelte. (…) Hinsichtlich der ITU und WIPO gilt, daß in diesen VN-Organisationen keine vorbereitenden oder begleitenden Regierungsverhandlungen stattgefunden haben.“ (Bundestag 1997:zu 9.). Die Antwort ist auch an anderer Stelle deutlich: Dass die Verhandlungen nicht durch Beratungen der ITU- oder WIPO-Mitgliedsstaaten vorbereitet wurden, sei bedauerlich: „Dies hätte aber insbesondere bei der Internationalen Fernmeldeunion nahegelegen, weil diese sich als Depositar für ein vom IAHC ausgearbeitetes Memorandum of Understanding zur Verfügung gestellt hat.“ (Bundestag 1997:zu 1.).

Die Reaktion der US-Regierung auf die ITU-Aktivitäten war deutlich schroffer. Mueller zitiert aus einem Telegramm, das die US-Außenministerium Madeleine Albright an die Vertretung der USA in Genf geschickt hat, als die ITU zur feierlichen Unterzeichnung des gTLD-Abkommens einlud: Die US-Regierung stelle zum einen in Frage, dass die ITU ein volles Treffen der Mitgliedstaaten einberufen darf, ohne dazu von den Regierungen bevollmächtigt zu sein. Zudem habe man bislang weder eine Haltung zu diesem Abkommen noch „on the appropriate role, if any, of the ITU, WIPO, or other international organizations in the administration of the Internet.“ (Mueller 2002:157).

Die skeptische Haltung lässt sich auf eine Reihe von Ursachen zurückführen: Zum einen ist die ITU lange Zeit ein Verbund staatlicher Fernmeldeverwaltungen gewesen. Da sie an der Koordination der internationalen Fernmeldetarife mitgewirkt hat, ist sie in dieser Hinsicht zum Teil als Kartell angegriffen worden, das die Preise für Auslandstelefonate hoch halte. Die Reform der ITU ist schon aufgrund der weltweiten Deregulierungswelle im Bereich Telekommunikation notwendig geworden. „Sollte die ITU nicht in der Lage sein, diese (privaten – d.Verf.) Akteure zu integrieren, dürfte sie Zuständigkeiten an alternative internationale Gremien verlieren, die offener für private Körperschaften sind.“ (Tegge 1994:70) Inwieweit das bereits gelungen ist, bleibt umstritten. Einige Regierungen nehmen Vertreter des privaten Sektors in ihre Delegation auf, um ihnen so die Beteiligung an bestimmten Sitzungen zu ermöglichen. Delegationen der USA sind bereits mit mehr Firmen- als Behördenvertretern angereist (Hills 1994:180).

Des weiteren hat in den 70er und 80er Jahren ein Prozess der Politisierung der ITU stattgefunden, auch wenn der Grad dieser Politisierung von hochrangigen US-Beteiligten unterschiedlich wahrgenommen wurde (Kinn 1985:43-47). Wie bei anderen Weltorganisationen hatten die Entwicklungsländer nach der Entkolonialisierung eine numerische Mehrheit im Plenum erreicht und forderten eine stärkere ITU-Beteiligung bei der Entwickungshilfe. Bei der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten 1982 drohte die US-Regierung mit dem Verlassen der Konferenz und dem Austritt aus der ITU, falls Israel von der Konferenz ausgeschlossen werde.

Die andere Ursache für die Skepsis gegenüber der ITU ist die Arbeitsweise bei der Entwicklung von Standards. Die für das Internet grundlegenden Protokolle wurden nicht nur ohne Zutun, sondern beinahe gegen die von Regierungen und Fernmeldeverwaltungen dominierten Standardisierungsgremien entwickelt. Die Standardisierungsorganisation ISO begann in den siebziger Jahren die Arbeit an ihrem eigenen Referenzmodell für Netzwerkverbindungen mit dem Namen OSI (Open Systems Interconnection). Das OSI-Modell war in verschiedene Schichten unterteilt, weitaus komplizierter als die TCP/IP-Protokolle des Internets und zudem hochgradig abstrakt: „You couldn’t read an OSI document if your life depended on it.“, wie es vor einigen Jahren der Internetpionier Vint Cerf ausdrückte (Hafner/Lyon 1996:247). Im „Kampf der Protokolle“ setzte sich schließlich das offen entwickelte TCP/IP gegen das in unzähligen Komiteesitzungen entworfene OSI-Modell durch. Die öffentliche Förderung der erfolglosen OSI-Entwicklung wird auf 30 bis 50 Millionen Euro geschätzt, die Entwicklungsaufwendungen der auf europäischer Seite beteiligten Firmen auf einen dreistelligen Millionenbetrag (Zorn 1998:195, 202).

Geblieben ist ein tiefes Misstrauen gegen die als arrogant und besserwisserisch empfundene Welt der Standardisierungsorganisationen, das auch die ITU trifft. Eine Stellungnahme des IETF-Vorsitzenden Fred Baker steht beispielhaft für diese Haltung: „The ITU has not proven itself competent in handling internet facilities. If anything, they’ve proven themselves completely unknowledgeable on the subject.“ (Paik/Stark 2000:IV.b.).

Bei ICANN sollte dies, so die Vorstellung der US-Regierung und vieler Unternehmen aus dem Bereich Informationstechnologie, alles anders sein: Statt indirekter Beteiligung des Privatsektors sollten Unternehmen eine Führungsrolle einnehmen. Die Politisierung der Organisation sollte unter anderem dadurch verhindert werden, dass Regierungsvertreter nicht Direktoren werden konnten. Vor allem sollte die Organisation schneller und unbürokratischer arbeiten als die ITU.

Mittlerweile hat die ITU, nicht zuletzt aufgrund konkurrierender regionaler Standardisierungsorganisationen wie des ETSI (Tegge 1994:293), die eigenen Arbeitsmethoden verändert. Die ITU verweist darauf, dass die Zeit für die Annahme vom Empfehlungen von vier Jahren (vor 1998) auf neun Monate, in Ausnahmefällen sogar nur fünf Monate gesenkt wurde (1997-2000) (Hill 2002b:Slide 16). Das Image „bislang eher behäbige[r] Anstrengungen“ (Schrogl 1994:99) haftet der Organisation jedoch weiterhin an.

Mit der US-amerikanischen Haltung, die ITU aus der Verwaltung von Internetadressen und Domainnamen herauszuhalten, haben sich viele Regierungen jedoch nicht abgefunden. Auf der ITU-Konferenz der Regierungsbevollmächtigten 1998 in Minneapolis wurde eine Resolution verfasst, die den ITU-Generalsekretär zumindest zur weiteren Beteiligung an den Diskussionen berechtigt.

Auf den ICANN-Reformprozess hat ITU-T-Direktor Houlin Zhao mit einem ausführlichen Papier geantwortet, das zwar innerhalb der ITU mit Staaten und Vertretern des privaten Sektors diskutiert wurde, aber kein beschlossenes ITU-Dokument darstellt (Zhao 2002). Auf die Vorwürfe, die ITU sei zu langsam, könne die nationalen Interessen der USA und die kommerziellen Interessen einiger Beteiligter verletzen, antwortet Zhao mit Verweis auf die von ICANN-Präsident Stuart Lynn eingestandenen Probleme ICANNs: ICANN sei zu langsam, habe die nationalen Interessen mehrerer Länder nicht geschützt und sei unbotmäßig von einzelnen kommerziellen Interessen, zuungunsten anderer kommerzieller Interessen, beeinflusst worden.

Zhaos Bericht betont einerseits den Wandel der ITU und weist andererseits darauf hin, dass nicht alle Regierungen mit der gegenwärtigen Rolle der US-Regierung bei der Verwaltung von Domainnamen und Internetadressen einverstanden sind: „Thus the challenge today is to find ways in which the national interests of all countries can be preserved.“ (Zhao 2002:6 – Hervorhebung im Original). ITU-T könne ICANN dabei helfen, erfolgreich zu werden, indem es bestimmte Gebiete „in Zusammenarbeit“ mit ICANN bearbeitet; exemplarisch genannt werden Länderdomains, Fragen rund um die besonderen Top-Level-Domains .arpa und .int und die Vergabe von IP-Adressen. .arpa ist eine technische Infrastrukturdomain, die z.B. für das Internettelefonie-System ENUM – e164.arpa – genutzt wird. Unter .int können nur multinationale Vertragsorganisationen Domainnamen beantragen, es gibt dort bislang nur wenige Registrierungen. Beide Top-Level-Domains werden derzeit von ICANN selbst betrieben. Diese Vorschläge werden in einem weiteren inoffiziellen, aber publizierten Dokument von Richard Hill ausgeführt (Hill 2002c). ICANNs Reformkomitee reagierte auf das Dokument nur mit einer kurzen, warnenden Erwähnung in einem Bericht: „While again not a structural or functional proposal, it deserves careful reading both of the explicit text and the text between the lines.“ (Pisanty 2002).

Im Oktober 2002 hat die Regierungsbevollmächtigten-Konferenz in Marrakesch schließlich ihre Resolution 102 zur Verwaltung von Internet-Domainnamen und -Adressen neu gefasst. In diesem Dokument werden zwei Aspekte dieser Verwaltung deutlich unterschieden:

  • technical and coordination tasks, for which technical private bodies can be responsible, and;
  • public interest matters (for example, stability, security, freedom of use, protection of individual rights, sovereignty, competition rules and equal access for all), for which governments or intergovernmental organizations are responsible and to which qualified international organizations contribute; (aus: ITU 2002a)

Die Mitgliedstaaten werden in der neuen Fassung nicht mehr aufgefordert, alle „interested non-governmental parties“ (1998) auf das Thema aufmerksam zu machen, sondern alle „appropriate entities“ (2002). Diese werden auch nicht mehr zur „participation in the entities managing Internet domain names and addresses“ ermuntert, sondern zur „participation in the management of Internet domain names and addresses“. So subtil diese Änderungen im Einzelnen sind, zeigen sie doch insgesamt eine Abkehr von der Führungsrolle des privaten Sektors und stattdessen eine Betonung des public interest . ICANN wird nicht namentlich erwähnt, allerdings werden bei ITU-Resolutionen private Organisationen generell selten genannt.

In der Resolution weisen die Regierungsbevollmächtigten dem ITU-Generalsekretär eine „signifikante Rolle“ bei internationalen Initiativen und Diskussionen über Internetdomainnamen und -adressen zu. Der ITU-Sektor für Entwicklung soll nun internationale und regionale Foren organisieren, bei denen Internetfragen politischer, operativer und technischer Art im Allgemeinen und die Verwaltung von Internetdomains und -adressen im Besonderen diskutiert werden sollen. Die Frage der Länderdomains wird besonders erwähnt; es wird betont, dass die Mitgliedstaaten die Interessen der Bevölkerung der Länder oder Territorien repräsentieren, denen eine Länderdomain zugewiesen wurde.

Die in Marrakesch verabschiedete Resolution geht auf zwei Entwürfe zurück: Der eine Entwurf ist eine gemeinsame europäische Position, die von der französischen Regierung verfasst wurde und unter anderem von Deutschland stark unterstützt wurde. Der zweite Entwurf stammt von der Afrikanischen Telekommunikationsunion unter der Federführung Kenias. Während der Debatten auf der Konferenz waren nahezu alle Stellungnahmen von Delegationen für einen der beiden oder beide Entwürfe. Insbesondere Deutschland und Frankreich haben dabei die Rolle der ITU auf diesem Gebiet in ihren Stellungnahmen vor dem Plenum betont.

Die Resolution 102 wird als Empfehlung einer „enhanced role of governments“ verstanden (Interview A.2), damit ist aber noch nicht über das Forum entschieden. Einige EU-Regierungen „consider that it is necessary or appropriate to go beyond their position in the GAC to implement their responsibilities as defined by the ITU Resolution.“ (Interview A.2). Die ITU, insbesondere ITU-T und das Generalsekretariat, bemüht sich deutlich, die eigene Rolle im Bereich Internet, auch Domainnamen und IP-Adressen, zu stärken. Die besten Chancen dafür bieten sich derzeit auf dem Gebiet der Länderdomains, bei dem sich viele Länderdomainverwalter von ICANN enttäuscht gezeigt haben und an dem Regierungen ein besonderes Interesse haben. Auch die Schirmherrschaft über die Top-Level-Domain „.int“ der internationalen Vertragsorganisationen könnte von IANA an die Weltfernmeldeunion übergehen.

Quellen:

  • GTLD-MoU (1997), Memorandum of Understanding on the Generic Top Level Domain Name Space of the Internet Domain Name System. URL: http://www.gtld-mou.org/gTLD-MoU.html.
  • Bundestag (1997), Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Manuel Kiper und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 13/7600. URL: http://dip.bundestag.de/btd/13/076/1307600.asc.
  • Hafner, Katie/Lyon, Matthew (1996), Where Wizards Stay Up Late. New York: Simon & Schuster.
  • Hill, Richard (2002b), ITU-T and ICANN Reform. Presentation to CENTR. URL: http://www.centr.org/meetings/ga-15/CENTR3.pdf.
  • Hill, Richard (2002c), Background for Discussion with ICANN. URL: http://www.itu.int/ITU-T/tsb-director/itut-icann/bgdiscussions.pdf.
  • Hills, Jill (1994), Dependency Theory and its Relevance Today: International Institutions in Telecommunications and Structural Power. In: Review of International Studies, 20, S.169-186.
  • Kinn, Robert A. (1985), United States Participation in the International Telecommunication Union: A Series of Interviews. In: Fletcher Forum, 9, Nr. 1, S.37-68.
  • Mueller, Milton L. (2002), Ruling the Root. Cambridge/London: MIT Press.
  • Paik, Gina/Stark, P.R. (2000), The Debate Over Internet Governance: A Snapshot in the Year 2000. Fred Baker. URL: http://cyber.law.harvard.edu/is99/governance/baker.html.
  • Schrogl, Kai-Uwe (1994), Die „neue“ ITU. In: Vereinte Nationen, 42, Nr. 3, S.97-101.
  • Tegge, Andreas (1994), Die Internationale Telekommunikations-Union. Organisation und Funktion einer Weltorganisation im Wandel. Baden-Baden: Nomos.
  • Zhao, Houlin (2002), ITU-T and ICANN Reform. URL: http://www.itu.int/ITU-T/tsb-director/itut-icann/ICANN%20Reform.pdf.
  • Zorn, Werner (1998), Verfehlte Entwicklung. Telekommunikationspolitik in Deutschland. In: Claus Leggewie/Christa Maar (Hg.), Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie?, S. 194-206. Köln: Bollmann.

Datenkauf leicht gemacht

Eine US-Firma bieten Kreditkarten- und Adressdaten anderer Leute an.

Wer schon immer über die Telefongespräche anderer Menschen Bescheid wissen wollte, lebt offenbar im falschen Land: Kleinliche Datenschutzvorschriften würden das in Deutschland wohl verhindern. Anders in den USA: Die Liste der Orts- oder Ferngespräche kostet laut GoldShield nur 95 US-Dollar. Bei Politech wird zu Recht gefragt: Wie kommen die an solche Daten heran? Zu kaufen gibt es unter anderem den aktuellen Stand des Kreditkartenkontos und die Adresse auf Basis von Handynummer oder Autokennzeichen. Die Daten sind offenbar auch nicht fiktiv: Ein Gruppe in San Francisco hat die Kreditkartendaten des Governeurs von Massachusetts bei GoldShield erworben.

Prepcom-3 ringt ums Internet

Bei der Vorbereitungskonferenz zum WSIS-Gipfel wird um die Netzverwaltung gestritten.

ITU überschattet ICANN
Den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft, WSIS, hatte ich anfangs für eine Angelegenheit gehalten, die nicht allzu viel Aufmerksamkeit verdient. Jetzt werden dort offenbar doch ein paar Entscheidungen von Bedeutung fallen. Für heise online berichtet Monika Ermert, die den ICANN-Prozess seit Jahren verfolgt: Ein Ringen um die Netzverwaltung ist offenbar im Gange.

Dabei ist die WSIS-Vorbereitungskonferenz in Genf selbst ein Beispiel, wie eine Netzverwaltung mit noch mehr Regierungseinfluss künftig aussehen könnte: IP-Registries, Länderdomain-Verwalter und Zivilgesellschaft stehen vor der Tür. Einfluss können sie nur indirekt nehmen, wenn sie „ihre“ Regierungsvertreter für sich gewinnen können.

Die derzeitige ICANN mag in der Netzgemeinde einen schlechten Ruf haben, wird von vielen aber als das kleinere Übel gegenüber der ITU angesehen.

Der Einfluss der Regierungen ist schon bei ICANN nicht ganz klein. ICANN ist aber weit entfernt von einer internationalen (Regierungs-)Organisation, bei der jeder Nationalstaat eine Stimme hat. Der Einfluss der Unternehmen ist auch bei der ITU deutlich. Auf gleicher Augenhöhe sind beide aber nicht, und die ITU-Strukturen verstärken den Einfluss großer, internationaler Unternehmen aus dem Telekommunikationsbereich. Die Zivilgesellschaft hat es bei beiden Modellen nicht leicht. ICANN ist aber deutlich zugänglicher für Einzelpersonen, was es kleineren Gruppen leicht macht, sich zumindest Gehör zu verschaffen.

Wie von der UN erwarten viele von ICANN Widersprüchliches: Sie soll sich aus allem heraushalten, was sie nichts angeht, aber zur Stelle sein, wenn es notwendig ist. Natürlich gibt es dabei unterschiedliche Vorstellungen, was zu welchem Bereich gehört. Bei VeriSigns Wildcard-Abenteuer fordern viele ein schnelles Einschreiten. Zwei ICANN-Kritiker haben gerade dargelegt, warum das nicht so leicht ist: Jonathan Weinberg hat sich bei ICANNwatch die Verträge angeschaut, Milton Mueller hat bei Politech davor gewarnt, die Aufgabe den Regierungen zu überlassen.

Update: Offenbar herrscht bei den WSIS-Verhandlungen derzeit Stillstand.

Klare Antwort

Der amerikanische Schriftsteller Don DeLillo bei einer Lesung in Hamburg.

Die Lesung von Don DeLillo in Hamburg musste mir als begeistertem Leser von White Noise, Mao II, Libra, Underworld und Cosmopolis einfach gefallen; erzählenswert ist aber eine Episode vom Ende. Bei der gefürchteten Öffnung der Diskussion für Publikumsfragen stellte sich eine Dame hin, bemerkte, dass sie eigentlich gar keine Frage habe, sondern vielmehr eine Botschaft für den Autoren, lobte hernach DeLillos letztes Werk als Buch der Jahrhundert-, ja Jahrtausendwende, hob auf die gelungene Rezension in der Frankfurter Rundschau ab, zitierte deren Überschrift, schwärmte von den einfachen Dingen, die DeLillo in Frage stelle, und begehrte, dass man dieses Lob dem Autoren übermittle, während sich an der Seite schon die ersten Zuhörer leise davonschlichen. DeLillo — des Deutschen nicht mächtig — antwortete ohne Zögern: „Yes and no.“

Kein Kopftuchverbot ohne Gesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden.

Das BVerfG hat entschieden:

1. Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.
2. Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.
(Mehr im Volltext der Entscheidung)

Das führt natürlich zu Verwirrung bei schlecht formulierten, aber alliterierenden Überschriften wie „Karlsruhe kippt Kopftuchverbot“ (Tagesspiegel, Focus, Spiegel, Tagesschau). Salomonische Lösung bei Spiegel Online: Für kurze Zeit lautete die Überschrift auf der Titelseite „Lehrerin darf /nicht/ mit Kopftuch unterrichten“. Jetzt ist das „/nicht/“ weg, doch Google News hat’s gemerkt. Noch verwirrender: Vor 4 Minuten, meint Google News, hat die FTD den Sieg Baden-Württembergs gegen Fereshta Ludin vermeldet. Das kommt davon, dass die FTD einen Archiv-Artikel aus dem Jahr 2001 auf die Homepage packt.

Das Rätsel der Woche: Wie hat Zeit-Autor Martin Klingst es geschafft, 57 Minuten nach Urteilsverkündung bereits das Urteil durchdacht, einen Leitartikel geschrieben und dazu eine Pressemitteilung herausgebracht zu haben?