Netzmythen in den Medien

Über die Macht der USA im Internet.

Die aktuelle Berichterstattung über WSIS und ICANN ist bislang für weite Teile des deutschen Journalismus kein Ruhmesblatt. „Och, da bleibt ja in Sachen ICANN fast alles beim alten“, tönt es überall. Glückwunsch: In Tunis ging es nur um die Frage, ob alles beim alten bleibt, weil der Kompromiss so lautet oder weil kein Kompromiss gefunden wird. Den Entscheidungskampf um die Internet-Weltherrschaft gibt es nur in den Köpfen von Journalisten — auch die EU zählt zu ICANNs Eltern und will an der Organisation festhalten.

Natürlich haben die USA Macht, natürlich auch im Internet. Das aber an der ICANN-Aufsicht festzumachen, ist nicht sehr überzeugend: Schließlich könnte diese spezifische Macht im Konfliktfall schnell zerbröseln. Und um von dieser Auffassung auch andere zu überzeugen, habe ich hier ein kleine grafische Lüge vorbereitet.
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Annan verteidigt WSIS

UN-Generalsekretär beklagt „Fehlinformationen“.

UN-Generalsekretär Kofi Annan

Dass der Streit um Internet Governance tatsächlich ziemlich weit oben angekommen ist, zeigt ein Artikel des UN-Generalsekretärs Kofi Annan in der Washington Post mit dem Titel The U.N. Isn’t a Threat to the Net. Annan beklagt, dass in der Berichterstattung über den Weltgipfel WSIS und die Vorschläge der Arbeitsgruppe WGIG Fehlinformationen herumgeistern. Er erwähnt explizit den Vorschlag eines Forums, in dem nicht nur Regierungen, sondern alle interessierten Akteure zusammenkommen — dieser Plan wird mit einiger Wahrscheinlichkeit umgesetzt.

Der Artikel enthält allerdings wenig Konkretes, sondern beleuchtet noch einmal alle Positionen. Ja, die USA haben ihre historische Sonderrolle bei der Netzverwaltung ehrenhaft erfüllt. Ja, eine Internationalisierung ist wichtig. Ja, Regierungen haben natürlich ein Interesse. Ja, andere Akteure müssen integriert werden. Ja, die Freiheit des Internets muss verteidigt werden. Ja, das Tagesgeschäft müssen die Techniker stemmen.

Der Adressat dieser Botschaft ist daher wohl eher die US-Öffentlichkeit, die angesichts einiger übertriebener Berichte teilweise den Eindruck bekommen haben muss, die Vereinten Nationen stünden kurz vor der Übernahme des Internets.

(Foto © Vereinte Nationen.)

WSIS noch immer kompromisslos

Keine Einigung bei der dritten Vorbereitungskonferenz.

Es ist irrsinnig schwierig, den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) aus der Ferne zu verstehen, aber auch aus der Nähe scheint es nicht einfacher zu sein. Zum letzten Stand der Dinge nach der dritten Vorbereitungskonferenz empfehle ich die Website der Heinrich-Böll-Stiftung, insbesondere Debate Over Internet Governance Gets to the Core (29.09.) und PrepCom closes in Disarray (30.9.).

Spannend ist auch, wie sich ICANN-Kenner Bret Fausett in seinem Blog und Podcast einen Reim auf WSIS zu machen versucht. Er zeigt jedenfalls deutlich die Perspektive der US-Regierung auf: „The United Nations will not be in charge of the Internet. Period.“ (Und da bin auch ich eher auf Seiten der USA als auf der Irans, Brasiliens und Indiens.)

Wut nach Katrina

Nach dem Hurrikan an der Golfküste.

Abgesehen von der absurden Debatte um die Trittin-Äußerungen ist in den deutschen Weblogs relativ wenig zum Hurrikan Katrina zu lesen — vermutlich aus Fassungslosigkeit. Und zumindest bei mir wächst und wächst diese Fassungslosigkeit. In einem Radio-Interview dreht New Orleans‘ Bürgermeister Ray Nagin am Donnerstagabend nahezu durch, am Ende bricht der Lokalradio-Interviewer in Tränen aus (MP3, Transkript). Anderswo zeigt ein Video, wie den beiden Reportern Shepard Smith und Geraldo Rivera des US-Senders Fox News — nun wirklich alles andere als ein Oppositionskanal — der Kragen über die Lage in der Stadt platzt. Auch vom Moderator im Studio lassen sie sich nicht beruhigen.

Vor übertriebener Kritik warnte dagegen ausgerechnet Jan Egeland, der bei den Vereinten Nationen die Koordination von Katastrophenhilfe leitet. Egeland hatte sich beim Südasien-Tsunami unbeliebt gemacht, als er den Westen als knauserig bezeichnete und dies vor allem als Seitenhieb auf die USA verstanden wurde. Egeland sagte CNN jetzt, der fünfte und sechste Tag sei bei solchen Katastrophen stets kritisch — bald werde es besser. Hoffentlich hat er Recht.

Domains ohne Lobby

Milton Mueller über die .xxx-Verschiebung.

Kaum nach dem Schreiben des vorigen Beitrags über die US-Sonderrolle bei ICANN lese ich Milton Muellers Artikel über die mutmaßlichen Hintergründe der .xxx-Verschiebung. Mueller schreibt unter anderem: „We have just learned that a relatively minor change in political appointees in the Bush White House can, thanks to the USG’s special authority over the Internet, yank the rug out from anything ICANN does.“ (USG steht hier für US Government.)

Dass Regierungen — nicht nur die der USA — eine gewichtigere Rolle bei ICANN spielen als auf dem Papier, weiß Mueller aber eigentlich. Hinter .xxx steht zudem keine bedeutende Lobby, sondern ein kleines Unternehmen, das auf große Geschäfte hofft. Und da es hier um ein Rotlichtviertel im Netz geht, kommt eine sonst ungewöhnliche Allianz zusammen — etwa zwischen muslimischen Ländern und der konservativ-christlichen Bush-Regierung. Dass die .xxx-Domain nun ins Stolpern kommt, finde ich nicht überraschend, ganz im Gegenteil. Ich habe mich eher gewundert, dass die Domain es überhaupt so weit geschafft hat.