In zweieinhalb Wochen feiern die Briten ein denkwürdiges Jubiläum: Am 21. November 1989 ließ das britische Unterhaus die Fernsehkameras ins Parlament. Gleich in der ersten übertragenen Rede erklärte der Tory-Abgeordnete Ian Gow den neuen Zuschauern, was er davon hielt: „I have always voted against the televising of the proceedings of this House, and I expect that I always will.“ (Video) Die britischen Parlamentarier hatten im Vorfeld jahrelang über das Fernsehen und die Folgen gestritten. Ausschüsse legten anfangs exakt fest, was die Fernsehregie zu zeigen hatte: denjenigen, der offiziell das Wort hat — auch und gerade bei Tumulten im Westminster-Palast. Inzwischen hat sich Aufregung längst gelegt, und die Kameras dürfen auch die sogenannten „reaction shots“ zeigen.
Fast 20 Jahre später hat die BBC ein Onlineprojekt freigeschaltet, das sie schon vor einer Weile angekündigt hat: Democracy Live, eine durchsuchbare Parlaments-Mediathek. Das Angebot nimmt britisches Ober- und Unterhaus, die Parlamente von Schottland, Wales und Nordirland und das Europäische Parlament in den Blick, bietet Videos von Reden und Debatten und erschließt die Themen.
Democracy-Live-Nutzer können dabei einzelne Abgeordnete gleichsam abonnieren. Über „Follow this representative“ bekommen Nutzer mit, wann immer es um ihren Parlamentarier geht — nicht nur dessen eigene Reden, sondern auch bloße Erwähnungen. Der Clou: Die Videos werden per Spracherkennung in Text gewandelt und sind damit durchsuchbar. Viele der Videos können auch direkt woanders eingebettet werden, leider aber noch nicht die Videos aus dem Ober- und Unterhaus.
In Deutschland, wo dem Parlamentspräsidenten schon eine Phoenix-Übertragung nicht genügt (Zapp-Video), hat sich mitterweile auch schon einiges getan: Bundestags-Plenardebatten sind in einem Videoarchiv auf bundestag.de zu finden — und Nutzer können die Videostreams ebenfalls bei sich einbetten. Dass das alles noch nicht so einfach funktioniert, wie man es sich wünscht, beschreibt Matthias Mehldau ausführlich auf netzpolitik.org.
Einzelne Landtage haben ebenfalls Video-Archive, die aber nicht sehr zugänglich sind, beispielsweise in Bayern erst nach Sitzungstag, dann nach Tagesordnungspunkt sortiert. Nur ein echter Politikfreak wird einfach auf Verdacht ein Video starten, dass nur mit „Zwischenbemerkung Harald Güller (SPD)“ betitelt ist.
Auch der von Amerikas Kabelnetzbetreibern finanzierte Sender C-SPAN bietet im Netz interessante Video-Suchfunktionen: In der C-SPAN Video Library gibt es beispielsweise einen Personeneintrag zu Angela Merkel, der zu allen Videos mit ihr führt. Damit lässt sich aber auch gleich auflisten, wer mit wem gemeinsam in welchen Videos auftaucht: Bush und Berlusconi, Steinmeier und Solana. Das erinnert ein wenig an die automatische Erfassung der im Fernsehen auftretenden Politiker, die das MIT Medialab vor einigen Jahren als Gegen-Überwachungsprojekt gestartet hatte.
Auch bei C-SPAN sind die Videos durchsuchbar, dafür nutzt der Sender die TV-Untertitel. Eine Videoseite — beispielsweise zur Merkel-Rede vor dem US-Kongress — enthält eine inhaltliche Zusammenfassung, Transkript, Schlagwörter, Personeneinträge und zahlreiche Tools zur Weiterverbreitung. Es werden sogar die Seiten, in denen das Video eingebettet ist, zurückverlinkt.
Ein bisschen Spielerei ist dabei, ein bisschen Eitelkeit der Redner sicher auch. Aber wer je in einer Bibliothek die schweren Bände der Bundestags-Plenarprotokolle gewälzt und mühsam die Fundstellen abgegrast hat, will mit Sicherheit nie wieder zurück zur Welt vor der Volltextsuche.