Heimdrucker-Zeitungen

Über G24, den Web-first-Grundsatz und OnRuhr.

Die britische Tageszeitung Guardian fügt den Formen elektronischen Papiers eine weitere hinzu: G24 soll eine im Viertelstundentakt aktualisierte Kurz-Zeitung zum Ausdrucken werden. Der Leser kann sich sein Blatt aus fünf Themenpaketen zusammenstellen und bekommt dann ein 8- bis 12-seitiges PDF-Dokument. Bislang gibt es nur eine Dummy-Titelseite (im Format 21 x 24,4 cm) zu sehen, der Starttermin wird mit „later in the summer“ angegeben. Für den Leser ist das Blatt dank eines Sponsors kostenlos.

G24-Dummy mit Kategorien Nachrichten, Ausland, Wirtschaft, Sport und Medien

Dabei will der Guardian viele Texte aus dem Online-Angebot in ein Print-Layout gießen und damit vor allem Pendler ansprechen. (Vermutlich werden allerdings die wenigsten G24-Ausgaben daheim auf dem eigenen teuren und langsamen Tintenstrahldrucker entstehen, sondern eher auf dem schnellen Laserdrucker im Büro kurz vor Feierabend.)

Erst vor zwei Wochen hat der Guardian offiziell die Parole „Web first“ ausgegeben — Artikel erscheinen online, bevor sie das im gedruckten Blatt tun. Das Fazit der Guardian-Onliner nach einer Woche ist sehr positiv, mittlerweile ist auch die Times dem Vorbild gefolgt. Allerdings bleiben weiterhin einige große, exklusive Geschichten reserviert für die Papierausgabe.

Dass der Guardian mutig in die digitale Zukunft geht, hat er zuletzt mit Comment is free gezeigt, einer Kombination von Meinungsartikeln, Leserkommentaren und Blog-Links. Und die 120-Millionen-Euro-Investition in neue Druckmaschinen für den Relaunch hat Alan Rusbridger bekanntermaßen lakonisch kommentiert: „They may be the last presses we ever own.“

Bildschirm mit OnRuhr-Logo Ganz ohne Druckmaschinen und ebenfalls mit E-Paper zum Ausdrucken will übrigens auch der frühere WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer seinem Ex-Arbeitsgeber Konkurrenz machen. OnRuhr soll einen Mantelteil und zunächst zwei Lokalteile haben und werbefinanziert kostenlos sein, meldet der Spiegel. Platzhirsch WAZ hält mit einer Online- und Blogoffensive dagegen.

Ein längerer Nachtrag: Ein Kommentator hat auf das sehr ähnliche Angebot 24 Horas der spanischen Tageszeitung El País verwiesen. Dort wird auf Knopfdruck ein derzeit 13-seitiges PDF-Dokument mit Artikeln aus dem Online-Angebot elpais.es erstellt, eine Seite davon mit Börsenkursen, Wetter und Cartoon. Dafür enthält jede zweite Seite eine Iberia-Anzeige.

Wer sich kostenlos anmeldet, hat die Wahl zwischen einer allgemeinen Ausgabe (Inland, Ausland, Wirtschaft, Sport) und Ausgaben nur mit Inlandsmeldungen, Auslandsmeldungen oder Wirtschaftsmeldungen. Für Zeitungsabonnenten ist das PDF-Dokument werbefrei. Leider sieht diese Automatikzeitung auch sehr computergeneriert und langweilig aus. (Mehr dazu auf Spanisch bei Periodista Digital — dort vermutet der erste Kommentator eine Verschwörung der Zeitung mit Drucker- und Tintenherstellern.)

E-Zeitung bleibt am Boden

Microsoft und New York Times kooperieren bei e-Paper.

E-Paper Wenn Bill Gates und der Herausgeber der New York Times, Arthur O. Sulzberger Jr., eine Kooperation in Sachen elektronische Tageszeitung vorstellen, darf man gespannt sein. Oder enttäuscht, nach dem Durchlesen der Pressemitteilung und des Transkripts einer Gates-Rede auf einer Konferenz in Seattle. Was übrig bleibt:

  • Der e-Paper-Anbieter kann die Anzeigeschriften bestimmen.
  • Das e-Paper lässt sich downloaden und offline lesen.
  • Die Inhalte (auch Bilder und Werbung) werden an die Fenster- beziehungsweise Gerätegröße angepasst.
  • Alle Bilder eines e-Papers können als Galerie angezeigt werden.
  • Eigene Notizen sind möglich.

Das ganze basiert auf einem Format, das unter vielen Plattformen verfügbar sein soll. Aus der Präsentation wird aber nicht klar, ob das Programm selbst auf Windows-Vista-Nutzer beschränkt ist.

Wenn das die Zukunft ist — where is my jetpack? Vor etwas über zwei Jahren hat die Berliner Zeitung über e-Paper in Deutschland berichtet und dabei auch Auflagenzahlen genannt. Im ersten Quartal 2006 sehen die IVW-Zahlen aber immer noch mickrig aus, wie ein paar Beispiele belegen:

Selbst hinter dem 1,4-prozentigen e-Paper-Anteil bei der Rhein-Zeitung verbergen sich keine Umsteiger. Dort muss jeder mindestens eine Papierausgabe abonniert haben, um ein e-Paper bestellen zu dürfen; dafür ist dieser Zusatzdienst mit drei Euro im Monat ziemlich günstig. Aber eine Antwort auf die Herausforderungen für Zeitungen im Digitalzeitalter ist das alles nicht.

Titelbewölkung

Unterschiedliche Akzente bei Spiegel und Focus.

Fiktive Focus- und Spiegel-Titel
Fiktive Titelbilder zweier montäglicher Nachrichtenmagazine, wie ich sie bei der aktuellen Themenlage erwartet hätte. (Zum Vergleich: Die Realität der Woche sieht anders aus.)

BBC-Pilotprojekt Lokalfernsehen

Gemischte Reaktionen bei den Zeitungen.

Nein, BBC Black Country TV ist kein Musiksender für die Fans von Charley Pride. Das Schwarze Land ist eine englische Industrieregion westlich von Birmingham mit etwa einer Million Einwohnern, das seinen Namen den dortigen Kohlevorkommen verdankt. Hier und in fünf Nachbargebieten probiert die BBC Lokalfernsehen aus, später sollen es einmal 60 Gebiete sein.

Momentan gibt es BBC Scotland, BBC Cymru Wales, BBC Northern Ireland und 12 regionale Fernsehfenster in England. Aus den „Nations & Regions“, wie sie bei der BBC heißen, kommen dabei nicht nur Nachrichten: Die Waliser produzieren beispielsweise die bekannte Science-Fiction-Serie Doctor Who.

Nun soll es also noch lokaler werden. Die Zuschauer in den West Midlands können die Programme im Netz, aber auch via Digital-Satellitenfernsehen sehen: Dort läuft eine 24-Stunden-Schleife, bei der beispielsweise BBC Black Country TV zehn Minuten lang immer um X Uhr 30 sendet.

Nicht begeistert sind die Lokalzeitungen, die vor unfairem Wettbewerb warnen. „We have noted concerns about the potential market impact of such services, and the pilot will enable us to measure the public value created and the impact on other potential providers“, heißt es dazu im BBC-Jahresbericht 2004/05 (S. 51). Allerdings gibt es auch Zeitungen, die mit dem BBC-Pilotprojekt kooperieren wollen, etwa den Shropshire Star.

Schweizer Verleger verärgert

Unmut über verbessertes Onlineangebot der Tagesschau.

Ungeplant wird dies zur Schweizer Woche bei Wortfeld — angefangen mit den Einträgen vor und nach dem Start des neu gestalteten Onlineangebots des Schweizer Fernsehens samt seiner Tagesschau. Das Schweizer Online-Portal persoenlich.com vermeldet nun, dass sich der Verband Schweizer Presse, also die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger sehr über das neue tagesschau.sf.tv ärgern und sich „massiert gegen die Online-Aktivitäten des Schweizer Fernsehens stellen“ wollen. In seinem lesenswerten Weblog schreibt Andreas Göldi, das sei merkwürdig, und nennt die privaten Schweizer Nachrichtenangebote im Netz bis auf wenige Leuchttürme „mehrheitlich eher traurig“. SF-Chefredaktor Ueli Haldemann verspricht unterdessen, das Angebot auszubauen.