Variante C

Mario García geht unter die Videoblogger.

Nach der Arbeit an über 400 Printmedien — vom Philadelphia Inquirer über Die Zeit bis zum Wall Street Journal — ist Mario García inzwischen der bekannteste Zeitungs-Umgestalter seiner Zeit. Die Kunden von García Media sind in der ganzen Welt verteilt, er dürfte also viel Erfahrung mit unterschiedlichen Verlags- und Redaktionskulturen haben. Und wo sieht er den meisten Widerstand gegen eine multimediale Integration, das stärkste Beharren auf Papierzeitungen? In den USA: „I would distribute buttons to everyone in the newsroom to remind them that they are NEWS people, NOT newspaper people“, schreibt er.

Jetzt gibt es einen weiteren guten Grund, sein Weblog zu lesen: 3-Minuten-Lehrvideos für Design-Einsteiger, in denen er etwa für ein beherrschendes optisches Element auf jeder Seite wirbt. Wer mehr Zeit mitbringt, findet im TYPO Berlin Videoblog einen halbstündigen Vortrag aus dem Jahr 2000. García erzählt darin über das Redesign des Wall Street Journal Europe und über die seltenen Momente, in denen sich Verleger für „Variante C“ entscheiden.

Zeitungsstudie 2

Die deutschen Tageszeitungen und das Netz.

Wie bereits anderswo zu lesen ist: Wir, also Steffen Büffel, Falk Lüke, Igor Schwarzmann und ich, haben unsere Studie aus dem vergangenen Jahr aktualisiert und geschaut, was 105 große deutsche Tageszeitungen aktuell im Web machen.

Ein paar Highlights vorab:

  • Die Zahl der Zeitungs-Websites, die Videoinhalte anbieten, hat sich fast verdoppelt — auf mittlerweile 71 Prozent.
  • 55 Prozent der Zeitungen bieten RSS-Feeds an, das sind 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Fast gleich stark ist die Zahl der differenzierten RSS-Feeds gewachsen, also etwa für einzelne Zeitungsressorts. Werbung in RSS-Feeds gibt es bei den untersuchten Zeitungen weiterhin nicht.
  • 18 Prozent der Zeitungen zählen die meistgelesenen Artikel auf, viermal mehr als 2006.
  • Die Zahl der Zeitungen, die Artikelkommentare zulassen, ist von 11 auf 28 Prozent gestiegen.
  • Fast jede dritte Zeitung hat mittlerweile ein oder mehrere Weblogs, ein Plus von 10 Prozent.
  • Die Zahl der Websites, die Podcasts anbieten, hat sich fast verdoppelt und liegt jetzt bei 14 Prozent.
  • Social Bookmarking hatte in unserer ersten Studie noch keine einzige Zeitung in ihr Online-Angebot integriert. Mittlerweile nutzen dies 13 Prozent der Zeitungen.

Die geschätzten Kollegen präsentieren die Studienergebnisse im Detail am Mittwoch auf der Web 2.0 Expo in Berlin („What Happens To Print as the Web Rises“ heißt das Panel). Und sind für Nachfragen erreichbar via newspapers2007@media-ocean.de

Blockgletscher

Und schließlich der FAZ-Relaunch.

Hoch und heilig: mein letzter Beitrag zum FAZ-Relaunch. Nun ist er da, und wer mag, kann ihn sich per Video von Werner D’Inka erläutern lassen.

FAZ- und FAS-Schriften

Ich schließe mich überwiegend Jürgen Sieberts geschmackspolizeilicher Analyse an: Designpreise gibt es dafür nicht. Hätte ich beim Titelseiten-Foto der ersten neugestalteten Ausgabe auf eine unangreifbar tolle Aufnahme gewettet, hätte ich verloren: ein mäßiges Foto von Kim, Roh, Kellner und sieben Flaschen Wein. Das neue Design ist ansonsten solide, aber eben leider völlig auf der sicheren Seite. Schade, dass gestalterische Veränderungen bei der FAZ immer das Tempo von Blockgletschern haben müssen.

Etwas überrascht hat mich die Schrift, die die FAZ-Fraktur für Meinungsartikel ersetzt: Times New Roman Bold Condensed, also die schon bislang omnipräsente Schrift, nur schmal gestellt — selbst für FAZ-Verhältnisse ein bisschen konservativ. War das eine Umentscheidung in letzter Minute? Der umhergezeigte Dummy, der auch im Video zu sehen ist, zeigt noch eine andere Schrift — etwas schwer zu erkennen, könnte eine fette Walbaum sein.

Überschrift in Walbaum Bold und Times Bold Condensed

Die obere Variante hätte für etwas mehr Spannung und mehr Profil gesorgt. Um noch einmal Fontblog beizupflichten: Die FAZ verdient eigentlich eine Exklusivschrift, wie etwa der Guardian.

Schild und Schaum

Die FAZ verteidigt den Relaunch vorab.

Dass eine Zeitung sich vor einer Design-Erneuerung mal umhört, wie die Leser den Entwurf finden, ist unspektakulär bis üblich. Was die FAZ macht, geht eine Spur weiter: Die in einer repräsentativen (!) Befragung des Lieblingsinstituts Allensbach gewonnene Leserpräferenz für den mittelmutigen Entwurf von dreien ist der Schild für die Schlacht mit der lautstarken Minderheit der Allesbewahrer. „Einladend, frisch, übersichtlich“ schreibt die Zeitung am Donnerstag auf der Titelseite über sich selbst, mit dem neuen Erscheinungsbild folge die FAZ „dem Votum einer großen Mehrheit ihrer Leser“.

Und schon vor dem Relaunch am Freitag schäumen die ersten Kommentatoren: „Die Abbildung der ersten Seite im neuen Stil läßt mich ernsthaft über die Kündigung meines langjährigen Abonnements nachdenken. “ „Früher gab es weder bunte Bilder noch farblich unterlegte Überschriften. Dennoch stand mein junges Herz sofort in Flammen und die Zuneigung zu dieser Lektüre ist bis heute nicht abgeflaut.“ „Frankfurter Allgemeine Kinderzeitung. (…) FAZ, was ist aus Dir nur geworden?“ „Das konsequente Beharren auf der traditionellen Rechtschreibung war wohl der letzte Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins. Nach der Aufgabe dieser Position begibt sich die FAZ nun endgültig in die Niederungen der kommerziellen Angepaßtheit hinab.“ „mal sehen, wann franz beckenbauer seine kolumne auf der titelseite bekommt…“

Immer greller

FAZ-Relaunch am Freitag.

Die konservativeren unter den FAZ-Lesern sollten ihre Zeitung jetzt nicht mehr zum Altpapier bringen. Nur noch bis zum 4. Oktober wissen DWDL und kress, ist die Titelseite frei von Farbfotos. Am 5. schlägt dann der lange angekündigte Relaunch zu. Bald danach wäre eine Neuauflage der Imagebroschüre empfehlenswert, in der es momentan in bestem Manufactum-Tonfall heißt:

Eine Titelseite ohne Bilder – auch das ist ein Merkmal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am Kiosk, inmitten der immer greller bebilderten Printprodukte, ist sie dadurch auf den ersten Blick zu erkennen.

Nachtrag: Mercedes Bunz hat auf der OMD die neu gestaltete FAZ fotografiert. Auch FAZ.NET wird — endlich — etwas aufgeräumter.

(Apropos lange angekündigt: Der neue Name steht fest, die Zeit durfte schon das Geotagging bewundern, die Werber dürfen derzeit gucken, das Flash-Intro läuft. Und die Passwortabfrage meldet sich schon mit „Produktiv-System WestEins“. Na dann!)