Nebentribüne

Herald Tribune verliert eigenen Webauftritt.

Dass gedruckte Zeitungen ins Netz verschwinden, ist schon vorgekommen. Die in Paris erscheinende International Herald Tribune verschwindet dagegen gerade weitgehend aus dem Netz.

Die komplizierte Vorgeschichte im Zeitraffer: Zwei konkurrierende New Yorker Blätter, eine davon mit einer Ausgabe in Paris (seit 1887), fusionieren zur Herald Tribune (1924), die aber den Wettbewerb gegen die New York Times verliert, sich kurzzeitig mit drei weiteren Zeitungen zusammenschließt (1966), dann aber in New York aufgibt (1967). Die europäische Ausgabe überlebt, gehört lange Zeit New York Times und Washington Post gemeinsam (bis 2002), seit dem Ausstieg der Post trägt sie den Untertitel „Global Edition of the New York Times“.

An diesem Montag folgt ein Redesign-Doppelschlag für die gedruckte Zeitung und den Onlineauftritt:

International Herald Tribune

Das Blatt, das schon 2008 sein wunderschön altmodisches Dingbat im Zeitungskopf verloren hat, wird jetzt noch deutlicher als International Herald Tribune betitelt. Die Printausgabe ist in Zusammenarbeit mit den New Yorker Kollegen von der Times umgestaltet worden, und wie seit einigen Jahren bei der Times regiert dort jetzt die Schrift Cheltenham.

Global Edition New York Times - with the International Herald Tribune

Die Website iht.com ist verschwunden, an ihre Stelle tritt global.nytimes.com, bei der die Herald Tribune nur noch im Untertitel stattfindet. Nur wer über die alte Adresse iht.com gekommen ist, landet dank eines Cookies auf einer Startseite mit prominentem Herald-Tribune-Schriftzug. Die Website iht.com war einmal sehr innovativ, mit dreispaltigem Artikellayout und einer Merkfunktion, als das noch kaum einer hatte. NYTimes.com und die neue Global Edition unterscheiden sich dagegen nur auf wenigen Übersichtsseiten, die in der Navigation mit zartem Gelb unterlegt sind.

Dass die Herald Tribune im Netz nur noch am Rande auftritt, wird der Print-Marke sicher nicht helfen, auch wenn die Pressemitteilung von einem „powerhouse for high quality global news“ schwärmt. Immerhin hat die Zeitung ihren Platz in der Geschichte schon lange gesichert — dank Jean Seberg.

Nachtrag: Thomas Crampton: Reporter to NY Times Publisher: You Erased My Career (via)

Das Undenkbare

Clay Shirky über die Zukunft der Zeitungen.

„In Revolutionen kehrt sich die Wahrnehmung auf merkwürdige Weise um. Im Normalfall sieht man diejenigen, die lediglich die Welt um sie herum schildern, als Pragmatiker, während diejenigen mit märchenhaften Vorstellungen einer alternativen Zukunft als Radikale gelten. Die letzten Jahrzehnte waren allerdings nicht der Normalfall. Bei den Zeitungen waren es die Pragmatiker, die einfach aus dem Fenster schauten und bemerkten, dass die reale Welt zunehmend dem undenkbaren Szenario glich. Behandelt wurden diese Leute wie Irre. Wer dagegen Traumbilder vom Erfolg abgeschotteter Systeme (Walled Gardens) und begeisterter Micropayment-Nutzung malte, für die es keine reale Basis gab, wurde nicht als Scharlatan betrachtet, sondern als Retter.“

Clay Shirkys Essay über die Zukunft der Zeitungen hilft keinem Printmedienmenschen aus der Krise, der sich selbst als einen Printmedienmenschen sieht. Shirky ist nicht einmal besonders optimistisch, dass es für die gedruckte Zeitung bald ein funktionales Äquivalent geben wird, einen tröstenden Ersatz. So sei das eben in echten Revolutionen, schreibt er trocken: „Das alte Zeugs geht schneller kaputt als das neue Zeugs an die Stelle tritt.“ Unbedingt lesenswert.

Die Krise

Ein paar Reaktionen: Jeff Jarvis warnt, dass die Zeitungen nicht die letzte Branche sein werden, die es trifft. Cory Doctorow sieht Parallelen zu denen, die ihr Produkt mit  Rechtebeschränkungen und Anwälten schützen wollen. Tim O’Reilly meint, dass die — bislang — von Zeitungen erfüllten wichtigen Bedürfnisse nicht verschwinden und setzt auf neue Institutionen. Wer trotz Shirky noch an Micropayment glaubt, findet mehr dazu, auch von Shirky, im Freakonomics-Blog.

Zeitungsstudie 3

Die deutschen Tageszeitungen im Netz 2008.

Steffen Büffel hat zusammen mit Sebastian Spang die Studie zu Onlineangeboten deutscher Tageszeitungen (2006, 2007) fortgesetzt und auf den Stand der Dinge 2008 gebracht.

Grafik der Zeitungsstudie 2008

Die Studie belegt mit aktuellen Zahlen die gefühlten Trends: Videos sind zum Standard geworden, während Audio-Podcasts nur für einen kleinen Teil der Zeitungen relevant sind. Es darf mehr kommentiert werden, aber eine Registrierung wird zunehmend als sinnvolle Hürde angesehen. Foren und Chats sind nicht mehr das Werkzeug der Wahl, Blogs halten sich. Mehr zu den Ergebnissen bei Steffen Büffel.

Miteinander reden

Leserfragen an New-York-Times-Journalisten.

Talk to the Newsroom ist eine fabelhaft lesenswerte Serie, in der sich New-York-Times-Journalisten den Leserfragen stellen, vom Polizeireporter bis zum Verfasser von Nachrufen. Glücklicherweise nicht in Form eines Chats, sondern entspannt per Mail über ein paar Tage. Wer sich schon immer gefragt hat, ob Restaurantkritiker tatsächlich unter falschem Namen und bisweilen verkleidet auftreten, bekommt die Antwort von Frank Bruni. (Kurz gefasst: ja.)

Die beste Begründung für solche Dialoge gibt Linda Greenhouse, die fast drei Jahrzehnte über den Obersten Gerichtshof berichtet hat. Die Fragen hätten ihr einen Einblick in die Leserschaft ihrer Zeitung verschafft, schreibt Greenhouse an ihrem letzten Tag bei der Times:

I have been struck and touched by how passionately engaged so many readers are with the ongoing story of the United States Supreme Court, the story I have spent the past 30 years trying to tell. I feel very lucky. You are the readers I always liked to imagine that I had.

(Dazu passt übrigens ein Beitrag von Medienpirat Peer Schader, Gebührenzahlersprechstunde beim NDR. Transparenzhalber: Ich arbeite für den NDR.)