Nicht so .hastig

ICANNs nächste Domainrunde.

Als ich bei AFP las, dass „die 1,3 Milliarden Internetnutzer weltweit“ bald „geläufige Wörter wie .liebe und .hass und auch Eigennamen“ eintragen lassen können — weitere AFP-Beispiele sind stadt, .liebe und .hansi –, dachte ich: Das klingt aber nicht nach ICANN. Nach einem Blick auf das ICANN-Flussdiagramm dazu dachte ich: Das allerdings sieht sehr nach ICANN aus.

Ohne die Vorfreude auf .hansi trüben zu wollen — eine Top-Level-Domain (TLD) zu bekommen wird auch in Zukunft etwas schwieriger sein als eine normale Domainregistrierung. (Alles, was folgt, sind ICANN-Vorschläge, die noch nicht beschlossen sind.)

Erst einmal muss eine TLD beantragt werden. Der Antragsteller muss belegen, dass er organisatorisch und technisch in der Lage ist, eine TLD zu betreiben. Die gewünschte TLD darf die Stabilität des Domainnamensystems nicht gefährden. Die beantragte TLD darf nicht mit einer bestehenden zu verwechseln sein (wie etwa .C0M mit einer Null). Sie darf nicht bestehende Rechte verletzen (.bmw dürfte damit chancenlos sein). Sie darf nicht gegen Moral und öffentliche Ordnung verstoßen (damit wird es mindestens schwieriger für .xxx).

Immer noch Interesse an der eigenen TLD? Wenn alle bislang genannten Kriterien abgehakt sind, kommt die nächste Hürde: Geht es um eine TLD für eine bestimmte „community“, etwa .aero für die Luftfahrtbranche? Dann muss der Antragsteller belegen, dass die Gemeinschaft zumindest keine Einwände hat. Geht es nicht um eine bestimmte Gemeinschaft, wird die TLD meistbietend versteigert. Dann muss der Antragsteller nur noch einen Vertrag mit ICANN abschließen und die Zustimmung des ICANN-Direktoriums bekommen.

Das ganze Verfahren dauert mindestens vier Monate. Über die Kosten schreibt die Herald Tribune: „The application fee for a domain name under the proposed system has not been set, but candidates estimate that it could range from €25,000 to €250,000(…)“.

(Nebenher: Über Initiativen wie .hamburg oder .berlin wundere ich mich immer wieder. Nicht nur sind Beispiele wie abendblatt.hamburg kontraproduktiv, weil umständlicher als abendblatt.de. Alle bisherige Erfahrung zeigt, dass die wesentlichen Gewinner bei neuen TLDs diejenigen sind, die welche verkaufen. Und es hat sich längst herumgesprochen, dass im Zeitalter der Suchmaschine das Raten von Domainnamen eine wirklich schlechte Suchstrategie ist.)

Arrangement

Zeit für einen Blick auf ICANN?

Bei ICANN habe ich einiges mitgemacht: Habe jahrelang darüber gebloggt, stundenlange Telefonkonferenzen angehört, bin zu Tagungen gereist oder habe sie im Netz verfolgt — und irgendwann war es dann genug oder sogar ein bisschen zu viel. Natürlich höre ich mir immer noch gern, was die geschätzte Jeanette Hofmann im Netzpolitik-Podcast zum Thema zu sagen hat, und ich lese weiterhin Bret Fausetts Blog Lextext.

Aus der Hinterher-ist-man-immer-schlauer-Perspektive: ICANN war für jeden etwas anderes. Zahlreiche Sozialwissenschaftler fanden es als cyberdemokratisches Experimentierfeld spannend, waren aber mehr am Verfahren interessiert als an den tatsächlichen Problemen, mit denen sich ICANN herumschlagen musste. Andere waren, noch etwas abstrakter, an ICANN als neuem Governance-Ansatz interessiert. Die Regierungen stürzten sich ebenfalls darauf: Weil ICANN als Organisation ein vertrauteres Muster war als die langbärtigen Wissenschaftler, die sich vorher um das Domainnamensystem kümmerten. Weil sie Internet als wichtiges Zukunftsthema erkannten und nationale Interessen zu verteidigen suchten, ohne genau zu wissen, worin diese bestehen. Die Firmen sahen ICANN mal als Quasi-Regulierer, mal als Lizenzvergabestelle zum Drucken von Geld, mal als Forum, in dem die Industrie ihre Probleme lösen konnte. Für viele Techniker war es ein Rätsel, was all diese Nicht-Techniker da wollen.

Und jetzt? Wäre ICANN tatsächlich eine klassische internationale Organisation geworden, dann würde noch heute ein Verfahren laufen, in dem die Rootserver nach regionalem Proporz verteilt werden. Das war tatsächlich lange ein großes Aufregerthema: Wieso stehen so viele der 13 Server in den USA? Imperialismus! Die Lösung war schließlich keine politische, sondern eine technische (Anycast): Heute verteilen sich die Rechner über die ganze Welt.

Es ist ruhiger geworden, und aus der Perspektive des entfernten Beobachters sieht es so aus, als wenn sich alle wichtigen Spieler mit dem Fortbestehen ICANNs arrangiert haben, selbst die Rootserver-Betreiber und die Weltfernmeldeunion ITU.

Womöglich ist aber gerade das ein guter Zeitpunkt, ICANN wieder etwas genauer zu verfolgen. Zum Beispiel auf das Budget zu schauen: 2002/03 lagen die Gesamteinnahmen bei sechs Millionen US-Dollar, dann kletterten sie auf neun Millionen, 15 Millionen, 30 Millionen, 42 Millionen und schließlich 49 Millionen US-Dollar (2007/08). Im neuesten Etatentwurf rechnet ICANN für 2009 mit Einnahmen von 61,7 Millionen US-Dollar (via Lextext).

Mehr zum Thema:

Papierlinks

Verweise zwischen Zeitung und Website.

Da immer wieder über die Frage debattiert wird, ob Print-Inhalte eins zu eins oder doch lieber nur eins zu zwei ins Netz gestellt werden sollen: Auf der Titelseite der „Herald Tribune“ stehen heute vier Absätze über das Internet Governance Forum (das seltsame Gremium, das als Kompromiss nach dem UN-Internetgipfel entstanden ist). Und am Ende des Artikels: iht.com/tech – complete article online. Der vollständige Artikel, für jeden kostenlos im Netz zugänglich, hat 15 weitere Absätze.

Da stellt sich unter anderem die Frage, ob die Leser der papierenen Ausgabe sich nicht ärgern, dafür Geld zu bezahlen. Möglicherweise dann nicht, wenn der Papier-Artikel für den Durchschnittsleser schon informativ genug ist und der Online-Artikel sich an den besonders interessierten Leser wendet?

Ninca

Eine ICANN-Insel in Second Life.

Bislang habe ich mir Second Life verkniffen — aus Sorge, es könnte mich zu sehr faszinieren und viel zu viel Zeit vor dem Rechner kosten. Allmählich wird es aber immer schwerer. ICANNblogger Bret Fausett hat gerade ein Experiment gestartet:

A few weeks ago, I purchased an island in Second Life and hired a development team to build a conference facility where remote participants could gather in parallel to ICANN and Internet Governance meetings. The island is named „Ninca“ (an anagram for „ICANN“), and if you’re already a Second Life user, you can teleport there to have a look around by clicking on this slurl. (…) I’ll be both at the [ICANN] meeting in Sao Paulo and in world on Ninca Island, and I’ll try to act as a bridge between the two worlds.

Gerade stelle ich mir vor, wie Bret auf der realweltlichen Konferenz (2.-8.12.) die Belange von Massen-Mehrspieler-Online-Gemeinschaften vorbringt. Als jemand, der diverse ICANN-Konferenzen online (mit wackeligem Livestream und Transkripten via IRC) und real besucht hat, bin ich schwer begeistert. (Bestimmt gibt es irgendwo auf der Insel Ninca auch Hinterzimmer für die Lobbyisten, Regierungsvertreter und Direktoren.)

Nachtrag: In einem kurzen Video zeige ich die bislang menschenleere Insel. Noch verpasst man nicht viel.

Mehr zum Thema:
tagesschau.de: Virtuelles Wirtschaftswunder
Wired.com: Wired Travel Guide Second Life
Blogrolle.net: Start Second Life

Stöckchen aus Washington

Sieben Fragen der US-Regierung zur Netzverwaltung.

ICANN-Logo unter der Lupe Das hier wird ziemlich lang, fürchte ich. Seit Ende Mai sammelt die US-Regierung mal wieder Input zur Zukunft der Netzverwaltung ICANN. Sieben Fragen will die zum Handelsministerium gehörende Behörde NTIA bis zum 7. Juli beantwortet haben. Für alle Hardcore-ICANN-Interessierten folgen die sieben Fragen in eigener Übersetzung, mit Links und bisweilen mit Ergänzungen in eckigen Klammern. Die NTIA will natürlich Antworten auf Englisch. (Lohnen sich die 15 bis 20 Minuten für die Beantwortung der Fragen? Erfahrungsgemäß wertet die NTIA solche Befragungen recht gewissenhaft aus und nutzt sie zumindest für die eigenen Begründungsmuster. Wer wirklich etwas beizutragen hat, sollte die Chance nutzen, zumindest einen winzigen Einfluss auf den entscheidenden Akteur zu nehmen. Wer sich lieber einer Ein-Klick-Massenpetition anschließen will, kann das beim Internet Governance Project tun.)

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