Umetikettiert

Verfahrenstricks beim US-Schuldenstreit.

Ein West-Wing-Fan weiß natürlich, dass die Verfahrensregeln des US-Kongresses mitunter bizarr sein können:

— Donna: Sam needs more time.
— Josh: All right. Tell him to have a Democrat call for a journal vote. If a member calls for a journal vote, the full House has to approve the previous day’s floor activity.
— Donna: Okay.
— Josh: After that, he can have a member try to attach an amendment to the override vote.
— Donna: What kind of amendment?
— Josh: Doesn’t matter. „To qualify for the estate tax repeal, the estates have to have Astroturf.“
— Donna: And still it’s hard to figure why Congress can’t get anything done.

Das derzeitige Spiel mit dem Feuer um die Verschuldungsgrenze zeigt eine dieser Besonderheiten. Am Freitag hat das Repräsentantenhaus über seinen Gesetzentwurf abgestimmt – die Republikaner dafür, die Demokraten dagegen. Wer sich aber den Gesetzentwurf anschaut, wundert sich: Abgestimmt wurde über einen Gesetzentwurf des Senats, der eine Kommission vorsieht, die sich um das beschleunigte Beantworten von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz kümmern soll („Faster FOIA Act“).

Was das mit dem Schuldenstreit zu tun hat? Nichts. Das Repräsentantenhaus hat einfach einen Gesetzentwurf genommen, den es vom Senat bekommen hat, und den kompletten Text durch einen anderen ersetzt. Alles was vom Gesetzentwurf geblieben ist, ist quasi der Umschlag mit der Aufschrift S. (für Senate) 627. Warum macht das Repräsentantenhaus das? Um Zeit zu sparen: So könnte das Gesetz nur drei statt fünf Tage im Senat benötigen. (Was es mit filibusters und cloture motions auf sich hat, erklärt USA Erklärt.)

Ein bisschen bizarrer wird es noch: Der Parteiführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, hat dann beantragt, dem Schuldenplan der Republikaner zuzustimmen. Das musste er tun, damit der Senat anschließend über einen Antrag abstimmen konnte, sich mit diesem Antrag nicht mehr zu beschäftigen („Motion to table the Reid motion to agree to the House amendment to the bill“). Was die Senatoren dann auch prompt getan haben.

Verrat und Kalkül

Von Wikileaks zu West Wing.

Felix Schwenzel schreibt:

jetzt wo ich wie mathias richelthe west wing“ zum zweiten mal gucke, habe ich das gefühl, dass aaron sorkin mehr über die regierung der vereinigten staaten verraten hat, als wikileaks.

(Und er schreibt dann weiter darüber, wie Filter-Infrastruktur und Wikileaks und „Denkt denn niemand an die Kinder?“ zusammenhängen. Ich muss dabei sofort an die Diskussionen rund um ICANN und die Kontrolle über das Domainnamensystem vor etwa zehn Jahren denken. Es gab einige übertrieben paranoide Vorstellungen von der Allmacht der Rootserver und es gab einige übertrieben naive Vorstellungen davon, dass es an dieser Stelle nur um Technik geht oder gehen sollte.)

In „West Wing“ ist die Frage, wer wann etwas weiß und was wann wie an die Öffentlichkeit kommt, ein zentrales Thema: die Gratwanderung zwischen Verschweigen, Lügen, Spin und Manipulation. Leaks sind dabei nicht nur Regierungspannen oder Journalistenerfolge, sondern auch Machttechnik: Sie werden eingesetzt, um Gegnern zu schaden, um die Veröffentlichung anderer Artikel zu verhindern oder um kurz vor einer dramatischen Erklärung den Boden aufzulockern, den Schock zu dämpfen. Umgekehrt werden Krisen bei „West Wing“ mitunter auf eine Weise gelöst, die Geheimhaltung erfordert — Kompromisse, die das Gesicht wahren; Lösungen, auf die die Beteiligten möglicherweise zehn Jahre später stolz sind, die aber nicht klappen würden, wäre alles völlig transparent. Wer Politik nur in sattem Schwarz oder Weiß mag, wird „West Wing“ nicht mögen.

(Wer immer noch nicht neugierig ist, möge Anke Gröners Lobeshymne auf „West Wing“ lesen. Ich bin im Moment bei der dritten Staffel, zum zweiten oder dritten Mal. Diesmal ist mir unter anderem in Folge 1-06 aufgefallen, dass ein geplantes Vulkanobservatorium verspottet wird, das Flugzeuge vor Aschewolken warnen soll. Die Folge lief zehneinhalb Jahre, bevor jemand außerhalb Islands Eyjafjallajökull aussprechen konnte.)

Milliardenspiel

NYTimes-Leser dürfen den US-Haushalt retten.

Wo der Staat sparen soll? „Bei den Politikern“, lautet eine häufige und dumme Antwort: Würde man den Bundestag, die Bundesregierung, den Bundespräsidenten und auch alles andere, was unter „Politische Führung“ fällt, im Bundeshaushalt einsparen, bliebe der Etat zu 99,21 Prozent unverändert.* (Man hätte allerdings ein Land ohne politische Führung. Hmmm.)

Auch die typischen staatlichen Fehlplanungen bei Großprojekten sind für Schlagzeilen immer gut, aber werden von vielen langweiligeren Etatposten weit überragt. Da liegt die Idee nahe, den Haushalt im Internet darzustellen und den Nutzer selbst entscheiden zu lassen, wo er spart. Neu ist das nicht, in Form von Bürgerhaushalten gab es das schon vor dem Siegeszug des Webs.

Mit Budget Puzzle: You Fix the Budget setzen die Journalisten und Infografiker der New York Times allerdings Maßstäbe: spielerisch und selbsterklärend, aber nicht reißerisch. Online oder mit Papier und Bleistift sollen die Leser dafür sorgen, dass die Haushalte von 2015 und 2030 nicht völlig aus den Fugen geraten — durch mehr Steuereinnahmen, weniger Ausgaben oder beides.

New York Times Budget Puzzle

Und siehe da: Selbst wenn man 200.000 US-Bundesangestellte herauswirft, macht sich das kaum bemerkbar. Hoffentlich spielen die richtigen Leute damit.

* Im 319,5 Milliarden Euro umfassenden Bundeshaushalt 2010 entfallen 2,533 Milliarden Euro auf die Funktion „Politische Führung“. (Quelle: Bundeshaushaltsplan 2010 nach Funktionen)

Mit Flüssigkleber

Seymour Hersh über Cyberspionage.

Als die NSA 2008 feststellte, dass jemand mittels manipulierter USB-Sticks in die gesicherten Datennetzen amerikanischer Militärstützpunkte eingedrungen ist, hat sie eine schöne Lösung gefunden: „they ordered all ports on the computers on their bases to be sealed with liquid cement.“

Seymour Hersh hat für seinen New-Yorker-Artikel The Online Threat: Should we be worried about a cyber war? aber nicht nur Anekdoten aufgeschrieben. Er berichtet über das Modewort „Cyberkrieg“ und wer davon profitiert, über den Konflikt zwischen militärischer und ziviler Internet-Sicherheit und über die Frage, warum wir uns nicht alle mit besserer Verschlüsselung schützen sollten.