Internet ins Grundgesetz?

Politiker für Grundrecht auf Internetfreiheit.

„Politiker von SPD und Union planen eine Anpassung des Grundrechtskatalogs an die moderne Kommunikationsgesellschaft“ — wenn eine Vorabmeldung mit diesen Worten beginnt, dann habe ich erst einmal Angst. Unnötige Angst offenbar, denn der Tagesspiegel vermeldet weiter: Es soll „ein neues Grundrecht geben für die Freiheit im Internet“. Die das ankündigen, sind nicht irgendwer: Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sitzt schon 20 Jahre im Bundestag, ist Verwaltungsrichter a.D.; Ralf Göbel, CDU-Abgeordneter und ebenfalls Jurist, ist für die Union Obmann im Bundestags-Innenausschuss. Wenn die beiden in einer Zeitung einer Meinung sind, dann würde ich ernsthaft damit rechnen, dass das so passiert.

Wozu benötige ich ein „Grundrecht für die Freiheit im Internet“? Wiefelspütz: „Das Internet ist ein neuer Raum, die vierte Dimension, eine Welt in der Menschen leben, lieben, sich wirtschaftlich betätigen. Diese Welt sollte sich auch im Grundgesetz wiederfinden als ein Raum der Freiheit.“

Sekunde. Meine Meinungs(äußerungs)freiheit im Internet ist doch schon in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 Grundgesetz festgehalten. Meine Grundrecht, mich auch im Internet aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2. (Bevor Einwände kommen — beides in den dort ebenfalls erwähnten Schranken.) Pressefreiheit im Internet: Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, 1. Alternative. Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses im Internet: Artikel 4, Absatz 1, 3. Alternative. Mein Grundrecht, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen, steht gar nicht explizit im Grundgesetz, folgt aber laut Verfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht — Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1.

Bleibt also zum Beispiel die Frage der Kommunikation über Internet. Dabei geht es nicht nur um das noch zu selten diskutierte Thema Vorratsdatenspeicherung (auf Vorrat soll ja nach Kabinettsplänen gespeichert werden, wer wann wie lange mit wem kommuniziert hat). Sondern auch um die Inhalte der Kommunikation. Wenn meine E-Mails auf einem Webmail-Server meines Providers liegen — wie hoch sind die Anforderungen, um diese E-Mails beim Provider zu beschlagnahmen? Ist „nicht vollständig geklärt“, sagt das Bundesverfassungsgericht, könnte unter das Fernmeldegeheimnis fallen.

Bleibt also zum Beispiel die Frage nach den sagenumwobenen Online-Durchsuchungen. Ermittler können natürlich schon jetzt an eine Computer-Festplatte herankommen — wenn ein Richter eine Hausdurchsuchung anordnet. Für eine heimliche Online-Durchsuchung müssten die Hürden schon aus juristischen Gründen drastisch höher als bei einer offenkundigen Durchsuchung sein, von den sicherheitstechnischen Bauchschmerzen mal ganz abgesehen.

Dass all das einmal geklärt wird, wäre ja durchaus wünschenswert. Aber in der Vorabmeldung steht auch, was den CDU-Innenpolitiker Göbel motiviert, sich für einen „erweiterten Grundrechtsschutz in der virtuellen Welt“ einzusetzen. Das Grundrecht soll definiert werden, um darin per Online-Durchsuchung eingreifen zu können. Mit anderen, fieseren Worten: Den Grundrechtsschutz soll es nur im Austausch für seine Aushöhlung geben.

(Ähnliche Skepsis bei Markus Beckedahl. Mercedes Bunz meint: warum nicht.)

Verneinung gestrichen

Die taz zur Online-Durchsuchung.

Als [Wolfgang Schäuble] im taz-Interview damals [im Februar 2007] gefragt wurde, ob auch der Verfassungsschutz Online-Durchsuchungen durchführe, sagte er spontan „Nein“, wies dann aber seinen Pressesprecher an: „Prüfen Sie das nach“. In der autorisierten Fassung des Interviews ließ sein Pressesprecher die Verneinung dann streichen und durch folgende Formulierung ersetzen: „Zu operativen Fragen nehme ich nur im Parlamentarischen Kontrollgremium Stellung.“

Die tageszeitung berichtet über die Dienstvorschrift zur Online-Durchsuchung, die ja gar nicht so gemeint gewesen sein soll. Der Minister soll erst durch die taz-Frage auf die Vorschrift seines Ministeriums gestoßen sein, der Staatssekretär dabei an geschlossene Internet-Foren gedacht haben. Als bedurfte es eines weiteren Belegs für die Gefährlichkeit der Generation Web 0.0, wenn es ums Internet geht.

Faktenbilder

Visualisierte Daten zur Lage der Welt.

Eine Empfehlung: Diese fantastische Präsentation anschauen, in der Prof. Hans Rosling mit visualisierten Daten zeigt, wie sich die Welt verändert und warum Aussagen über ganze Regionen so häufig Humbug sind.


Direktlink zu Google Video

Rosling ist Professor für Internationale Gesundheit in Stockholm und Mitbegründer von Gapminder, einer Organisation, die Software zur Visualisierung menschlicher Entwicklung her- und bereitstellt. (Er war 2006 auf den Konferenzen TED – von dort stammt das Video – und Le Web, mir ist seine Arbeit aber bislang völlig entgangen.)

Es wird noch besser: Mit dem Tool Gapminder World 2006 kann jeder selbst im Netz spielen.

Wer nach 20 Minuten Hans Rosling ebenfalls begeistert ist: Sein Sohn Ola Rosling hat im März 2006 einen einstündigen Vortrag bei Google gehalten. Es ist ein starkes Plädoyer dafür, Daten aus den propietären Datenbanken zu befreien und sie nicht in ein kartografisches Korsett zu zwingen. Visualisierte Fakten sind wichtig, sagt Rosling sinngemäß, da die Medienbilder unserer Welt viel zu oft Extremfälle zeigen und Tabellen langweilig sind.

Übrigens hat Google gerade die Gapminder-Software Trendalyzer gekauft. (Via MetaMedia entdeckt.)

Zappeln

Merkwürdige Hamburger Zeitungs-Websites.

Auf der Startseite der Hamburger Morgenpost: „Voscherau lässt seine Parteigenossen zappeln“.
Auf der Startseite des Hamburger Abendblatts: „Warten auf Voscherau – Hamburger SPD hofft auf neuen Kandidaten“.

Und das um 22 Uhr, etwa zweieinhalb Stunden nach Voscheraus Absage. Wach sind nur die überregionalen Nachrichtenportale wie tagesschau.de (mit Link auf NDR Online), Spiegel Online, Welt Online, Zeit Online (dank des Tagesspiegels), sueddeutsche.de, selbst der Bild-Ticker. Es passieren dramatische Dinge in Hamburg, und die Tageszeitungen der Stadt arbeiten anscheinend nur noch für die Druckausgabe. Merkwürdig.

(Transparenz-Hinweis: Der NDR ist mein Arbeitgeber, dies ist mein privates Blog.)

Francis Urquhart

Schauspieler Ian Richardson ist tot.

Der sinistre britische Politiker Francis Urquhart auf seinem Weg vom Unterhaus in die Downing Street war die Rolle, die Ian Richardson so gut gespielt hat, dass er sie nie wieder loswurde. Die Romanvorlage „House of Cards“ hat Michael Dobbs geschrieben, der unter anderem Berater von Margaret Thatcher und John Major war. Die Verfilmung von 1990 war auch deswegen als Telekolleg Machiavellismus so überzeugend, weil Richardson den völlig skrupellosen Politiker eben doch streckenweise sympathisch erscheinen ließ. Längst in den englischen Sprachgebrauch übergegangen ist Urquharts Lieblingsformulierung: „You might say that, I couldn’t possibly comment.“ Ian Richardson ist am Freitag gestorben.

Nachruf bei BBC News
Nachruf im Guardian