Ohne Kompass

Cohen und Minkmar über die Linke heute.

Vor einer Woche hat Nils Minkmar in der FAS über die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin geschrieben. (Leider ist der Text bei faz.net nicht online und bei der Jungen Welt nur in Auszügen zu lesen.) Minkmar fragt sich, was der Sprecher der Eta-Partei Batasuna dort zu suchen hat, warum Mumia Abu Jamal dort als politischer Gefangener tituliert wird und warum Ahmadinedschad-Freund Hugo Chávez ein linker Held sein soll.

An diesem Sonntag ist im Observer ein langer Auszug aus Nick Cohens neuem Buch „What’s Left: How Liberals Lost Their Way“ zu lesen. Cohen wirft darin der Linken (nicht nur in Großbritannien) vor, sich schützend vor die Falschen zu stellen, beispielsweise die irakische Opposition in dem Moment zu vergessen, in dem sich US-Regierung und irakische Diktatur gegenüberstehen. Cohen ist in den 90ern ein linker Kritiker der New-Labour-Regierung gewesen — und, wie offenbar auch Minkmar, gründlich links sozialisiert: Von seinen Eltern bekam er keine Kindercomics zu lesen, deren Verleger sich mit den Gewerkschaften anlegte: „I come from a land where you can sell out by buying a comic. I come from the left.“

Der Blick von außen

BBC sucht den besten öffentlichen Dienst.

The Best Public Services in the World Beim Begriff „öffentlicher Dienst“ ist meine erste Assoziation „Tarifkonflikt“, in anderen Sprachen — public services! — klingt er dagegen gleich viel nützlicher. Das BBC-Politmagazin Newsnight hat sich eine ganze Serie dazu ausgedacht: The Best Public Services in the World. Zum Start geht es gleich nach Kuba, um das dortige Gesundheitssystem anzuschauen. Die nächste Folge spielt in Portland, Oregon, das auf öffentliche Verkehrssysteme setzt. Deutschland gehört übrigens zu den Ländern, die die BBC-Nutzer am häufigsten für den Titel nominiert haben.

Die Wahrheit der Bilder

Kana-Spekulationen in den Medien.

Am Donnerstag erscheint in der FAZ ein Artikel mit der Überschrift Was geschah wirklich in Kana?. Die Unterzeile „Wie über den Angriff spekuliert wird“ hält, was sie verspricht: Spekulationen.

Genannt wird unter anderem die anti-syrische Website Libanoscopie, die den Angriff auf Kana als Verschwörung der Hisbollah bezeichnet, gestützt lediglich auf „eine im allgemeinen gut informierte Quelle“.

Genannt werden auch das EU Referendum Blog (das für den Austritt Großbritanniens aus der EU plädiert) und das ebenfalls erzkonservative Blog Confederate Yankee. Beide konzentrieren sich derzeit darauf, die Bilder des Angriffs auf Kana als Verschwörung der Hisbollah mit den Fotografen von Reuters, AP und AFP darzustellen. Zuvor hatte Confederate Yankee versucht, mit Bildern von Hisbollah-Kindern den toten Kindern von Kana rhetorisch den Status von Zivilisten abzuerkennen.

Die Jerusalem Post schafft es, in ihrem Artikel über die Blog-Gerüchte auch über die Zweifel an solchen Darstellungen zu berichten. Sie fragt bei der makabren Diskussion um angebliche Leichenstarre einen Mediziner; der sagt, er könne aus den Fotos keine endgültigen Schlüsse ziehen. Sie berichtet ebenfalls darüber, das die Argumentation mit angeblich inkonsistenten Aufnahme-Zeitpunkten der Fotos nicht standhält. Guardian-Kommentator Roy Greenslade nennt die Anschuldigungen gegen die Agenturfotografen schändlich. Sehr ärgerlich, dass die FAZ auf ihrer Seite 2 dazu hauptsächlich Gerüchte sammelt und druckt, statt sie einzuordnen.

Natürlich werden die Opfer für Propagandazwecke missbraucht, auf beiden Seiten, mal subtiler und mal deutlich weniger subtil. Natürlich ist es Aufgabe von Journalisten, auf solche Unstimmigkeiten hinzuweisen und diesen nachzugehen. Allzu viel ist nicht zu erwarten: Darf ich an dieses ITN-Bild aus einem serbischen Internierungslager im bosnischen Trnopolje erinnern, mit einem ausgemergelten Menschen hinter Stacheldraht? Zunächst galt es als Beleg für serbische Gräuel (britische Boulevard-Schlagzeile: „Belsen 92“). Dann galt das Foto serbienfreundlichen Journalisten als Beleg für westliche Medienmanipulationen, weil es angeblich die Journalisten waren, die innerhalb eines umzäunten Geländes standen. Das britische Magazin LM (Living Marxism) verlor indes eine Verleumdungsklage gegen ITN und ging bankrott. Und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kam zu dem Schluss, dass in Trnopolje vor allem Frauen und Kinder interniert waren und zahlreiche Gefangene getötet wurden.

Nachtrag 1: Was mit ärgerlichen FAZ-Sammelsurien passieren kann, wenn sie zusätzlich durch die Bild-Mangel genommen werden, beschreibt Bildblog.

Nachtrag 2: Um die Ereignisse in Kana und das mediale Echo geht es auch in Harald Stauns FAS-Artikel In den Hügeln von Hezbollywood.

Nachtrag 3: Sehr sehenswert: Wahrheit und Fälschung, ein Beitrag des NDR-Medienmagazins Zapp über die Bilderflut vom Krieg. (Disclaimer: Der NDR ist mein Arbeitgeber.)

Ende der Wahlnacht?

Britische Reformpläne.

Mit Polizeieskorte für den Wahlurnen-Transport und Bankangestellten als Auszähler hat es der britische Wahlkreis Sunderland South 1992 erstmals geschafft, seine Stimmzettel in nur zwei Stunden auszuzählen — damals Rekord. Dann sind die Sunderlander ehrgeizig geworden: Im vergangenen Jahr brauchten sie nur 42 Minuten und 45 Sekunden.

Diese Hektik soll bald vorbei sein: Nach vergangenen Betrugsfällen sollen Geburtsdaten und Unterschriften von Briefwählern in Zukunft genau überprüft werden. So genau, dass das Auszählen nicht mehr um 22 Uhr losgehen soll, sondern erst am nächsten Morgen — sagt jedenfalls Bridget Prentice, die für Wahlen zuständige (tief Luft holen) Parlamentarische Stellvertretende Staatssekretärin im Verfassungsministerium.

Die Medien trauern vorbeugend schon einmal: Wo käme Britannien hin ohne etwa den legendären Portillo Moment um drei Uhr in der Nacht, als New Labour den ultrasicher geglaubten Wahlkreis des Verteidigungsministers einnahm? Ohne stundenlange Fernseh-Sendungen und Überraschungen im Morgengrauen?