Der „Soldatenmord von Lebach“ ist in die deutsche Rechtsgeschichte eingegangen: 1973 stoppte das Bundesverfassungsgericht die Ausstrahlung eines sendefertigen ZDF-Fernsehspiels über den Überfall auf ein Bundeswehr-Depot, bei dem vier Soldaten getötet wurden. Die „nicht mehr durch das aktuelle Informationsinteresse gedeckte Fernsehberichterstattung“ sei unzulässig, wenn sie die Resozialisierung des Täters gefährde (BVerfGE 35, 202). 1999 entschieden die Verfassungsrichter, Sat.1 dürfe einen Fernsehfilm über den Soldatenmord senden, in dem die Täter (anders als im früheren Fall) für Außenstehende nicht identifizierbar waren (1 BvR 348/98).
Was ist im Zeitalter von Google eigentlich noch Folgeberichterstattung? Namensnennungen in Rundfunk und Printmedien sind — mit wenigen Ausnahmen wie Archive und Aufzeichnungen — vergänglich, im Internet sieht das anders aus: Für den vollen Namen des mutmaßlichen „Sasser“-Urhebers gibt es nicht nur eine fünfstellige Google-Trefferzahl (das ist jetzt nicht als Maßstab für Relevanz aufgeführt, sondern als Maßstab für Auffindbarkeit). Für den vollen Namen gibt es sogar einen Eintrag in der deutsch- und der englischsprachigen Wikipedia. Und dabei ist er vermutlich bis einschließlich morgen nicht verurteilt und steht vor einer Jugendkammer. (Zur Erinnerung: Es gibt eine Richtlinie des Presserats für Berichte über Strafverfahren gegen Jugendliche, die besagt, dass „die Presse mit Rücksicht auf die Zukunft der Betroffenen besondere Zurückhaltung üben“ soll.)
Ich weiß, dass manche Online-Redaktionen Artikel „auf Wiedervorlage setzen“, also nach einer Weile prüfen, ob eine Meldung nicht wieder verschwinden sollte. Andere versuchen, von vornherein so zu berichten, dass die Meldung eine Person nicht identifizierbar macht — mit Ausnahme von bereits öffentlich bekannten Personen. (Nebenbei frage ich mich, welchen Gewinn ein Leser davon hat, den vollen Nachnamen selbst eines verurteilten Verbrechers zu kennen.)