Kleinteilig

Die Wende beim Leistungsschutzrecht?

Vor ein paar Monaten gab es hier zur Frage, was wohl aus dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage wird, vier Szenarien. Heute kam die Nachricht, dass im neuen Koalitionsentwurf „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ ausgenommen werden sollen.

Zum Vergleich erst einmal ein Auszug daraus, wie die Bundesregierung noch vor kurzer Zeit den Gesetzentwurf begründet hat (Hervorhebungen von mir):

Das Leistungsschutzrecht schützt bereits kleine Teile des Presseerzeugnisses. Hier kann nichts anderes gelten, als das, was der Bundesgerichtshof mit Blick auf das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller in seinem Urteil „Metall auf Metall“ (Urteil vom 20.11.2008, Az. I ZR 112/06) ausgeführt hat. Ebenso wie beim Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers der Schutzgegenstand nicht der Tonträger selbst ist, ist auch hier nicht das Presseerzeugnis selbst Schutzgegenstand, sondern die zur Festlegung des Presseerzeugnisses erforderliche wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung des Presseverlegers. Die unternehmerische Leistung umfasst jeden Teil des Presseerzeugnisses; die erforderlichen Mittel müssen für einen kleinen Teil genauso bereitgestellt werden, wie für die gesamte Festlegung einer Ausgabe. In diese unternehmerische Leistung greift auch derjenige ein, der nur kleine Teile nutzt.

Jetzt ein Auszug aus der Begründung für den Änderungsantrag (laut RA Thomas Stadler, wieder mit eigenen Hervorhebungen):

Die Empfehlung soll sicherstellen, dass Suchmaschinen und Aggregatoren ihre Suchergebnisse kurz bezeichnen können, ohne gegen Rechte der Rechteinhaber zu verstoßen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Blick auf das Leistungsschutzrecht für Tonträgerhersteller (Urteil „Metall auf Metall“ vom 20.11.2008, Az. I ZR 112/06) soll hier gerade keine Anwendung finden. Einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte, wie Schlagzeilen, zum Beispiel „Bayern schlägt Schalke“, fallen nicht unter das Schutzgut des Leistungsschutzrechtes. Die freie, knappe aber zweckdienliche Beschreibung des verlinkten Inhalts ist gewährleistet. Suchmaschinen und Aggregatoren müssen eine Möglichkeit haben, zu bezeichnen, auf welches Suchergebnis sie verlinken. Insofern gilt der Rechtsgedanke der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Vorschaubildern („Vorschaubilder I“, Urteil vom 29.04.2010, Az. I ZR 96/08; „Vorschaubilder II“, Urteil vom 19.10.2011, Az. 140/10).

Was es mit den Vorschaubildern auf sich hat, erläutert Jonas Kahl ausführlich bei Telemedicus: Wer Inhalte frei ins Netz stellt, muss mit üblichen Nutzungen rechnen — die Parallelen zu den Suchmaschinen-Snippets liegen auf der Hand.

Einige Netzpolitiker der Grünen wittern schon Morgenluft und fordern neue Expertenanhörungen. Wer einen Blick auf den Sitzungskalender des Bundestags wirft, sieht, was das bedeuten würde: Es bleiben noch acht Sitzungswochen, dann ist Sommerpause und danach wird der Bundestag neu gewählt. Das Szenario 2, das ich damals aufgeschrieben hatte, hat also noch Chancen: „Der Entwurf wird verschleppt, bis die Legislaturperiode endet, danach ist die Regelung schneller vergessen als jemand „sachliches Diskontinuitätsprinzip“ sagen kann.“ Oder es wird — hauruck! — doch noch diese Woche ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage beschlossen, mit dem die Presseverlage weder etwas verdienen noch jemanden unter Druck setzen können. Beides wäre ein trauriges Ergebnis für diejenigen, die mit harten Bandagen für das Leistungsschutzrecht gekämpft haben.

Nachtrag: Till Kreutzer schreibt den Werdegang des Gesetzentwurfs noch einmal bündig für die FAZ auf.

Und noch ein Nachtrag: Der Bundestag hat dem Leistungsschutzrecht zugestimmt, und der Streit darüber, was kleinste Textteile und was zu lange Auszüge sind, geht schon los.

Recht mäßig

Wie weiter mit dem Leistungsschutzrecht?

Zu denen, die über das lange geforderte und nun auch geplante Leistungsschutzrecht staunen, zählt auch Stefan Niggemeier: „Wie die Verleger glauben können, dass es ihnen nützen wird und nicht schaden, Hinweise auf ihre Artikel zu erschweren, ist eines der zentralen Rätsel dieser ganzen Angelegenheit und Ausweis des Irrsinns, in den sich die Branche in ihrem Überlebenskampf geflüchtet hat.“

Was dieser Irrsinn bedeutet, haben andere schon ausführlich aufgeschrieben. Die spannende Frage: was passiert jetzt?

Szenario 1: Das Wunder
Nach der einhelligen Kritik überarbeitet die Regierung den Gesetzentwurf so, dass er nur noch die Gemeinten trifft: „Diese Regelung gilt ausschließlich für Internet-Giganten. Internet-Gigant im Sinne dieses Gesetzes sind Google und Perlentaucher.“ Der Perlentaucher wird daraufhin eingestellt, Google erwirbt eine Lizenz für alle deutschen Medien und die Verlage beteiligen die Autoren in angemessener Weise am erklecklichen Gewinn.
Wahrscheinlichkeit: Null.

Szenario 2: Der Proteststurm
Internet-Aktivisten freuen sich, nach dem bis zum Schluss nebulösen Thema ACTA endlich wieder einen klaren Feind serviert zu bekommen. Netzpolitiker aller Parteien riechen die Chance und setzen sich an die Spitze der Bewegung, auch um den Piraten das Feld nicht allein zu überlassen. Einige Verlage und einige Medien setzen sich deutlich ab. Der Entwurf wird verschleppt, bis die Legislaturperiode endet, danach ist die Regelung schneller vergessen als jemand „sachliches Diskontinuitätsprinzip“ sagen kann.
Wahrscheinlichkeit: hoch.

Szenario 3: Die Bauchlandung
Trotz des Proteststurms tritt das geänderte Gesetz in Kraft, die Verlage erklären aber, dass sie großzügig damit umgehen wollen. Nach anderthalb Jahren brechen Google und die Verleger ihre Preisverhandlungen ergebnislos ab. Zehn Tage später bereinigt das Unternehmen sein News-Angebot und die Suchmaschinen-Treffer auf Google Deutschland um Inhalte, die als „überwiegend verlagstypisch“ angesehen werden könnten. Über Google.com werden die Snippets weiterhin angezeigt. Die Zahl und Größe der übrigen Aggregatoren ist zu klein, um nennenswerte Einnahmen zu erzielen.
Wahrscheinlichkeit: relativ hoch.

Szenario 4: Die Selbstzerstörung
Völlig unbeeindruckt von der Kritik machen sich die Verleger daran, ihr neu gewonnenes Recht auszureizen. Anwaltsfirmen, die bereits erfolgreich im Dienste der Musikindustrie unterwegs sind, lassen eine amerikanische Plagiaterkennungs-Software für ihre Zwecke umprogrammieren und verschicken Abmahnungen für kurze Zitate, die nicht unter das Zitatrecht fallen, und für aktuelle Links mit Überschriften. Immer wieder werden kleine Blogger getroffen, von denen einige ihre Blogs schließen, die anderen aber hart zurückschlagen. Verfassungsbeschwerden, Boykottaufrufe und Internet-Kampagnen halten die Verleger auf Trab und fressen die geringen Einnahmen auf, die das Leistungsschutzrecht in die Kassen gespült hat.
Wahrscheinlichkeit: niedrig.

Die von der ACTA

Eine Demonstration aus der Korbstuhl-Perspektive.

Der Hamburger Wind treibt die Wolken im schnellen Wechsel an der Sonne vorbei, die Korbstühle der Cafés an der Mönckebergstraße sind trotzdem voll besetzt. Dann passiert etwas: In gemächlichem Tempo zuckeln erst Polizeiwagen, dann ein Lautsprecherwagen heran und blockieren die Einkaufsmeile für Busse und Taxen. Dahinter einige Hundert Menschen, die mal vorangehen, mal wieder stehenbleiben und etwas wollen. Aber was?

Den grünen und orangefarbenen Fahnen nach zu urteilen ist es ein Gemisch aus Piraten und Grüner Jugend, dazu ein winziger Schuss Antifa. Den weißen Aufklebern zufolge, wenn man sie denn aus einiger Entfernung überhaupt lesen kann, gehören sie offenbar zu einer Gruppe namens „ACTA“, jedenfalls steht das auf den Stickern. Andererseits scheinen sie sehr selbstkritisch zu sein: Schließlich schreit ein Großteil regelmäßig, angeleitet von Megafon-Trägern auf dem Wagen, „Scheiß auf ACTA!“

„Reiht Euch in die Demo ein!“, bekommen die Kaffeetrinker auf den Korbstühlen zu hören. Das lohnt sich zwar nicht, weil der Protestzug die Binnenalster schon einmal umrundet hat und es bis zum Rathausmarkt nicht mehr weit ist. Macht nichts, die Einkaufsbummler bekommen dennoch zu hören, dass sie „das Glotzen sein“ lassen sollen. Außerdem, rufen die Demonstranten, seien sie „hier“ und zudem „laut“, „weil Ihr uns die Freiheit klaut!“

Glücklich oder zumindest informiert sind die Korbstuhlsitzer, bei denen einer mit Flyern vorbeigekommen ist. Aha, ACTA, ein Abkommen, es geht um Internet und ums Europaparlament und Piraterie und Sanktionen. Die anderen, bei denen niemand mit einem Flyer vorbeigekommen ist, reimen es sich vielleicht mit viel Glück zusammen: Ordner im Trenchcoat, Piratenflaggen, da wird es schon irgendwie ums Internet gehen.

(Natürlich ist Selbstvergewisserung ein zentraler Bestandteil jeder Demonstration. Aber der Außenwelt ein Anliegen, einen Standpunkt zu vermitteln ist eben auch wichtig. Natürlich kann man darauf hoffen, dass die Leute nachher in der Zeitung oder im Fernsehen oder im Internet mitbekommen, worum es ging. Ob das gut oder schlecht erklärt wird, hängt dann eben von den erklärenden Journalisten ab. Mein Eindruck beim Beobachten der Hamburger Demonstration vom Sonnabend war: Besser vermitteln, worum es geht, bleibt auf der To-Do-Liste. Keine Frage, dass das bei ACTA allerdings noch schwerer ist als bei Vorratsdatenspeicherung oder Internetsperren.)

ICANN für .xxx

Ende eines jahrelangen Ringens?

Das erste Mal, dass Wortfeld über Pläne für eine .xxx-Domain berichtet hat, ist fast sieben Jahre her. Die Vorgeschichte bis zum Jahr 2006 gibt es an anderer Stelle zusammengefasst. Und jetzt geschieht das Wunder: Das ICANN-Direktorium beschließt die Rotlicht-Domain .xxx.

Das könnte spannend werden – nicht, was die Inhalte unter .xxx angeht, sondern was das für ICANN bedeutet. Das Direktorium der Netzverwaltung hat sich damit über den Rat der Regierungen hinweggesetzt, genauer: des Beratenden Regierungskomitees GAC.

Nicht, dass sich das GAC strikt gegen .xxx ausspricht; das tun einige Regierungen, aber längst nicht alle. 2005 schrieb der GAC-Vorsitzende ans ICANN-Direktorium, es herrsche „a strong sense of discomfort in the GAC“, wenn es um diese Domain gehe. Bis heute blieb die GAC-Kritik schwammig. Der .xxx-Antrag sieht jetzt sogar vor, dass das GAC und die Regierungen kulturell und religiös bedeutende Wörter vorab einreichen können, damit es diese nicht unter .xxx registriert werden können. (Natürlich wird .xxx in einigen Ländern gefiltert werden – das wissen auch diejenigen, die sich eine .xxx-Domain bestellen und nehmen es in Kauf.)

Was passiert also, wenn ICANN die Ratschläge des GAC nicht beherzigt? Diesmal vermutlich wenig. Auch im GAC sind nicht alle gleich – angefangen mit der US-Regierung. Wenn auf der obersten Ebene des Domainnamensystems, in der Rootzone, etwas geändert werden soll, wird das zuerst von der NTIA, einer Behörde des US-Handelsministeriums, überprüft. Ein Veto an dieser Stelle ist also technisch machtvoll, aber zugleich politisch potenziell selbstzerstörerisch: Je stärker und je isolierter die USA davon Gebrauch machen würden, desto stärken würden sich andere Regierungen, Rootserver-Betreiber und Nutzer anstrengen, das bisherige System durch ein anderes ersetzen.

Ablauf der Root-Zone-Verwaltung

Die US-Regierung hat sich in Sachen .xxx schon einmal eingemischt, auf Druck der religiösen Rechten, und das Verfahren weiter verzögert. Dabei ist die amerikanische Position gar nicht so aufregend: Man will natürlich nicht als Unterstützer von .xxx-Inhalten gelten.

Wenn also alles mit rechten Dingen zugeht, passiert dies: ICANN will .xxx in die Rootzone einfügen, das US-Handelsministerium prüft und stellt fest, dass das korrekte Verfahren eingehalten worden ist, Verisign fügt .xxx in die Rootzone-Datei ein und wenig später ist die Domain sichtbar. Mal sehen, was das für das Verhältnis von ICANN und Regierungen bedeutet.

Mut für 2010

Bestandaufnahme und Wunschzettel.

Eine Leseempfehlung: Lorenz Lorenz-Meyer schreibt über das, was fehlt, und was er sich für 2010 wünscht.

„Mir scheint, wir digital natives haben uns viel zu sehr von den formalen Prozessen faszinieren lassen, von all den Moden oder Hypes der letzten Jahre, von Facebook, Blogs und Twitter, von den angeblich ’sozialen’ Medien, deren großes Potential uns allen so wichtig ist, dass wir darüber Manifeste verfassen und Hymnen singen. Gleichzeitig sind wir damit gescheitert, Anliegen zu identifizieren und zu entwickeln, für die es sich lohnt, diese Instrumente in Anschlag zu bringen.“