Ad ACTA

Themenalarm: Digitale Bürgerrechte in Gefahr.

Da ist wieder eines dieser Themen, die man am liebsten ignorieren würde, weil die Materie so trocken klingt, weil so viele Details dazu noch gar nicht bekannt sind, weil man die Zeit im Internet so schön woanders verbringen kann. Aber wenn es später einmal in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird, ist es möglicherweise schon zu spät für Proteste und Änderungen:

„Mit dem ACTA-Abkommen ist nicht weniger als eine Radikalisierung der derzeitigen Urheberrechts- und Patentgesetze geplant, unter Ausschluß der Öffentlichkeit.“
Weiterlesen bei netzpolitik.org.

Demo-Notizen

Nach Freiheit statt Angst 2009.

Schön, dass so viele Leute da waren. Schade, dass nicht noch mehr Leute da waren. Schön, dass das Presseecho so groß ist.

Die Piraten waren omnipräsent, aber es waren genügend andere Gruppen da, dass es nicht zur Piraten-Wahlkampfdemo wurde. Apropos Piraten: Dass die Partei keine Imageberater beschäftigt, war deutlich am 25 Meter langen Truck abzulesen — der Hummer unter den Demonstrationsmobilen.

Zumindest in meinem Sichtfeld tauchten nicht so viele neue originelle Plakate und Transparente auf. Eher erfreulich finde ich, dass das Feindbild Schäuble nicht mehr so sehr im Mittelpunkt steht. Da war in der Vergangenheit einiges entstanden, was knapp dies- und deutlich jenseits des Erträglichen war, insbesondere im Zusammenhang mit Rollstuhl-Motiven.

Während die einen Barcodes als Symbol der Überwachung dämonisieren, verwenden die anderen bereits QR-Codes in ihren Demo-Broschüren.

Die Spinner waren selbstverständlich am Rande auch dabei. Neu gelernt habe ich dank eines Flyers, dass die Schweinegrippe offenbar eine Verschwörung ist, um mit der Impfung möglichst viele Leute umzubringen. Aha!

Gegen Ende mussten einige Berliner Bereitschaftspolizisten noch einmal zeigen, wie wenig Videokameras zur Gewaltprävention beitragen. Angeblich gab es davor aber schon Angriffe auf die Polizei. Auf der Strecke selbst trat die Polizei so gut wie gar nicht in Erscheinung.

Nachtrag: Alios schreibt über seine Festnahme. Beim Lesen kann einem schlecht werden.

"ICANN, übernehmen Sie!"

Neue Spiegel-Titelstory mit altem Helden.

Spiegel-Titel Netz ohne Gesetz – warum das Internet neue Regeln braucht Die Spiegel-Titelstory „Netz ohne Gesetz – warum das Internet neue Regeln braucht“ (anfangs kostenpflichtig, später kostenfrei) ist erfreulich differenziert, nennt ungelöste Probleme und stellt vor allem viele Fragen. Völlig überraschend und bizarr ist allerdings die Schlusspointe: Auf der letzten Seite bringen die fünf Autoren ICANN ins Spiel, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, und konstruieren sie zum potenziellen Heilsbringer um. Ich dachte, wir hätten diese Zeiten hinter uns.

Auf ICANN kommt das Autorenquintett über das Thema Domainstreitigkeiten — angeblich der Nukleus einer „digitalen Verfassung“, die „auch ohne völkerrechtliche Anerkennung Geltung gewonnen“ habe. Ja, es gibt ein von ICANN beschlossenes internationales Schiedsverfahren namens UDRP (Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy). Was es nicht gibt, ist das im Spiegel-Artikel erwähnte „Schiedsgremium der ICANN, eine Art Welt-Netzgericht“, denn ICANN entscheidet gar nicht selbst über solche Domainstreitigkeiten.

Es gibt derzeit vier Schiedsstellen, bei denen man so ein Verfahren beantragen kann – und die mit den weitaus meisten Fällen ist diejenige der WIPO, der Weltorganisation für geistiges Eigentum. Die UDRP ist also kein klassisches Völkerrecht, wird aber von Institutionen des klassischen Völkerrechts mitgetragen und basiert indirekt auf internationalen Vereinbarungen: Die Richtlinie definiert nicht, was ein Warenzeichen ist, das ergibt sich aus nationalem und internationalem Recht. Und wer das UDRP-Verfahren vor der Schiedsstelle verliert, kann anschließend vor ein normales Gericht ziehen.

Kurz gefasst: Dieses Domain-Schiedsverfahren ist allerhöchstens Rechtsprechung ultralight. Wo kommt dann also dieses dramatische Zitat her, das der Spiegel ICANN unterschiebt?

„Das Internet ist vor allem das Gerüst der globalen Kommunikation, und die Freiheit des Wortes sollte eine der Grundlagen des Internetrechts sein.“

Womöglich haben die Spiegel-Autoren diesen Satz in einem sechs Jahre alten Text des Frankfurter Juraprofessors Gunther Teubner (PDF) gefunden, aus dem auch die Gedanken zu „Lex digitalis“ und „Lex mercatoria“ stammen. Das Zitat steht in einer UDRP-Entscheidung aus dem Jahr 2000, verfasst von einem Ein-Personen-Panel, besetzt mit einer amerikanischen Juristin, in einer Auseinandersetzung zwischen einem Amerikaner und der Firma Bridgestone Firestone. Dass sie dabei amerikanische Maßstäbe von Freedom of Speech anwendet, ist einigermaßen nachvollziehbar.

Aber an dieser Stelle wird aus dem Domainstreit zwischen einer Reifenfirma und einem unzufriedenen Ex-Mitarbeiter vor neun Jahren plötzlich ein genereller Lösungsansatz für Internet-Probleme — und die Spiegel-Autoren verlieren ein wenig die Bodenhaftung. Hier muss einmal der ganze Absatz zitiert werden:

„Freiheit zuerst – keine staatliche Verfassung der Erde, nicht die Menschenrechte und kein göttliches Gesetz haben die Juristen von ICANN für diese Erkenntnis zitiert. Sie haben es einfach hingeschrieben. Weil irgendjemand ja entscheiden muss.“

Es waren nicht die Juristen von ICANN, sondern eine einzelne Juristin der WIPO-Schiedsstelle, und im Vorfeld zitiert sie das US-Bundesbezirksgericht für das westliche New York und das für Zentral-Kalifornien, das US-Bundesberufungsgericht für den zweiten Bezirk und für den neunten Bezirk. (Es braucht auch nicht viel Fantasie, um zu erraten, woher die amerikanischen Richter das mit der Redefreiheit wohl haben.)

Wer ernsthaft glaubt, ICANN könne möglicherweise „den internationalen Zirkus der von den Staaten angetriebenen Konsenssuche ersetzen“, hat noch nie an einer ICANN-Tagung teilgenommen. „Weltweit gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe“ klingt gut auf dem Papier, aber die Akteure im ICANN-Prozess haben extrem unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung. Das fängt schon mit den Flugtickets für den internationalen Wanderzirkus ICANN an, der Ende Oktober in Seoul, Mitte März 2010 in Nairobi, im Juni in Europa und im Dezember in Südamerika tagt – wer nur über das Netz teilnimmt, kann weitaus weniger Einfluss nehmen. Vor allem aber sind die Staaten bei ICANN keineswegs außen vor: Sie sind formell und informell eingebunden und können, wenn sie es wollen, jede ICANN-Entscheidung auf einem der beiden Wege stoppen. Die US-Regierung hat über Verträge einen besonderen Trumpf, aber auch die Europäische Union, Australien oder Japan sind wichtige Spieler.

Die letzte Seite des Spiegel-Artikels ist ein merkwürdiger Flashback ins Jahr 2000, als nicht nur Spiegel Online im ICANN-Rausch war, Peter Glotz vom „regierten Cyberspace“ sprach und sich alle auf die Online-Wahl der ICANN-Direktoren stürzten. Im Jahr 2009 ist ICANN eines der Themen, bei denen selbst heise-Forenkommentatoren nicht mehr viel einfällt, die Online-Wahl ist längst wieder abgeschafft, die US-Regierung spielt ihre Sonderrolle weiterhin und für neue Domainendungen interessieren sich auch nicht mehr ganz so viele.

Nota bene: Ich will ICANN nicht schlechtreden, sondern im Gegenteil vor überzogenen Vorstellungen in Schutz nehmen. Dass das Domainnamensystem den Übergang vom Wissenschaftler-Internet zum globalen Netzwerk mit mehr als einer Milliarde Nutzern einigermaßen unbeschadet überstanden hat, ohne völlig auseinanderzufliegen, ist schon eine Leistung. Was für ein Wahnsinn ist da ein Plädoyer, ICANN binnen zwei Monaten in „eine supranationale unabhängige Instanz“ zu verwandeln und mit „weitreichenden Befugnissen und Mitteln“ auszustatten, ohne auch nur einmal über Legitimation und Kontrolle zu reden, von den genauen Aufgaben ganz zu schweigen. Über Internet Governance nachdenken: gern! Aber dann bitte gründlich.

Nicht im Kino

Ein Trailer für die Netzdemo am 12.09.2009.

Vimeo

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Freiheit statt Angst – der Trailer auf Vimeo

(Das Video steht unter Creative-Commons-Lizenz, über eine Verbreitung freue ich mich! Wer andere Anbieter lieber mag oder einfacher einbinden kann, findet das Video auch auf YouTube und auf Sevenload.)

Die Großdemonstration „Freiheit statt Angst“ findet elf 15Tage vor der Bundestagswahl statt. Gibt es einen besseren Zeitpunkt, um sich mit einem riesigen Demonstrationszug durch die Hauptstadt für Bürgerrechte im Internetzeitalter einzusetzen?

Wenn alle kommen, die sich über die Vorratsdatenspeicherung geärgert haben und die sich über die Netzsperren ärgern; alle, die Ausweitungen der Sperren befürchten und neue Einschränkungen des Internetzugangs über Sperren und Zwangsfilter verhindern wollen; alle, die nach den Datenschutzskandalen der jüngsten Zeit bloßen Versprechen wenig vertrauen und die dieses Thema für wichtiger halten als die meisten Politiker es tun — wenn die alle kommen, dann wird das eine der größten Bürgerrechtsdemonstrationen der Bundesrepublik.

(Oh, und ich bin übrigens befugt, Heimcomputer-Nerds mit Spuren von Ironie zu behandeln. Ich hatte natürlich selbst einen C64.)

Hinter Censordyne

Ein australischer Spot gegen Netzfilter.


YouTube-Video: Censordyne

Dazu gibt es noch eine Censordyne-Website und eine Censordyne-Suchmaschine.

Wo kommt so etwas her?

Hinter dem Spot steckt eine Kampagne von GetUp, eine Kreuzung aus Bürgerbewegung, Lobbygruppe und Internetcommunity, die stark an die amerikanische Organisation MoveOn erinnert. Die Mitgliedschaft ist kostenlos, nach GetUp-Angaben haben sich 325.000 Menschen angemeldet — auf Deutschland umgerechnet wären das 1,2 Millionen.

Bei den derzeit 23 aktiven GetUp-Kampagnen geht es um sehr unterschiedliche Themen, beispielsweise bezahlten Mutterschutz, Klimawandel, eine Entschuldigung gegenüber den Aborigines oder konkrete Naturschutzproteste. In der Vergangenheit hat sich GetUp dafür eingesetzt, dass der australische Guantanamo-Gefangene David Hicks nach Australien zurückkehrt und dass Kinder nicht in Asylhaft kommen.

Gegen eine Filterung des Internets durch die australische Regierung haben sich aber nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Bürgerrechtsgruppen und Bibliotheksverbände ausgesprochen. Auch Save the Children hat sich der GetUp-Kampagne angeschlossen und erklärt, das Vorhaben der australischen Regierung sei unverhältnismäßig, kaum zielführend und schütze nicht vor der Verbreitung von Kinderpornografie durch E-Mail-Verteiler, Chatrooms und Tauschbörsen. (Save the Children Deutschland gehörte dagegen zu den Organisationen, die schon den rechtlich fragwürdigen Provider-Verträgen applaudiert haben.)

GetUp sammelt Spenden, um den Werbespot möglichst auf allen Qantas-Flügen in die Hauptstadt Canberra zu zeigen und damit Politiker und ihre Mitarbeiter zu erreichen, die zur nächsten Sitzungswoche anreisen. Mit einem Comedy-Spot wie diesem schafft es GetUp aber natürlich auch kostenlos ins Fernsehen, weil der Spot selbst zur Story wird.

Das Kampagnen-Denken hinter GetUp wird deutlich, wenn es um das Vorschlagen neuer Kampagnenthemen geht:

– In one or two lines, what is your campaign about (what problem are you seeking to address)?
– What is the desired political outcome (what, specifically, are you trying to achieve)?
– Who has the power to make change happen, or at least influence the political result (should we be targeting dissenting MPs, the media, the Prime Minister)?
– What’s the campaign’s message (i.e. Fund our ABC, or No child belongs in detention)?
– What should the campaign ask GetUp members to do (sign a petition, call talkback radio, attend a rally, email their Federal MP)?
– Is there a target audience for this campaign (university students, mums and dads, Australians affected by drought)?
– What is the timing of this issue (why should we run a campaign about this now, or later)?

Zusammengefasst: Ein humorvoller, professionell gedrehter Spot, der kostenlos ins Fernsehen kommt, sich im Internet viral verbreitet und direkt auf Politiker und deren Mitarbeiter zielt. Ein Bündnis, das auch diejenigen umfasst, die sich möglicherweise für das kritisierte Vorhaben aussprechen könnten. Eine Organisation, die allein mit dem Thema Netzpolitik niemals so viele Mitglieder zusammenbekäme. Nachdenken über Ziel, Akteure, Botschaft, Zielgruppen und Timing. Ja, so kann so etwas klappen.

Video gefunden via @FranziskaHeine.