Die Wahrheit der Bilder

Kana-Spekulationen in den Medien.

Am Donnerstag erscheint in der FAZ ein Artikel mit der Überschrift Was geschah wirklich in Kana?. Die Unterzeile „Wie über den Angriff spekuliert wird“ hält, was sie verspricht: Spekulationen.

Genannt wird unter anderem die anti-syrische Website Libanoscopie, die den Angriff auf Kana als Verschwörung der Hisbollah bezeichnet, gestützt lediglich auf „eine im allgemeinen gut informierte Quelle“.

Genannt werden auch das EU Referendum Blog (das für den Austritt Großbritanniens aus der EU plädiert) und das ebenfalls erzkonservative Blog Confederate Yankee. Beide konzentrieren sich derzeit darauf, die Bilder des Angriffs auf Kana als Verschwörung der Hisbollah mit den Fotografen von Reuters, AP und AFP darzustellen. Zuvor hatte Confederate Yankee versucht, mit Bildern von Hisbollah-Kindern den toten Kindern von Kana rhetorisch den Status von Zivilisten abzuerkennen.

Die Jerusalem Post schafft es, in ihrem Artikel über die Blog-Gerüchte auch über die Zweifel an solchen Darstellungen zu berichten. Sie fragt bei der makabren Diskussion um angebliche Leichenstarre einen Mediziner; der sagt, er könne aus den Fotos keine endgültigen Schlüsse ziehen. Sie berichtet ebenfalls darüber, das die Argumentation mit angeblich inkonsistenten Aufnahme-Zeitpunkten der Fotos nicht standhält. Guardian-Kommentator Roy Greenslade nennt die Anschuldigungen gegen die Agenturfotografen schändlich. Sehr ärgerlich, dass die FAZ auf ihrer Seite 2 dazu hauptsächlich Gerüchte sammelt und druckt, statt sie einzuordnen.

Natürlich werden die Opfer für Propagandazwecke missbraucht, auf beiden Seiten, mal subtiler und mal deutlich weniger subtil. Natürlich ist es Aufgabe von Journalisten, auf solche Unstimmigkeiten hinzuweisen und diesen nachzugehen. Allzu viel ist nicht zu erwarten: Darf ich an dieses ITN-Bild aus einem serbischen Internierungslager im bosnischen Trnopolje erinnern, mit einem ausgemergelten Menschen hinter Stacheldraht? Zunächst galt es als Beleg für serbische Gräuel (britische Boulevard-Schlagzeile: „Belsen 92“). Dann galt das Foto serbienfreundlichen Journalisten als Beleg für westliche Medienmanipulationen, weil es angeblich die Journalisten waren, die innerhalb eines umzäunten Geländes standen. Das britische Magazin LM (Living Marxism) verlor indes eine Verleumdungsklage gegen ITN und ging bankrott. Und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kam zu dem Schluss, dass in Trnopolje vor allem Frauen und Kinder interniert waren und zahlreiche Gefangene getötet wurden.

Nachtrag 1: Was mit ärgerlichen FAZ-Sammelsurien passieren kann, wenn sie zusätzlich durch die Bild-Mangel genommen werden, beschreibt Bildblog.

Nachtrag 2: Um die Ereignisse in Kana und das mediale Echo geht es auch in Harald Stauns FAS-Artikel In den Hügeln von Hezbollywood.

Nachtrag 3: Sehr sehenswert: Wahrheit und Fälschung, ein Beitrag des NDR-Medienmagazins Zapp über die Bilderflut vom Krieg. (Disclaimer: Der NDR ist mein Arbeitgeber.)

Ende der Wahlnacht?

Britische Reformpläne.

Mit Polizeieskorte für den Wahlurnen-Transport und Bankangestellten als Auszähler hat es der britische Wahlkreis Sunderland South 1992 erstmals geschafft, seine Stimmzettel in nur zwei Stunden auszuzählen — damals Rekord. Dann sind die Sunderlander ehrgeizig geworden: Im vergangenen Jahr brauchten sie nur 42 Minuten und 45 Sekunden.

Diese Hektik soll bald vorbei sein: Nach vergangenen Betrugsfällen sollen Geburtsdaten und Unterschriften von Briefwählern in Zukunft genau überprüft werden. So genau, dass das Auszählen nicht mehr um 22 Uhr losgehen soll, sondern erst am nächsten Morgen — sagt jedenfalls Bridget Prentice, die für Wahlen zuständige (tief Luft holen) Parlamentarische Stellvertretende Staatssekretärin im Verfassungsministerium.

Die Medien trauern vorbeugend schon einmal: Wo käme Britannien hin ohne etwa den legendären Portillo Moment um drei Uhr in der Nacht, als New Labour den ultrasicher geglaubten Wahlkreis des Verteidigungsministers einnahm? Ohne stundenlange Fernseh-Sendungen und Überraschungen im Morgengrauen?

Die Macht der Schachtel

Neue Methoden zur Radio-Quotenmessung.

Im Paradies der Unwissenheit waren die Onlinejournalisten nie: Jeder Seitenabruf, jedes Umherklicken landet im Logfile. Beim Fernsehen zeichnet das GfK-Meter säuberlich auf, wer wann wohin zappt. Bei Zeitungsmachern heißt das Schreckgespenst Readerscan, mit dem die Leser bis zur letzten gelesenen Zeile erforscht werden. Anders beim Radio — da wird halbjährlich per Telefonumfrage ermittelt, ob und wann ein Hörfunkprogramm schon mal gehört worden ist. Da die Befrager Sendernamen und Slogans als Erinnerungsstütze nutzen, kann beides gar nicht oft genug am Tag genannt werden. Einzelnes in Sendungen erfasst die Media-Analyse dagegen nicht.

Vor allem in kleineren Ländern ist die Methodik da schon weiter. In der Schweiz bekommen die Testpersonen schon seit fünf Jahren eine kleine blaue Uhr, die in jeder Minute vier Sekunden lang per Mikrofon die Umgebungsgeräusche aufzeichnet — aus Datenschutzgründen nur in schlechter Qualität. Nach etwa einer Woche schicken die Tester diese Radiowatch zurück, und nach dem Computervergleich mit dem tatsächlich gesendeten Hörfunkprogramm erhalten die Medienforscher feinste Nutzungsdaten. Das Ergebnis nach der Einführung 2001: Mehr Menschen hören mehr Radiosender als zuvor angenommen. Wer sein Programm via Internet-Stream, Podcast oder überhaupt mittels Kopfhörer konsumiert, wird aber nicht erfasst.

Hand mit PPM-Box Norwegen setzt seit Anfang 2006 auf ein anderes System namens Portable People Meter (PPM). Die Testperson nimmt beim Aufstehen eine kleine Elektronikschachtel aus ihrer Ladebucht und schleppt sie den ganzen Tag lang mit sich herum. Solange sich der Tester bewegt, lauscht das Gerät auf Signale, die alle fünf Sekunden von den Rundfunkanbietern ausgesandt werden. Per Telefonleitung gelangen die Daten zur Auswertungsstelle. Da die für Menschen unhörbaren Signale ohnehin einen Code mit Zeit und Programm enthalten, bringt auch zeitversetztes Hören etwa von Podcasts das PPM-System nicht durcheinander. Was im Kopfhörer abläuft, weiß das Gerät dank eines Adapters für die Kopfhörerbuchse.

Seit gut zwei Wochen liegen in Norwegen die ersten Daten vor, und sie ähneln den Schweizer Erfahrungen. Die Hörerzahlen sind nach der neuen Methodik bei allen Programmen gestiegen, bei einem Anbieter haben sie sich sogar verdoppelt. Das Medium Radio wird nach der PPM-Auswertung häufiger genutzt als Fernsehen, gesunken ist dagegen wiederum die Nutzungsdauer.

(Ein Argument gegen diese neue Art der Nutzungsmessung wurde übrigens sowohl in der Schweiz als auch in Norwegen debattiert: der unfreiwillige Radiohörer, dessen Programmdirektor der Taxifahrer ist. Allerdings fällt es schwer zu glauben, dass genügend Menschen stundenlang im Taxi unterwegs sind, um die Statistik spürbar zu verfälschen.)

Unglaublicher Schrott

Die Diskussion um den nr-Medienkodex geht weiter.

Raucher-Hinweis: Bloggen gefährdet den Journalismus Vor einem Vierteljahr habe ich mich an dieser Stelle gefragt, was das Netzwerk Recherche in der Präambel seines Medienkodizes mit „neuen Technologien“ meint, die angeblich den Journalismus gefährden. Auf eine Mail an das Netzwerk habe ich bis heute keine Antwort bekommen.

Erfreulicherweise hat jemand beim nr-Jahrestreffen in Hamburg nachgefragt. Christiane Link dokumentiert in ihrem Weblog die Diskussion um den Kodex. Ein Auszug:

Jemand aus dem Publikum fragt, warum die neue Techniken eine Gefahr darstellen.
Rainer Burchardt kritisiert Blogs. Was da an Schrott verbreitet werde, einschließlich Wikipedia, sei unglaublich. Man habe es mit knallharter Ökonomisierung der Ware Information zu tun.

Christiane — bloggende Journalistin wie ich — fügt an: „Was das mit Blogs und Wikipedia zu tun hat, verstehe ich gerade nicht.“ Ich auch nicht. Aber ich kapiere ja schon nicht, dass jemand wie Burchardt, der sich damit professionell beschäftigt, immer noch solche Pauschalurteile fällt.

Nachtrag: Der Frager aus dem Publikum, Marcus Lindemann, hat sich bei Christiane zu Wort gemeldet mit einer sehr lesenswerten Ergänzung. Und so entdecke ich nebenbei auch das recherch-o-log — laut Selbstbeschreibung schreiben dort „bloggende Journalisten und Journalistinnen sowie journalistische Blogger und Bloggerinnen über journalistische Recherche und recherchierenden Journalismus“.

Medienmisstrauen

Eine Vergleichsstudie von GlobeScan.

Balkengrafik auf Papier Die Deutschen haben angeblich weniger Vertrauen in die Medien als die Nigerianer, Indonesier, Inder, Ägypter, US-Amerikaner, Russen, Briten, Südkoreaner und Brasilianer. Nach der GlobeScan-Studie im Auftrag von BBC, Reuters und Media Center ist das Vertrauen seit der letzten Befragung im Jahr 2002 sogar noch gesunken in Deutschland, von 49 Prozent auf 43 Prozent. Erstaunlicherweise wird aber nicht abgeschaltet: Die Studie sieht die Deutschen als „exceptionally enthusiastic consumers of news“. In den zehn Ländern der Studie „Trust in the Media“ wurden gut 10.000 Menschen befragt, auch nach Weblogs: Fast überall gelten sie als am wenigsten vertrauenswürdig — Süd-Korea ist die Ausnahme.

Ein Blick in den Fragebogen-Teil macht mich allerdings skeptisch. Zunächst wird gefragt, ob Regierung oder Medien „im besten Interesse unserer Gesellschaft handeln“. Das Wort „vertrauen“ kommt zwar in der Fragestellung vor, aber nicht im Kern. Die zweite zentrale Frage lautet, ob die folgenden Medien den Befragten mit den gewünschten Nachrichten und Informationen über das Zeitgeschehen versorgen. Der Satz wird zwar wieder mit dem Wort „vertrauen“ gebildet — aber ob ich Weblogs grundsätzlich vertraue oder ob sie mich mit den gewünschten Nachrichten versorgen, sind doch zwei sehr unterschiedliche Dinge.

Statt auf die angeblichen Vertrauensfragen lohnt sich eher der Blick auf den Vergleich der Mediennutzung: Für jeden dritten Südkoreaner ist das Internet die wichtigste Nachrichtenquelle, in Deutschland sind es immerhin elf Prozent. Und dahinter verbergen sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen.