Bleak House 2005
Eine exzellente Dickens-Verfilmung.
Vom ersten Satz an, wo Nebel und Dämmerung und die übliche unmenschliche Staats=Justiz=Maschinerie mit einander identifiziert werden, steht kein Wort, keine Episode mehr umsonst : nie sind Zufall — oder, wenn Sie so wollen, Notwendigkeit ! — als so eisernes Netz über Menschen und Dinge gespannt worden. Scheinbar belanglose — nicht „Taten“, sondern Handgriffe ! — führen maschinenhaft, 500 Seiten später Verbrechen & Tod herbei, Glück oder Unglück Unbekannter, Nie=Gesehener, Nie=Bedachter. Um die 57 Hauptpersonen kreist unermüdlich der Planetoidenring der Nebengestalten, immer zunehmend an Zahl und Bedeutsamkeit.
[aus Arno Schmidts Funk-Essay über Charles Dickens — „Tom all alone’s / Bericht vom Nicht-Mörder“]
Ein 700-seitiger Dickens-Roman zerschreddert zu einer Soap mit 30-minütigen Folgen? Das geht, oh ja, sogar sehr gut. Schließlich hat ihn Charles Dickens in 19 Fortsetzungsheftchen herausgebracht und seine Leserschaft mit Cliffhangers zum Weiterlesen genötigt. Zwei Sätze zur Einführung: „Bleak House“ ist die Geschichte des ewig währenden Erbschaftsstreits Jarndyce v Jarndyce, der die Juristen gut ernährt und den potenziellen Erben nur Unheil bringt. Während der Prozess im Hintergrund auf der Stelle tritt, kommen einige der Beteiligten Geheimnissen auf die Spur, in die sie alle verwoben sind: die junge Waise Esther, der Gerichtsschreiber mit Pseudonym Nemo, Lady Dedlock, der düstere Anwalt von Sir Leicester Dedlock, der Straßenfeger Jo und viele andere.
Die Neuverfilmung von 2005 (BBC/WBGH) richtet sich mit ihrem bisweilen halsbrecherischen Tempo auch an die Zuschauer, für die ein Gerichtsprozess aus dem 19. Jahrhundert sonst eine schriftliche Einladung zum Wegzappen ist. Recht so — weg mit minutenlangen Kutschfahrten durch düstere Landschaften und Selbstgesprächen aus dem Off. Ja, die Kostüme und Kulissen waren bestimmt aufwändig und teuer, aber das Auge der Kamera gehört auf die Menschen gerichtet in diesem Drama um Liebe, Mord und viel Geld, um den Ruf einer Adelsfamilie, die Suche nach den eigenen Wurzeln und die krassen sozialen Missstände im England des 19. Jahrhunderts. Dank der exzellent umgesetzten Romanvorlage und Schauspielern in Hochform wird daraus eben keine Soap zum Mitschämen, sondern ein strahlender Beleg dafür, wie gut Fernsehen sein kann. Belohnt wurde dies erfreulicherweise nicht nur mit Lob der britischen Fernsehkritik, sondern auch mit vielen und begeisterten Zuschauern.
(Wer nicht warten mag, bekommt natürlich übers Netz auch in Deutschland die DVD mit einer einstündigen und 14 halbstündigen Folgen.)
Nachtrag: Giesbert Damaschke ist ebenfalls begeistert.