Beispiel Island?

Crowdsourcing-Mythen um eine neue Verfassung.

In einer Pressemitteilung hat die Piratenpartei gerade Island zum Vorbild erklärt: Die Isländer stünden (am gestrigen Sonnabend, dem 20.10.2012) vor der Entscheidung, „ob ihre künftige Verfassung auf Vorschlägen basieren soll, die basisdemokratisch entstanden sind“. Johannes Ponader, der politische Geschäftsführer spricht von einem politischen Traum: „Die Isländer beweisen der Welt, dass Basisdemokratie funktioniert.“ Der Verfassungsentwurf sei „unter Einbeziehung der Bevölkerung und Verwendung von Crowdsourcing“ entstanden.

Die Kurzfassung: Bei näherer Betrachtung bleibt davon nicht mehr ganz so viel übrig. Aber wir haben hier ja auch Platz für ein bisschen mehr Erklärung.

Das isländische Referendum vom Sonnabend war nicht bindend, und abgestimmt wurde auch nicht über den finalen Verfassungstext. Die erste der sechs Fragen auf dem Stimmzettel lautete, ob die Vorschläge des Verfassungsrats die Grundlage für einen neuen Verfassungsentwurf bilden sollen. Laut vorläufigen Meldungen haben sich etwa 50 Prozent der Abstimmungsberechtigten beteiligt, davon haben rund 66 Prozent dafür gestimmt, den Vorschlag als Grundlage zu nehmen.

Jetzt ist erst einmal das isländische Parlament, das Althing, am Zuge.

Ist denn der Text durch Crowdsourcing entstanden? Vorgelegt haben ihn fünfzehn Männer und zehn Frauen, die im November 2010 vom Volk gewählt wurden. Die Wahlbeteiligung war dabei mit knapp 36 Prozent die geringste von allen landesweiten Wahlen seit Islands Unabhängigkeit 1944. Anfang 2011 wurde die Wahl für ungültig erklärt. Daraufhin hat das Althing aus der Verfassungsversammlung einen Verfassungsrat gemacht und die Wahlgewinner zu den Mitgliedern des Rats ernannt.

Sitzung des isländischen Verfassungsrats
Foto CC-by Stjórnlagaráð

Auf der Website des Verfassungsrats konnten Benutzer öffentliche Kommentare schreiben (etwas über 300 sind eingetroffen). Unter einzelnen von ihnen gibt es einen oder mehrere Facebook-Kommentare, darunter auch einige von Mitgliedern des Verfassungsrats. Auf der Facebook-Seite des Verfassungsrats selbst gibt es nur wenige Kommentare.

Die 19 Plenarsitzungen des Rats waren öffentlich, von den (bis zu 48) Sitzungen der drei Ausschüsse gibt es zumindest Protokollnotizen, von den Arbeitsgruppen gibt es sie nicht. In Sachen Transparenz sind die Unterschiede zu deutschen Parlamenten also nicht ganz so gewaltig.

Innovativer war dagegen eine andere Versammlung: das Nationalforum von 2010, das aus einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung entstand. 950 Isländerinnen und Isländer, deren Namen aus dem Einwohnerregister gezogen wurden, trafen sich dazu ein Wochenende lang in einer Sporthalle in Reykjavik und setzten sich grüppchenweise mit einem neutralen Moderator an einen Tisch.

Islands Nationalforum 2010
Foto CC-by-sa Stjórnlagaþing

Die Ergebnisse des Nationalforums lesen sich allerdings weniger spannend als das Konzept: Unter dem Eindruck der Banken- und Staatskrise forderten die Teilnehmer moralischeres Verhalten, mehr Ehrlichkeit und mehr Gleichheit. Es wird allerdings auch einigen Stellen etwas konkreter – begrenzte Amtszeiten für Abgeordnete, Referenden in wichtigen Fragen, zudem wird die Veto-Macht des isländischen Präsidenten infragegestellt.

Was ist vom Wochenende in der Sporthalle geblieben? Die Amtszeitbegrenzung findet sich im aktuellen Verfassungs-Vorschlag nicht wieder und der Präsident hat sein Veto behalten, dafür gibt es mehr Möglichkeiten für Referenden.

Jetzt beschäftigt sich also Islands Parlament mit der neuen Verfassung. Der Entwurf des Verfassungsrats sieht auf den flüchtigen Blick eines Nicht-Isländers aus wie eine moderne europäische Verfassung, Informations- und Pressefreiheit werden gestärkt, die Menschenrechte rücken an den Anfang der Verfassung. Auch die Isländer, die sich dafür interessieren, scheinen mit dem Vorschlag ja überwiegend zufrieden zu sein.

Ein „Beweis, dass Basisdemokratie funktioniert“ ist dieser isländische Verfassungsgebungsprozess allerdings nicht. Zum ersten ist das Interesse in der Bevölkerung nicht sonderlich groß, zum zweiten haben die repräsentativ ausgewählten Bürger im Nationalforum 2010 nur sehr vage Leitlinien aufgestellt, zum dritten war die Bevölkerung auch beim Verfassungsrat nicht besonders stark beteiligt.

Und schließlich darf man eben auch nicht vergessen, wie groß oder eben klein Island ist: Der Mediziner und Filmemacher Lýður Árnason war für 347 Isländer die erste Wahl, und das hat auch gerade noch für einen Platz im Verfassungsrat gereicht. In Reykjavik leben 100.000 Menschen, außerhalb davon noch einmal 200.000. Da hat Bielefeld mehr Einwohner als das ganze Land.

Recht mäßig

Wie weiter mit dem Leistungsschutzrecht?

Zu denen, die über das lange geforderte und nun auch geplante Leistungsschutzrecht staunen, zählt auch Stefan Niggemeier: „Wie die Verleger glauben können, dass es ihnen nützen wird und nicht schaden, Hinweise auf ihre Artikel zu erschweren, ist eines der zentralen Rätsel dieser ganzen Angelegenheit und Ausweis des Irrsinns, in den sich die Branche in ihrem Überlebenskampf geflüchtet hat.“

Was dieser Irrsinn bedeutet, haben andere schon ausführlich aufgeschrieben. Die spannende Frage: was passiert jetzt?

Szenario 1: Das Wunder
Nach der einhelligen Kritik überarbeitet die Regierung den Gesetzentwurf so, dass er nur noch die Gemeinten trifft: „Diese Regelung gilt ausschließlich für Internet-Giganten. Internet-Gigant im Sinne dieses Gesetzes sind Google und Perlentaucher.“ Der Perlentaucher wird daraufhin eingestellt, Google erwirbt eine Lizenz für alle deutschen Medien und die Verlage beteiligen die Autoren in angemessener Weise am erklecklichen Gewinn.
Wahrscheinlichkeit: Null.

Szenario 2: Der Proteststurm
Internet-Aktivisten freuen sich, nach dem bis zum Schluss nebulösen Thema ACTA endlich wieder einen klaren Feind serviert zu bekommen. Netzpolitiker aller Parteien riechen die Chance und setzen sich an die Spitze der Bewegung, auch um den Piraten das Feld nicht allein zu überlassen. Einige Verlage und einige Medien setzen sich deutlich ab. Der Entwurf wird verschleppt, bis die Legislaturperiode endet, danach ist die Regelung schneller vergessen als jemand „sachliches Diskontinuitätsprinzip“ sagen kann.
Wahrscheinlichkeit: hoch.

Szenario 3: Die Bauchlandung
Trotz des Proteststurms tritt das geänderte Gesetz in Kraft, die Verlage erklären aber, dass sie großzügig damit umgehen wollen. Nach anderthalb Jahren brechen Google und die Verleger ihre Preisverhandlungen ergebnislos ab. Zehn Tage später bereinigt das Unternehmen sein News-Angebot und die Suchmaschinen-Treffer auf Google Deutschland um Inhalte, die als „überwiegend verlagstypisch“ angesehen werden könnten. Über Google.com werden die Snippets weiterhin angezeigt. Die Zahl und Größe der übrigen Aggregatoren ist zu klein, um nennenswerte Einnahmen zu erzielen.
Wahrscheinlichkeit: relativ hoch.

Szenario 4: Die Selbstzerstörung
Völlig unbeeindruckt von der Kritik machen sich die Verleger daran, ihr neu gewonnenes Recht auszureizen. Anwaltsfirmen, die bereits erfolgreich im Dienste der Musikindustrie unterwegs sind, lassen eine amerikanische Plagiaterkennungs-Software für ihre Zwecke umprogrammieren und verschicken Abmahnungen für kurze Zitate, die nicht unter das Zitatrecht fallen, und für aktuelle Links mit Überschriften. Immer wieder werden kleine Blogger getroffen, von denen einige ihre Blogs schließen, die anderen aber hart zurückschlagen. Verfassungsbeschwerden, Boykottaufrufe und Internet-Kampagnen halten die Verleger auf Trab und fressen die geringen Einnahmen auf, die das Leistungsschutzrecht in die Kassen gespült hat.
Wahrscheinlichkeit: niedrig.

Verpasst

Dinge, die aus Mediatheken verschwinden.

Auf die Frage, warum Sendungen aus Mediatheken wieder verschwinden oder — die meisten Spielfilme zum Beispiel — dort nie landen, hat man als öffentlich-rechtlicher Onliner in Deutschland eine kurze, aber unschöne Antwort parat: Rundfunkstaatsvertrag. Der schreibt Verweildauern und Telemedienkonzepte mit Verweildauern vor, der verbietet angekaufte Spielfilme und Serien in den Mediatheken.

Und woanders? Als öffentlich-rechtlicher Onliner in Norwegen ist die Antwort ebenfalls unschön, aber dafür lang und kompliziert. Die Kollegen vom norwegischen Rundfunk haben im sehr geschätzten Blog nrkbeta.no probiert, das alles einmal zu erklären und sogar noch zu erzählen, warum das so ist, wie es ist. Sie haben dafür 16.000 Zeichen gebraucht.

Dass aus der NRK-Mediathek Nett-TV etwas herausfliegt, liegt dort nicht an Gesetzen. Es liegt manchmal daran, dass vor dem Internet logischerweise niemand Onlinerechte in die Verträge geschrieben hat. Eine nachträgliche Rechteklärung ist manchmal kaum möglich, manchmal auch einfach zu teuer. Manchmal liegen die Rechte nicht vor, weil NRK die Sendung von einer externen Firma gekauft hat oder weil es eine Lizenzausgabe einer ausländischen Sendung ist und die Verträge nur einen Monat Online-Verweildauer vorsehen. Und richtig komplex wird es, wenn es um Spielfilme und Serien geht. Ist es eine große Studio- oder eine Indie-Produktion? Erst nach dem dreimonatigen Blackout-Fenster nach dem zwölfmonatigen Pay-TV-Fenster nach dem zehnmonatigen DVD-Fenster ein halbes Jahr nach dem Kino-Start ist Free TV dran. NRK kauft dann beispielsweise das Recht, binnen vier Jahren einen Film zweimal zu zeigen, mit Wiederholung binnen sieben Tagen, und dann beim ersten Mal den Film 30 Tage im Netz anzubieten. Alles Weitere kostet extra.

Es gibt also offenbar kein Gesetz, das NRK davon abhalten würde, die Onlinerechte für Hollywood-Filme auch für längere Zeit zu kaufen und die Filme im Nett-TV zu zeigen. NRK macht es nicht zuletzt aus finanziellen Gründen nicht. Was auch daran liegt, dass die meisten Mediatheks-Nutzer Sendungen nachschauen, nachdem sie gerade gelaufen sind.

(„Dann stellt doch einfach alles unter Creative Commons“ ist, zumindest heutzutage, nur eine Option für einen Bruchteil dessen, was im Fernsehen zu sehen ist, aus ähnlichen Gründen. Etwas unter Creative Commons stellen kann nur der Urheber, und das ist in vielen Fällen eben nicht der Fernsehsender.)

Auf nrkbeta.no endet der Artikel so: „Mit anderen Worten: Es liegt im Großen und Ganzen nicht in der Macht und/oder den finanziellen Möglichkeiten von NRK, Euch alles, was gesendet wird, für alle Zeit im Nett-TV zu geben. Aber es werden einige Gedanken gedacht und es passieren Dinge. Mehr dazu später.“ Ich bin gespannt.

(Transparenzhinweis: Ich kümmere mich beim NDR unter anderem um die Mediathek, das hier ist aber mein privates Blog.)

Die von der ACTA

Eine Demonstration aus der Korbstuhl-Perspektive.

Der Hamburger Wind treibt die Wolken im schnellen Wechsel an der Sonne vorbei, die Korbstühle der Cafés an der Mönckebergstraße sind trotzdem voll besetzt. Dann passiert etwas: In gemächlichem Tempo zuckeln erst Polizeiwagen, dann ein Lautsprecherwagen heran und blockieren die Einkaufsmeile für Busse und Taxen. Dahinter einige Hundert Menschen, die mal vorangehen, mal wieder stehenbleiben und etwas wollen. Aber was?

Den grünen und orangefarbenen Fahnen nach zu urteilen ist es ein Gemisch aus Piraten und Grüner Jugend, dazu ein winziger Schuss Antifa. Den weißen Aufklebern zufolge, wenn man sie denn aus einiger Entfernung überhaupt lesen kann, gehören sie offenbar zu einer Gruppe namens „ACTA“, jedenfalls steht das auf den Stickern. Andererseits scheinen sie sehr selbstkritisch zu sein: Schließlich schreit ein Großteil regelmäßig, angeleitet von Megafon-Trägern auf dem Wagen, „Scheiß auf ACTA!“

„Reiht Euch in die Demo ein!“, bekommen die Kaffeetrinker auf den Korbstühlen zu hören. Das lohnt sich zwar nicht, weil der Protestzug die Binnenalster schon einmal umrundet hat und es bis zum Rathausmarkt nicht mehr weit ist. Macht nichts, die Einkaufsbummler bekommen dennoch zu hören, dass sie „das Glotzen sein“ lassen sollen. Außerdem, rufen die Demonstranten, seien sie „hier“ und zudem „laut“, „weil Ihr uns die Freiheit klaut!“

Glücklich oder zumindest informiert sind die Korbstuhlsitzer, bei denen einer mit Flyern vorbeigekommen ist. Aha, ACTA, ein Abkommen, es geht um Internet und ums Europaparlament und Piraterie und Sanktionen. Die anderen, bei denen niemand mit einem Flyer vorbeigekommen ist, reimen es sich vielleicht mit viel Glück zusammen: Ordner im Trenchcoat, Piratenflaggen, da wird es schon irgendwie ums Internet gehen.

(Natürlich ist Selbstvergewisserung ein zentraler Bestandteil jeder Demonstration. Aber der Außenwelt ein Anliegen, einen Standpunkt zu vermitteln ist eben auch wichtig. Natürlich kann man darauf hoffen, dass die Leute nachher in der Zeitung oder im Fernsehen oder im Internet mitbekommen, worum es ging. Ob das gut oder schlecht erklärt wird, hängt dann eben von den erklärenden Journalisten ab. Mein Eindruck beim Beobachten der Hamburger Demonstration vom Sonnabend war: Besser vermitteln, worum es geht, bleibt auf der To-Do-Liste. Keine Frage, dass das bei ACTA allerdings noch schwerer ist als bei Vorratsdatenspeicherung oder Internetsperren.)

Team DIN

Die Schrift auf den DFB-Trikots.

Sport, insbesondere Fußball, ist bekanntlich nicht mein Metier — aber diese typografische Wissenslücke, die im Internet klafft, gehört geschlossen:
Die Schrift auf den Trikots der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-EM ist FF DIN Condensed Bold (Spielernamen) beziehungsweise FF DIN Condensed Black (Rückennummern). Wenn jetzt also jemand wissen will, welche Schriftart auf den DFB-Trikots eingesetzt wird (hallo Google!), findet er hoffentlich hier eine Antwort.

Trikots mit der Aufschrift FF DIN und der Rückennummer 42