Kartenspiele

Blinde Flecken bei Street View und Wikipedia.

Nein, keine Sorge, kein weiteres Fazit der re:publica 2013 (na gut: schön war’s, aber schaut selbst).

Stattdessen ein kleiner Hinweis auf ein kleines Spiel, und eine Suchtwarnung anbei: GeoGuessr ist wie ein kleines Adventure, bei dem es herauszufinden gilt, an welcher Stelle der Erde man gerade ausgesetzt wurde — mittels Google StreetView. Impulsive Menschen tippen anhand der Meeresfärbung, detektivisch veranlagte Spieler fahren lange Strecken auf einsamen Straßen auf der Suche nach einem Straßenschild. (Danke an @lehei für den Tipp!)

Screenshot von GeoGuessr

Was es dann doch mit der re:publica zu tun hat? Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Street-View-Autos natürlich nur einen kleinen Teil des Planeten besucht haben, und dort wiederum nur einen Teil der Städte und dort wiederum nur die Straßen. Das ist für den Spielspaß bei GeoGuessr nicht schlimm, vielleicht wäre das Spiel sonst gar nicht spielbar.

Weltkarte der von Street View abgedeckten Gebiete
Die von Street View abgedeckten Gebiete, Stand Mai 2013 (Karte © Google)

Aber solche blinden Flecke gibt es auch an vielen anderen Stellen, wo sie wichtiger sind und vielleicht weniger auffallen. In seinem Eröffnungsvortrag hat Erik Hersman über Innovation in mehreren afrikanischen Ländern erzählt. Wenn man aber Innovation in Patentanmeldungen pro Kopf zählt, bleiben die afrikanischen Länder auf der Karte leer.

Mark Graham hat für seinen re:publica-Vortrag über Internet-Geografien andere spannende Karten mitgebracht, zum Beispiel zur Frage, in welchen Ländern über welche Länder in der Wikipedia geschrieben wird. Mancherorts schreiben Menschen über sich selbst, mancherorts wird über einen geschrieben. Wenn die Wikipedia zunehmend das Universal-Nachschlagewerk wird, sollten NutzerInnen das im Kopf behalten.

Karte von Mark Graham: What percentage of edits to English-language Wikipedia are from local people?
Karte von Mark Graham: What percentage of edits to English-language Wikipedia are from local people?

Aber wie gesagt: GeoGuessr macht trotzdem süchtig.

Offene Karten

Die Gespräche über Palästinas Grenzen.

Dass ein Analyst eines pro-israelischen Think Tanks in Washington Kartenentwürfe für einen palästinensischen Staat vorlegt, klingt erst einmal nur mäßig spannend. Aber die Mini-Zusammenfassung auf der letzten Seite der Studie ist dann doch dramatisch: „Das Unmögliche ist erreichbar: Israel kann die territorialen Forderungen der Palästinensischen Autonomiebehörde erfüllen und dabei seine eigenen Grenzen so anpassen, dass die große Mehrheit der Siedler im Westjordanland beinhaltet ist.“

Noch interessantere Karten haben Al-Jazeera und der Guardian am Abend veröffentlicht: Sie sind Teil der Palestine Papers, der geleakten Dokumente der palästinensischen Unterhändler bei den Nahost-Verhandlungen. Sie zeigen zum einen, welche Landtausch-Pläne die palästinensische Seite im Mai 2008 vorschlug, und zum anderen den Gegenvorschlag der damaligen israelischen Regierung unter Ehud Olmert vom August 2008. (Allerdings durfte Palästinerpräsident Mahmud Abbas die Karte nicht mitnehmen, sondern musste sie angeblich abzeichen.)

Karte dreier Vorschläge für palästinensisch-israelische Landtäusche

Und dann schaut man auf diese drei Karten und fragt sich, ob eine Einigung wirklich so unmöglich ist.

Zum Thema:
Palestine Papers beim Guardian
Palestine Papers bei Al-Jazeera
Protokoll zum palästinensischen Vorschlag 2008
Protokoll zum israelischen Vorschlag 2008
NYTimes.com: Trying to Break Logjam, Scholar Floats an Idea for a Palestinian Map
David Makovsky: Imagining the Border (komplette Studie, 7,5 MB)
Washington Institute: Interaktive Kartenanwendung zur Studie

Medienlandschaften

Film-, TV-, Buch- und Musik-Landkarten.

Würde man Filme auf einer Landkarte platzieren, welcher wäre in wessen Nähe? „Für eine Handvoll Dollar“ und „Für ein paar Dollar mehr“ lägen natürlich nah beieinander, „Die Braut, die sich nicht traut“ und „Wedding Planner“ wären vermutlich Nachbarn. Aber der Neuaufguss von „Shaft“ neben der Dr.-Seuss-Verfilmung „The Cat in the Hat“?

Ausschnitt aus Yifan Hus Movie Map

Die Movie Map von Yifan Hu ist ein Nebenprodukt des Netflix Prize, mit dem der DVD-Onlineverleiher seinen Empfehlungsmechanismus verbessern will. Die Karte basiert auf genau solchen Empfehlungen, die Netflix-Nutzer bekommen.

Nicht nur Filme, sondern auch amerikanisches Fernsehen, Musik (via last.fm) und Bücher (amazon.com-Empfehlungen) haben Emden Gansner, Yifan Hu, Stephen Kobourov und Chris Volinsky in Karten verwandelt. Mehr zum Hintergrund und weitere Karten auf Yifan Hus Webseite bei AT&T Labs.

(Und das war wirklich noch nicht bei Boing Boing?)

Kartenchaos

Pressekonzentration, unlesbar dargestellt.

Eine Karte zur schwindenden Vielfalt auf dem deutschen Zeitungsmarkt? Begeistert bin ich dem Link (via turi2) zur Wirtschaftswoche gefolgt, jetzt habe ich Kopfschmerzen.

Wiwo-Pressekarte

Dass sich in einigen Regionen vier der zehn größten Zeitungsgruppen tummeln und es daher auch gelbbraun-kadettenblau-indischrot-dunkelkhaki-quergestreifte Gebiete gibt: na gut. Diese Streifen werden aber überlagert von halbtransparenten Kästen für Berlin, Hamburg, München und Frankfurt, bei denen die Zeitungen farblich nicht den Verlagen zugeordnet sind. Dazu gibt es noch eine Schicht mit weißen, goldgelben und kornblumenblauen Kreisen, bei denen die Farbe nicht für den Verlag, sondern für die Zahl der Abozeitungen steht. Nicht zu verwechseln mit den hochgestellten Ziffern, die für Städte mit zwei Abozeitungen der gleichen Verlagsgruppe beziehungsweise Städte mit drei Abozeitungen, darunter zwei der gleichen Verlagsgruppe stehen. Warum die Publikationen aus dem Hause DDVG dann noch einmal gesondert mit einer Fahne eingezeichnet werden müssen: schwer zu verstehen.

Hinter so einer Karte steht zweifelsohne viel Recherchearbeit, und die Wirtschaftswoche hat versucht, so viele Informationen wie möglich unterzubringen. Schade, dass es im Netz dabei bleibt, die Infografik aus dem Magazin als PDF hochzuladen, obwohl sie im Netz so viel besser umgesetzt werden könnte. Im Netz wäre die Karte beispielsweise skalierbar: Das Ruhrgebiet ginge nicht mehr in einem Wust farbiger Kreise unter. Es müssten nicht alle Informationen auf einen Schlag präsentiert werden: Nutzer könnten die Gebiete einzelner Verlagsgruppen ein- und ausblenden, Ein-Zeitungs-Kreise anzeigen lassen, beim Überfahren mit der Maus Zeitungstitel herausfinden und so weiter. Es wäre eine großartige Karte geworden.

Nachtrag: Unschön wird es auch, wenn Design über Infografik siegt. Etwa bei der jüngsten Irak-Afghanistan-Karte der New York Times, die weder im Detail noch im Gesamtbild gut zu lesen ist.

Obamaps

Die Macht über die Wahlkreisgrenzen.

Wahlsiege, bei denen sich die politische Landkarte zu den eigenen Gunsten färbt, sind einfacher, wenn man die Karte und ihre Wahlkreisgrenzen vorher selbst zeichnen darf — keine neue Erkenntnis. Sehr anschaulich wird das im Redistricting Game der University of South California: Spieler dürfen die Grenzen so lange verschieben, bis das Ergebnis passt. Das Zitat am Anfang — „As a mapmaker, I can have more of an impact on an election than a campaign, than a candidate“ — stammt von David Winston, einst Redistricting-Spezialist für das Republican National Committee.

Bundesstaats-Wahlkreis in Chicago 1991 und 2001
Bundesstaats-Wahlkreis in Chicago 1991 und 2001

Was das mit Barack Obama zu tun hat? Der Washington-Korresponent des New Yorkers, Ryan Lizza, hat in aller Ausführlichkeit über Obamas politischen Start in Chicago geschrieben, also ausgerechnet in der Stadt der Political Machine schlechthin. Lizza erzählt keine schockierende Enthüllungsgeschichte, aber er zeichnet das Porträt eines Obama, der sehr zielstrebig arbeitet — eben nach den Spielregeln für Politiker. Dazu zählt auch die Szene, in der er als Bundesstaatssenator an der politischen Landkarte von Illinois arbeitet: „On the screens that spring day were detailed maps of Chicago, and Obama and a Democratic consultant named John Corrigan sat in front of a terminal to draw Obama a new district.“

Seine Hochburg, Hyde Park, blieb, aber sein Wahlkreis wuchs nach Norden, in die reicheren, weißeren Gegenden Chicagos, und wurde damit zu einem besseren Sprungbrett für ihn. Dabei haben die Illinois-Demokraten nur das gemacht, was zehn Jahre zuvor die Illinois-Republikaner  gemacht haben: „Incumbents drawing their own maps will inevitably try to advantage themselves“, schrieb Obama selbst.