Mut für 2010

Bestandaufnahme und Wunschzettel.

Eine Leseempfehlung: Lorenz Lorenz-Meyer schreibt über das, was fehlt, und was er sich für 2010 wünscht.

„Mir scheint, wir digital natives haben uns viel zu sehr von den formalen Prozessen faszinieren lassen, von all den Moden oder Hypes der letzten Jahre, von Facebook, Blogs und Twitter, von den angeblich ’sozialen’ Medien, deren großes Potential uns allen so wichtig ist, dass wir darüber Manifeste verfassen und Hymnen singen. Gleichzeitig sind wir damit gescheitert, Anliegen zu identifizieren und zu entwickeln, für die es sich lohnt, diese Instrumente in Anschlag zu bringen.“

Ende mit Schrecken

Rechtsstreit DFB vs. Jens Weinreich beigelegt.

Flutlicht

Der freie Sportjournalist Jens Weinreich und der DFB haben ihre siebenmonatige Auseinandersetzung um die beiden Worte „unglaublicher Demagoge“ beigelegt, beide Seiten haben eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Stefan Niggemeier wertet das als deutliche Niederlage und befürchtet eine abschreckende Wirkung auf Kritiker des DFB.

Ganz so schwarz sehe ich nicht, und das nicht nur, weil Jens Weinreich seine Energie jetzt endlich wieder auf andere Dinge als auf Land- und Kammergerichtsentscheidungen verwenden kann. Es war von Anfang an eine Auseinandersetzung zwischen Ungleichen: Auf der einen Seite steht der größte Sportverband der Welt, mit 200 Mitarbeitern in der Zentrale, einer Rechtsabteilung und 80 Millionen Euro Jahreseinnahmen. Auf der anderen Seite steht ein freier Journalist, den ein Rechtsstreit auch ohne Niederlagen zeitlich und finanziell lahmlegen kann.

Der DFB ist nicht der Sieger, hat keine der juristischen Auseinandersetzungen gewonnen. Das Echo auf den Rechtsstreit in Medien und Blogs war einhellig negativ für den Verband. Dass der DFB jetzt verbreitet, er habe Jens Weinreich „zu keinem Zeitpunkt in seiner Arbeit als kritischer Sportjournalist behindern“ wollen, wird niemanden vom Gegenteil überzeugen. Den DFB werden die negativen Reaktionen nicht davon abhalten, bei ähnlicher Gelegenheit wieder so zu reagieren — vermutlich hätte das nicht einmal eine Niederlage in letzter Instanz geschafft.

Ein freier Journalist, der in eine solche Lage gerät, kann aber am Fall DFB vs. Weinreich sehen, dass er womöglich weniger allein ist als früher. Jens Weinreich hat viel Energie in die transparente Dokumentation des Rechtsstreits gesteckt, von Gerichtsbeschlüssen über Anwaltserklärungen, Zeitungsartikel und Hörfunkbeiträgen bis zu Bloglinks. Auch deshalb war er nicht nur auf die Solidarität von Journalistenkollegen angewiesen, sondern bekam die auch von wildfremden, nicht einmal unbedingt sportinteressierten Lesern seines Weblogs. Nicht nur aufmunternde Worte, sondern auch knapp 22.000 Euro Spenden.

Auch mit dieser Rückendeckung ist vermutlich nicht mehr drin als eine solche „gütliche Einigung“ zwischen David und Goliath. Sehr bedauerlich, dass es nun keine Gegendarstellung zu der unglaublichen DFB-Presseerklärung 180/2008 geben wird. Jens Weinreich kann am Ende erhobenen Hauptes schreiben: „Ich habe erklärt, was ich schon immer erklärt habe.“ Dass er sich stattdessen lieber märtyrerhaft in einen mehrjährigen Rechtsstreit wagen sollte, kann niemand verlangen.

(Foto CC-by funky1opti)

Guter Zweck

Jens Weinreich im DFB-Rechtsstreit unterstützen.

20-Euro-Schein

Über den Fall DFB vs. Jens Weinreich war hier schon einmal zu lesen. Angesichts drohender Anwalts- und Verfahrenskosten im hohen fünfstelligen Bereich hat Jens Weinreich nun eine Möglichkeit angeboten, über Paypal oder normale Überweisung Geld zu spenden. Wer also auf einen oder mehrere Zwanziger verzichten kann, sollte das jetzt tun.

Nachrichtenstifter

Der Non-Profit-Newsroom von ProPublica.

Die Titelstory der New York Times zum Untersuchungsbericht über den Wiederaufbau im Irak ist schon deswegen bemerkenswert, weil die Zeitung den 508 Seiten starken Bericht originell ins Netz gestellt hat: als annotiertes Dokument, bei dem die Highlights hervorgehoben sind.

Sie ist aber auch wegen ihrer Autoren bemerkenswert. James Glanz ist ein New-York-Times-Journalist, T. Christian Miller ist es nicht: Er ist einer von sieben senior reporters von ProPublica — einer nicht auf Gewinn ausgerichteten, aus Spendengeldern finanzierten Organisation, die investigativen Journalismus betreibt.

ProPublica veröffentlicht die Recherchen auch auf der eigenen Website, arbeitet aber vor allem mit anderen Medien zusammen, die dann die Geschichten publizieren. Zum Start Ende 2007 war Slate sehr skeptisch, was die Gründungsstifter Herbert und Marion Sandler angeht: „[P]hilanthropists, especially those who earned the fortune they’re giving away, tend not to distribute their money with a blind eye to the results.“ Andererseits haben viele Medien kaum eine Wahl, wenn sie selbst ihre Kapazitäten für investigativen Journalismus zusammensparen.

Eckstein

Der BBC-Finanzblogger Robert Peston.

Robert Peston, der leitende Wirtschaftsredakteur der BBC, ist so etwas wie das Gesicht der Finanzkrise für die Briten geworden: Dass Northern Rock in Schwierigkeiten war, erfuhren sie von ihm – und hoben ihr Geld ab. Dass Lloyds TSB die angeschlagene HBOS übernehmen will, meldete ebenfalls Peston – und der Aktienkurs stieg in 45 Minuten um fast 150 Prozent. („Will everyone please stop praising Robert Peston?“, schrieb Bill Blanko im Oktober.)

Den Lloyds-HBOS-Scoop meldete Peston übrigens zuerst in seinem BBC-Weblog, das es seit Ende Januar 2007 gibt. Auf der BBC Future of Journalism Conference wurde er gefragt, warum er bloggt. Seine Antworten, zusammengefasst zu finden bei Jem Stone, sind bemerkenswert. Als Leseanreiz: „I do see the blog as the absolute cornerstone of the way that I work. It’s central to everything that I do at the BBC.“ (Via reportr.net.)