Ohne Poster

Winnenden: Medienkritik von fünf Opferfamilien.

In der Spiegel-Online-Meldung unter der Überschrift „Opferfamilien aus Winnenden verlangen Killerspiel-Verbot“ fehlt ein Aspekt aus dem offenen Brief der Familien von fünf getöteten Schülerinnen:

„Wir wollen, dass der Name des Amokläufers nicht mehr genannt und seine Bilder nicht mehr gezeigt werden. Am aktuellen Beispiel von Winnenden zeigt sich, dass die derzeitige Berichterstattung durch unsere Medien nicht dazu geeignet ist, zukünftige Gewalttaten zu verhindern. Auf nahezu jeder Titelseite finden wir Namen und Bild des Attentäters. Diese werden Einzug finden in unzählige Chatrooms und Internet-Foren. Eine Heroisierung des Täters ist die Folge. Bei Gewaltexzessen wie in Winnenden müssen die Medien dazu verpflichtet werden, den Täter zu anonymisieren. Dies ist eine zentrale Komponente zur Verhinderung von Nachahmungstaten.“

Ich weiß nicht, ob es nur ein technischer Fehler oder tatsächlich Absicht ist, aber der Spiegel sieht zumindest davon ab, das Titelbild der Ausgabe 12/2009 wie sonst üblich als 32-mal-42-Zentimeter-Poster auf seidenglänzendem Papier für 12,95 Euro anzubieten.

Spiegel 12/2009
„Die SPIEGEL-Titelbilder repräsentieren eine eigene Erzählkultur sowohl der Inhalte als auch der Darstellungsästhetik.“ (Täterfoto von Wortfeld verpixelt)

Den Namen des Täters anonym zu halten, halte ich allerdings für eine Utopie. Da sind erstens ausländische Medien, bei denen die volle Namensnennung der Standard ist und die nicht an deutsches Recht zu binden sind. Da ist zweitens das Internet, in dem viele eine Anonymisierung als Herausforderung ansehen und den Namen herausfinden und verbreiten würden. Und da ist drittens der Täter, der seine Heroisierung dann eben gründlicher etwa im Netz vorbereiten wird, wie schon bei anderen Amokläufen geschehen.

Nachtrag: Das taz-Blog Reptilienfonds hat es auch bemerkt, Spiegel Online hat den Artikel ergänzt.

Keine Kommentare

  • Verbieten kann und sollte man solches Verhalten sicherlich nicht.

    Der Umgang der Medien mit solchen Amokläufen ist aber immer ein Dilemma. Mich würde es überhaupt nicht verwundern wenn die Amokläufe der letzten Jahre und die extensive Berichterstattung über diese mehr Inspiration für neue Amokläufe bot als alle fiesen Videospiele zusammen. Es ist schwieriger sich virtuelle Figuren als Vorbilder vorzustellen als echte leibhaftige Amokläufer. Die Abläufe der letzten paar Amokläufe haben sich sehr geglichen.

    Es ist natürlich ein Einzelfall. Und über Busunfälle mit mehr Toten – genauso plötzlich, genauso überraschend, genauso willkürlich, genauso grausam – wird nicht so extensiv berichtet. Was ist der Unterschied? Diese Frage zu stellen klingt falsch, aber ich glaube, dass uns unsere Psyche einen Streich spielt wenn sie solche Amokläufe so aufwertet, wenn sie ihnen alle unsere Aufmerksamkeit schenkt. Ich glaube wirklich, dass der Amoklauf in Winnenden nicht mehr als eine kurze Meldung in der Tagesschau verdient. Aber Busunfälle gibt es oft, Amokläufe selten? Ja! Aber das macht sie doch weniger schrecklich! Weniger wahrscheinlich! Nur sind wir Menschen eben anders verkabelt und deshalb wird es dazu nicht kommen.

  • wenn der name im internet bereits genannt wurde, das bild des täters sogar mehrmals veröffentlicht, so ist es ein unsinn, einen solche forderung zu stellen.

    wie du erwähnt hast, wird zudem dadurch das interesse bei vielen, die sich den namen bislang nicht genau gemerkt hatten (wie ich z.b.) erst geweckt. am besten wäre es für die beteiligten gewesen, die sache langsam aber sicher „einschlafen“ zu lassen.
    durch diese überreaktion gewinnt das bereits leicht abgeflaute interesse an winnenden und dem täter erneut an attraktivität.

  • Es geht doch gar nicht darum, dass man den Namen erfahren oder Bilder von ihm sehen kann. Es geht darum, wie Journalisten dieses Thema ausschlachten und mit Fotos auf Titelblättern – siehe Spiegel – dem Amokläufer zu ewigem „Ruhm“ verhelfen. Es ist einfach eine billige Ausrede zu sagen: „Die anderen machen das ja auch, also können wir das auch machen!“

    Was bringt es dem Leser an Mehrwert, das Foto des Jungen zu sehen und seinen vollständigen Namen zu wissen? Nichts. Ich bin entrüstet darüber, dass sich kaum ein Medium dagegen gestellt und gesagt hat: „Wir achten das Persönlichkeitsrecht, auch wenn es die anderen nicht tun!“ Das würde von Charakter, von Profil und von Qualität zeugen – doch alle diese drei Eigenschaften gehen leider immer weiter flöten. Und durch solche Aussagen, wie sie hier getroffen werden, finden sie auch noch Unterstützer. Ich kann das nicht nachvollziehen!

  • moral ist eine sache, profit eine andere. darum haben wir ja nun auch die nicht enden wollende finanzkrise.

  • Die Finanzkrise ist ein schönes Beispiel dafür, dass Profitgier in einem Desaster endet. Gerade deswegen sollten einige Medien die Moral wieder über den Profit stellen; langfristig wird sich das eher auszahlen als kurzfristige Gewinne.

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