Missverständnisse

Social Media bei der SPD Hamburg.

Bei der Podiumsdiskussion über Social Media, zu der die SPD-Bürgerschaftsfraktion am Montagabend geladen hatte, prallten in der Tat Welten aufeinander. Stefan Engels (Anwalt, Arbeitskreis Medien der SPD Hamburg) und Michael Neumann (SPD-Fraktionschef, Blogger) warben vergeblich um Verständnis dafür, dass sich ihre Partei gegenüber neuen Entwicklungen im Netz so zögerlich zeigt. Juliette Guttmann von DerWesten, Nico Lumma und Teile des Publikums versuchten vergeblich, für mehr Mut zu werben.

Die anwesenden Politiker verwiesen mehrfach auf die „Spielregeln der Politik“, die (neben Budget- und Personalknappheit) ein stärkeres Engagement kaum möglich machten. Nicht so richtig angekommen ist, dass sich Spielregeln in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen ändern — natürlich nicht komplett, aber eben auch nicht nur unwesentlich. Wer in der Musikindustrie oder der Filmbranche arbeitet, wer Zeitungen oder Zeitschriften verlegt, wer PR-Beraterin ist oder Buchhändler oder Pressefotografin oder Lexikonvertreter oder Lehrerin oder Bibliothekar, findet eine Welt vor, die sich seit dem Internet erheblich verändert hat. Da kann die Politik, in der Kommunikation so eine zentrale Rolle spielt, erstens nicht erwarten, dass ihre Spielregeln unverändert bleiben. Und darf zweitens nicht glauben, dass es für die anderen leichter sei: Auch Privatpersonen und Firmen fragen sich, wie viel Transparenz an welcher Stelle too much ist.

Die vorgetragene große Sorge, dass grundsätzlich einmal alles im Netz dokumentiert bleibt, ist ebenso übertrieben. Zum einen gilt das eben auch für alle, also auch für die Politiker gegnerischer Parteien, Journalisten, Verbände, Unternehmen, Initiativen — und natürlich auch für jeden Nutzer. Und zum zweiten ist Rückzug keine Alternative: Wenn Michael Neumann seinen Wunsch nach einem Verfallsdatum für Netzinhalte nicht selbst ins Internet schreibt, tut das eben jemand anders.

(Nur, damit niemand die Selbstverständlichkeit aussprechen muss: Dass ein schlechtes politisches Programm nicht zu retten ist, in dem man bloß darüber bloggt, flickrt, twittert, qikt, mogulust oder yammert, ist sonnenklar.)

Nachtrag: Mehr bei Nico Lumma und Jan Schmidt.

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Keine E-Mails mehr für Barack Obama?

Es sieht so aus, als wenn auch Barack Obama im Weißen Haus auf E-Mail verzichten wird, weil er es muss — schreibt die New York Times. Schon absurd, zumal E-Mails keine so unwichtige Rolle in diesem Wahlkampf gespielt haben. „[A]ides said he hopes to have a laptop computer on his desk in the Oval Office, making him the first American president to do so.“

Wikigoliath

Fehlwahrnehmungen im Fall Heilmann.

Auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen: Noch einmal zu Lutz Heilmann.

In Blogs und Onlinemedien tauchen immer wieder drei Annahmen auf: 1. Es geht um Heilmanns Stasi-Vergangenheit. 2. Die Wikipedia ist im Recht. 3. Heilmann hat wohl nicht begriffen, was der Unterschied zwischen wikipedia.de und de.wikipedia.org ist. (Variante 3 ist bei Bloggern und Twitterern zu lesen, während zahlreiche Medien selbst nicht begriffen haben, was der Unterschied ist.)

Dass Punkt 1 so nicht stimmt, habe ich gestern geschrieben. Ob Punkt 2 letztendlich stimmt, kann ich schwer beurteilen; der derzeitige juristische Zwischenstand ist allerdings klar. Die angegriffenen Punkte scheinen inzwischen aus dem Wikipedia-Eintrag, den viele so stolz verlinken, verschwunden zu sein. Und bei Punkt 3 habe ich ebenfalls meine Zweifel: Juristisches Vorgehen gegen die Domain „wikipedia.de“ ist ein Holzhammer, mit dem man die volle Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Wikipedianer bekommt, ohne die eigentliche Wikipedia, also de.wikipedia.org, zu gefährden. Wenn jemand also dringend möchte, dass Unwahrheiten in der deutschsprachigen Wikipedia korrigiert werden, kann er es entweder in den USA probieren (wo die Wikimedia Foundation ihren Sitz hat) — oder eben über den „wikipedia.de“-Trick in Deutschland.

(Die Außenwahrnehmung der Wikipedia ist immer noch die eines kleinen, stets unterstützenswerten Projekts, der David-gegen-Goliath-Reflexe auslöst. Wer sich die Zugriffszahlen anschaut, wer sich die Nutzung unter Multiplikatoren anschaut, sieht, dass die Wikipedia längst selbst ein Riese ist. Reflexe aus, selber nachdenken.)

Nachtrag: Nachdem die beanstandeten Inhalte jetzt aus dem Artikel verschwunden sind, hat Heilmann die juristische Auseinandersetzung für beendet erklärt.

Begründungslos

Berichte zum Fall Heilmann vs. Wikipedia.

Lutz Heilmann hat wikipedia.de sperren lassen — aber warum? Ein Blick auf die Berichterstattung bei Spiegel Online, heise online und Zoomer.de:

  • Spiegel Online garniert den Artikel mit viel Meinung („Servicewüste Deutschland“, „Negativ-PR“), schweigt aber zu den Hintergründen: „Da die Verbreitung der strittigen Passagen der einstweiligen Verfügung unterliegt, verzichtet SPIEGEL ONLINE auf eine detaillierte Widergabe.“ Stattdessen wird lang und breit über die Stasi-Vergangenheit Heilmanns berichtet. Wer Spiegel Online liest, muss also denken, dass es Heilmann beim Streit vor allem darum geht. Aber wieso ist dann die Spiegel-Berichterstattung zum selben Thema noch online?
  • Heise Online mutmaßt zumindest, dass es auch um etwas anderes geht: „In dem Streit geht es offenbar um in der Wikipedia zitierte Berichte, wonach die Immunität des Abgeordneten im Oktober aufgehoben worden sei, weil er einen Bekannten per SMS bedroht haben soll.“ Heilmanns Gegendarstellung zu einem Artikel in den Lübecker Nachrichten ist verlinkt. In einem Update am Ende kommt Heilmann selbst zu Wort.
  • Erstaunlich, aber wahr: Zoomer-Leser wissen mehr. Es gehe um den „Vorwurf, dass Heilmann an einem Online-Sex-Shop beteiligt sei“, dass Heilmann „einen Ex-Freund bedroht habe“, „dass er sein Jura-Studium abgebrochen habe“ und „dass er die Einsicht in seine Stasi-Akte verweigern würde“. Zoomer hat einfach mit Heilmann gesprochen.

(Warum Spiegel Online überhaupt über den Fall berichtet, wenn es nicht vorhat, die Hintergründe zu erklären, ist mir rätselhaft. Immerhin profitiert Wikimedia Deutschland.)

Nachtrag: Fortsetzung hier.