Einmal wie immer

Der Second-Life-Backlash.

Mario Sixtus bringt auf den Punkt, warum sich Medien- und Marketingmenschen so voller Hingabe auf Second Life stürzen: „Endlich kann man auch im Internet so weitermachen, wie in der guten alten Zeit vor dem Internet. (…) Zu guter Letzt ist [bei Second Life] das Leben im Netz auch für jene zu begreifen, die das Netz selbst nie begriffen haben.“ Sehr lesenswert.

Dazu kommt, dass etwa ein TV-Beitrag über Social Bookmarking ordentlich Fantasie bei der Bebilderung erfordert und der Reiz von Wikis, last.fm oder RSS-Feeds sich nicht recht aus einem Screenshot erschließt. Ein Mensch sitzt an einer Tastatur und tippt: So sieht Bloggen von außen aus, so sieht Chatten von außen aus, so sieht das Bearbeiten einer Steuererklärung von außen aus. Ein fliegender Avatar ziert dagegen jedes Bewegtbild, und die beliebte Erlebnisreportage „Mein erster Tag in Second Life“ setzt keinerlei Vorwissen voraus, von der richtigen Schreibweise des Wortes life abgesehen.

Torsten Kleinz erinnert zu Recht daran, dass Second Life minus Second-Life-Medienhype immer noch spannend sein kann, als Massive Multiplayer Online Role-Playing Game mit extrem viel Freiheit, komplexer Technik und interessanter sozialer Dynamik zwischen Bewohnern und Schöpfern des Spiels. Wenn es genügend Einwohner gibt, die das wie Torsten sehen, hat Second Life die Chance, den Ein- und anschließenden Ausmarsch der Marketingtruppen zu überleben. Aber die Zeit, die diese Beobachtung kostet, investiere ich lieber in den Teil des Internets, der über weniger häufig abstürzende Software wie Webbrowser zugänglich ist.

Erster!

Vanity Fair: Erst Second Life, dann online.

Der Wahnsinn, findet auch Daniel Große: Vanity Fair, das (vielleicht doch nicht so erfolgreiche) neue Magazin für Deutschland, ist als Leseprobe „an zwei virtuellen Kiosken und an einer Reihe hoch frequentierter Plätze“ in Second Life erhältlich.

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Quelle: Vanity Fair – Condé Nast Verlag

Das Leben im virtuellen Einkaufszentrum „Catwalk City“ wird nie wieder so sein wie vor dem Auftauchen des schwarzen Büdchens: „Als erstes Magazin der realen Welt wagt Vanity Fair den Schritt in das Parallel-Universum im Netz.“ Ob man das Blatt auch mitnehmen kann in die Future Lounge, die Popular Science Magazine im November eröffnet hat? Oder in den Humo Park eines belgischen Magazins?

(Derweil sind es nur noch 22 Tage, 12 Stunden, 12 Minuten und 6 Sekunden, bis das Magazin im Internet startet.)

In der Luft

Spiegel-Titelthema SecondLife.

Jetzt habe ich extra das bereits deinstallierte SecondLife reinstalliert, um zu schauen, was sich hinter diesen Koordinaten auf dem Spiegel-Titel verbirgt. (Via Medienlese.)

Eldorado 108, 154, 108 - Novelty World Flying Emporium
Das neue Spiegel-Außenbüro „Virtuelle Welten“? Stefan Austs persönliche digitale Grotte, oder zumindest die von SpOn-Reporter Sponto?

Resultat: „Novelty World Flying Emporium“ ist ein sehr secondlifish klingender, aber wohl ausgedachter Name. Und unter den angegebenen Koordinaten war nichts Spannendes zu entdecken, zumal die Z-Koordinate 108 bedeutet, dass man sich irgendwo in der angeblichen Luft befindet.

Ninca

Eine ICANN-Insel in Second Life.

Bislang habe ich mir Second Life verkniffen — aus Sorge, es könnte mich zu sehr faszinieren und viel zu viel Zeit vor dem Rechner kosten. Allmählich wird es aber immer schwerer. ICANNblogger Bret Fausett hat gerade ein Experiment gestartet:

A few weeks ago, I purchased an island in Second Life and hired a development team to build a conference facility where remote participants could gather in parallel to ICANN and Internet Governance meetings. The island is named „Ninca“ (an anagram for „ICANN“), and if you’re already a Second Life user, you can teleport there to have a look around by clicking on this slurl. (…) I’ll be both at the [ICANN] meeting in Sao Paulo and in world on Ninca Island, and I’ll try to act as a bridge between the two worlds.

Gerade stelle ich mir vor, wie Bret auf der realweltlichen Konferenz (2.-8.12.) die Belange von Massen-Mehrspieler-Online-Gemeinschaften vorbringt. Als jemand, der diverse ICANN-Konferenzen online (mit wackeligem Livestream und Transkripten via IRC) und real besucht hat, bin ich schwer begeistert. (Bestimmt gibt es irgendwo auf der Insel Ninca auch Hinterzimmer für die Lobbyisten, Regierungsvertreter und Direktoren.)

Nachtrag: In einem kurzen Video zeige ich die bislang menschenleere Insel. Noch verpasst man nicht viel.

Mehr zum Thema:
tagesschau.de: Virtuelles Wirtschaftswunder
Wired.com: Wired Travel Guide Second Life
Blogrolle.net: Start Second Life