Verpasst

Dinge, die aus Mediatheken verschwinden.

Auf die Frage, warum Sendungen aus Mediatheken wieder verschwinden oder — die meisten Spielfilme zum Beispiel — dort nie landen, hat man als öffentlich-rechtlicher Onliner in Deutschland eine kurze, aber unschöne Antwort parat: Rundfunkstaatsvertrag. Der schreibt Verweildauern und Telemedienkonzepte mit Verweildauern vor, der verbietet angekaufte Spielfilme und Serien in den Mediatheken.

Und woanders? Als öffentlich-rechtlicher Onliner in Norwegen ist die Antwort ebenfalls unschön, aber dafür lang und kompliziert. Die Kollegen vom norwegischen Rundfunk haben im sehr geschätzten Blog nrkbeta.no probiert, das alles einmal zu erklären und sogar noch zu erzählen, warum das so ist, wie es ist. Sie haben dafür 16.000 Zeichen gebraucht.

Dass aus der NRK-Mediathek Nett-TV etwas herausfliegt, liegt dort nicht an Gesetzen. Es liegt manchmal daran, dass vor dem Internet logischerweise niemand Onlinerechte in die Verträge geschrieben hat. Eine nachträgliche Rechteklärung ist manchmal kaum möglich, manchmal auch einfach zu teuer. Manchmal liegen die Rechte nicht vor, weil NRK die Sendung von einer externen Firma gekauft hat oder weil es eine Lizenzausgabe einer ausländischen Sendung ist und die Verträge nur einen Monat Online-Verweildauer vorsehen. Und richtig komplex wird es, wenn es um Spielfilme und Serien geht. Ist es eine große Studio- oder eine Indie-Produktion? Erst nach dem dreimonatigen Blackout-Fenster nach dem zwölfmonatigen Pay-TV-Fenster nach dem zehnmonatigen DVD-Fenster ein halbes Jahr nach dem Kino-Start ist Free TV dran. NRK kauft dann beispielsweise das Recht, binnen vier Jahren einen Film zweimal zu zeigen, mit Wiederholung binnen sieben Tagen, und dann beim ersten Mal den Film 30 Tage im Netz anzubieten. Alles Weitere kostet extra.

Es gibt also offenbar kein Gesetz, das NRK davon abhalten würde, die Onlinerechte für Hollywood-Filme auch für längere Zeit zu kaufen und die Filme im Nett-TV zu zeigen. NRK macht es nicht zuletzt aus finanziellen Gründen nicht. Was auch daran liegt, dass die meisten Mediatheks-Nutzer Sendungen nachschauen, nachdem sie gerade gelaufen sind.

(„Dann stellt doch einfach alles unter Creative Commons“ ist, zumindest heutzutage, nur eine Option für einen Bruchteil dessen, was im Fernsehen zu sehen ist, aus ähnlichen Gründen. Etwas unter Creative Commons stellen kann nur der Urheber, und das ist in vielen Fällen eben nicht der Fernsehsender.)

Auf nrkbeta.no endet der Artikel so: „Mit anderen Worten: Es liegt im Großen und Ganzen nicht in der Macht und/oder den finanziellen Möglichkeiten von NRK, Euch alles, was gesendet wird, für alle Zeit im Nett-TV zu geben. Aber es werden einige Gedanken gedacht und es passieren Dinge. Mehr dazu später.“ Ich bin gespannt.

(Transparenzhinweis: Ich kümmere mich beim NDR unter anderem um die Mediathek, das hier ist aber mein privates Blog.)

Abgeschnitten

Urheberrecht, E-Books und Zugangssperren.

„Kann es gerechtfertigt sein, Bürger einer Informationsgesellschaft vom Internet auszuschließen? Hätte man vor zwanzig Jahren in Erwägung gezogen, jemanden damit zu bestrafen, dass man ihm gleichzeitig Telefon, Fernseher, Radio und die Lektüre von Zeitungen verbietet?“

Till Kreutzer im Interview zu den Überlegungen des deutschen Buchhandels, Urheberrechtsverletzungen auch mit Sperrung des Internetzugangs zu bestrafen (gefunden bei Immateriblog)

Wikigoliath

Fehlwahrnehmungen im Fall Heilmann.

Auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen: Noch einmal zu Lutz Heilmann.

In Blogs und Onlinemedien tauchen immer wieder drei Annahmen auf: 1. Es geht um Heilmanns Stasi-Vergangenheit. 2. Die Wikipedia ist im Recht. 3. Heilmann hat wohl nicht begriffen, was der Unterschied zwischen wikipedia.de und de.wikipedia.org ist. (Variante 3 ist bei Bloggern und Twitterern zu lesen, während zahlreiche Medien selbst nicht begriffen haben, was der Unterschied ist.)

Dass Punkt 1 so nicht stimmt, habe ich gestern geschrieben. Ob Punkt 2 letztendlich stimmt, kann ich schwer beurteilen; der derzeitige juristische Zwischenstand ist allerdings klar. Die angegriffenen Punkte scheinen inzwischen aus dem Wikipedia-Eintrag, den viele so stolz verlinken, verschwunden zu sein. Und bei Punkt 3 habe ich ebenfalls meine Zweifel: Juristisches Vorgehen gegen die Domain „wikipedia.de“ ist ein Holzhammer, mit dem man die volle Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Wikipedianer bekommt, ohne die eigentliche Wikipedia, also de.wikipedia.org, zu gefährden. Wenn jemand also dringend möchte, dass Unwahrheiten in der deutschsprachigen Wikipedia korrigiert werden, kann er es entweder in den USA probieren (wo die Wikimedia Foundation ihren Sitz hat) — oder eben über den „wikipedia.de“-Trick in Deutschland.

(Die Außenwahrnehmung der Wikipedia ist immer noch die eines kleinen, stets unterstützenswerten Projekts, der David-gegen-Goliath-Reflexe auslöst. Wer sich die Zugriffszahlen anschaut, wer sich die Nutzung unter Multiplikatoren anschaut, sieht, dass die Wikipedia längst selbst ein Riese ist. Reflexe aus, selber nachdenken.)

Nachtrag: Nachdem die beanstandeten Inhalte jetzt aus dem Artikel verschwunden sind, hat Heilmann die juristische Auseinandersetzung für beendet erklärt.

Begründungslos

Berichte zum Fall Heilmann vs. Wikipedia.

Lutz Heilmann hat wikipedia.de sperren lassen — aber warum? Ein Blick auf die Berichterstattung bei Spiegel Online, heise online und Zoomer.de:

  • Spiegel Online garniert den Artikel mit viel Meinung („Servicewüste Deutschland“, „Negativ-PR“), schweigt aber zu den Hintergründen: „Da die Verbreitung der strittigen Passagen der einstweiligen Verfügung unterliegt, verzichtet SPIEGEL ONLINE auf eine detaillierte Widergabe.“ Stattdessen wird lang und breit über die Stasi-Vergangenheit Heilmanns berichtet. Wer Spiegel Online liest, muss also denken, dass es Heilmann beim Streit vor allem darum geht. Aber wieso ist dann die Spiegel-Berichterstattung zum selben Thema noch online?
  • Heise Online mutmaßt zumindest, dass es auch um etwas anderes geht: „In dem Streit geht es offenbar um in der Wikipedia zitierte Berichte, wonach die Immunität des Abgeordneten im Oktober aufgehoben worden sei, weil er einen Bekannten per SMS bedroht haben soll.“ Heilmanns Gegendarstellung zu einem Artikel in den Lübecker Nachrichten ist verlinkt. In einem Update am Ende kommt Heilmann selbst zu Wort.
  • Erstaunlich, aber wahr: Zoomer-Leser wissen mehr. Es gehe um den „Vorwurf, dass Heilmann an einem Online-Sex-Shop beteiligt sei“, dass Heilmann „einen Ex-Freund bedroht habe“, „dass er sein Jura-Studium abgebrochen habe“ und „dass er die Einsicht in seine Stasi-Akte verweigern würde“. Zoomer hat einfach mit Heilmann gesprochen.

(Warum Spiegel Online überhaupt über den Fall berichtet, wenn es nicht vorhat, die Hintergründe zu erklären, ist mir rätselhaft. Immerhin profitiert Wikimedia Deutschland.)

Nachtrag: Fortsetzung hier.

Internet ins Grundgesetz?

Politiker für Grundrecht auf Internetfreiheit.

„Politiker von SPD und Union planen eine Anpassung des Grundrechtskatalogs an die moderne Kommunikationsgesellschaft“ — wenn eine Vorabmeldung mit diesen Worten beginnt, dann habe ich erst einmal Angst. Unnötige Angst offenbar, denn der Tagesspiegel vermeldet weiter: Es soll „ein neues Grundrecht geben für die Freiheit im Internet“. Die das ankündigen, sind nicht irgendwer: Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sitzt schon 20 Jahre im Bundestag, ist Verwaltungsrichter a.D.; Ralf Göbel, CDU-Abgeordneter und ebenfalls Jurist, ist für die Union Obmann im Bundestags-Innenausschuss. Wenn die beiden in einer Zeitung einer Meinung sind, dann würde ich ernsthaft damit rechnen, dass das so passiert.

Wozu benötige ich ein „Grundrecht für die Freiheit im Internet“? Wiefelspütz: „Das Internet ist ein neuer Raum, die vierte Dimension, eine Welt in der Menschen leben, lieben, sich wirtschaftlich betätigen. Diese Welt sollte sich auch im Grundgesetz wiederfinden als ein Raum der Freiheit.“

Sekunde. Meine Meinungs(äußerungs)freiheit im Internet ist doch schon in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 Grundgesetz festgehalten. Meine Grundrecht, mich auch im Internet aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2. (Bevor Einwände kommen — beides in den dort ebenfalls erwähnten Schranken.) Pressefreiheit im Internet: Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, 1. Alternative. Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses im Internet: Artikel 4, Absatz 1, 3. Alternative. Mein Grundrecht, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen, steht gar nicht explizit im Grundgesetz, folgt aber laut Verfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht — Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1.

Bleibt also zum Beispiel die Frage der Kommunikation über Internet. Dabei geht es nicht nur um das noch zu selten diskutierte Thema Vorratsdatenspeicherung (auf Vorrat soll ja nach Kabinettsplänen gespeichert werden, wer wann wie lange mit wem kommuniziert hat). Sondern auch um die Inhalte der Kommunikation. Wenn meine E-Mails auf einem Webmail-Server meines Providers liegen — wie hoch sind die Anforderungen, um diese E-Mails beim Provider zu beschlagnahmen? Ist „nicht vollständig geklärt“, sagt das Bundesverfassungsgericht, könnte unter das Fernmeldegeheimnis fallen.

Bleibt also zum Beispiel die Frage nach den sagenumwobenen Online-Durchsuchungen. Ermittler können natürlich schon jetzt an eine Computer-Festplatte herankommen — wenn ein Richter eine Hausdurchsuchung anordnet. Für eine heimliche Online-Durchsuchung müssten die Hürden schon aus juristischen Gründen drastisch höher als bei einer offenkundigen Durchsuchung sein, von den sicherheitstechnischen Bauchschmerzen mal ganz abgesehen.

Dass all das einmal geklärt wird, wäre ja durchaus wünschenswert. Aber in der Vorabmeldung steht auch, was den CDU-Innenpolitiker Göbel motiviert, sich für einen „erweiterten Grundrechtsschutz in der virtuellen Welt“ einzusetzen. Das Grundrecht soll definiert werden, um darin per Online-Durchsuchung eingreifen zu können. Mit anderen, fieseren Worten: Den Grundrechtsschutz soll es nur im Austausch für seine Aushöhlung geben.

(Ähnliche Skepsis bei Markus Beckedahl. Mercedes Bunz meint: warum nicht.)