Eine klare Ansage

Große Koalition will Internet-Sperrlisten einführen.

Okay,

dann gibt es eben auch in Deutschland einen groß angelegten Online-Wahlkampf mit Tausenden, die sich mit Kreativität politisch engagieren und die sich mit technologischen Werkzeugen einmischen, dabei aber über Twitter und Blogs hinaus wirken. Den Startschuss haben soeben diejenigen gegeben, die trotz der Expertenkritik und der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit, trotz eines Rückgangs der Fallzahlen, trotz läppisch leichter Umgehbarkeit eine Infrastruktur errichten wollen, mit der deutsche Behörden das Internet filtern und Inhalte sperren statt rechtsstaatlich und in internationaler Kooperation gegen illegale Inhalte vorzugehen.

Der Auftakt ist die Petition, die noch knapp 24 Stunden lang mitgezeichnet werden kann, und die dann voraussichtlich die Online-Petition mit den bislang meisten Unterstützern ist. You ain’t seen nothing yet.

Wie die Wolken

Der legendäre SPD-Europawahlspot von 1989.

Dass hier ein gewisses Interesse an Wahlwerbespots vorhanden ist, dürften aufmerksame Leser schon bemerkt haben. Jetzt ist endlich ein SPD-Europawahlspot von 1989 bei YouTube aufgetaucht, nach dem ich alle paar Monate suche.

Barbara Sichtermann schrieb damals in der Zeit über ihn: „‚Wir wollen wie die Wolken sein‘, zirpen tanzende Teenies, machen es aber leider nicht wahr und zappeln weiter, anstatt zu entschweben.“ Ein anderer Zeit-Autor fasste das Geschehen wie folgt zusammen: „(J)ugendliche Sänger mit modischem Diskant“ „hampeln (…) auf einer Wiese“.

Der Spot und der Song haben sich aber nicht nur bei mir im Gedächtnis festgekrallt. Elke Wittich hat in einem Jungle-World-Artikel von 1998 noch „entfesselt-fröhliche Jungwähler“ in Erinnerung, allerdings klingt die Melodie nun wirklich nicht verdächtig nach „Give peace a chance“. Christoph Schurian von den Ruhrbaronen erinnert sich 20 Jahre später an „Horden junger Menschen, an viel Sonne, grünes Land, hüpfende blau-gelbe Weltkugeln, Hans-Jochen Vogel, Rau und Lafontaine“. Dem Spot wurde 1991 sogar ein Aufsatz in einem Fachbuch über Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik gewidmet.

Die Musik stammt vom Axel-F.-Komponisten Harold Faltermeyer; Ralf Zilligen, damals bei der SPD-Werbeagentur von Werner Butter, hat mitgetextet.

Aber genug der Worte — hier ist „Wir sind Europa“:


Direktlink zum Video

Auf Piratensuche

Hochburgen und Diaspora der Piratenpartei.

Kurz vor der Europawahl haben sich einige geschätzte Blogger dazu bekannt, diesmal für die Piratenpartei zu stimmen.

Ich habe mir ein paar Daten vom Bundeswahlleiter zu den Piratenpartei-Wählern angeschaut. Es gibt dort natürlich kein soziodemografisches Profil der einzelnen Wähler, aber ein paar Strukturdaten zu den 413 Wahlkreisen. In genau 64 Wahlkreisen erhielt die Piratenpartei 1,00 Prozent oder mehr, in 64 anderen Wahlkreisen erhielt sie weniger als 0,60 Prozent. Wie unterscheiden sich Piraten-Hochburgen und Piraten-Diaspora?

In den Piratenpartei-Hochburgen gibt es mehr junge Erwachsene, aber weniger Kinder.
Grafik zur Altersstruktur

In den Piratenpartei-Hochburgen liegt die Bevölkerungsdichte deutlich höher.
Grafik zur Bevölkerungsdichte

In den Piratenpartei-Hochburgen ist der Anteil der Abiturienten deutlich höher.
Grafik zum Bildungsstand

In den Piratenpartei-Hochburgen haben die Grünen auf sehr hohem Niveau ein bisschen verloren.
piraten-gruene

Und wo liegen die Hochburgen denn nun? Die Piratenpartei ist vor allem eine Partei der Universitätsstädte. (Ausnahmen bestätigen die Regel, beispielsweise Bayreuth und Passau mit einem extrem niedrigen Piratenpartei-Anteil und dafür vielen Stimmen für die Freien Wähler.)
Grafik zu den Wahlkreisen

(Bevor jemand fragt: Nein, diese Grafiken habe ich nicht noch einmal in einem anderen Format. Wer selbst mit den Zahlen arbeiten möchte, findet die Daten auf der Website des Bundeswahlleiters. Achtung, gleich folgt ein Trennstrich.)

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(Das war der Trennstrich zwischen Wahldatenanalyse und Meinung.)

Dass die Piratenpartei das Ergebnis als „beachtlichen Erfolg“ feiert, sei ihr gegönnt: Angesichts des kurzen Bestehens ist es beachtlich — aber eben für eine Splitterpartei. Sie hat die Fünfprozenthürde um 4,1 Prozentpunkte verfehlt und ist hinter den Freien Wählern, den Republikanern, der Tierschutzpartei und der Familien-Partei auf dem elften Platz gelandet. Bei einer Europawahl wohlgemerkt, also da, wo Wahlberechtige eher einmal zum Protestwähler werden.

Es ist eine Partei, deren Grundsatzprogramm sich allein auf Netzpolitik konzentriert, die aber selbst auf ihrem einzigen Gebiet weder organisatorisch noch inhaltlich prägend wirkt. Ausführliches dazu im Notizblog.

Sie ist zugleich eine von nur zwei Parteien (die andere ist die Rentnerpartei), die zur Europawahl keine einzige Bewerberin aufgestellt hat. Der Bundesvorstand besteht nur aus Männern; die Landesvorstände von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein bestehen, soweit ihre Websites aktuell sind, nur aus Männern. In Hessen gibt es eine Generalsekretärin, die übrigen Landesverbände sind noch nicht gegründet.

Dass keiner der Piratenpartei-Leute bei einem Fernsehinterview an der Frage scheitert, was ein Browser ist, ist klar. Wie das bei anderen Themen von A wie Afghanistan bis Z wie Zuwanderung aussieht, kann ich noch nicht beurteilen.

Digitale Bürgerrechte sind sehr wichtig, keine Frage — aber bitte nicht die Bedeutung des Themas mit der Bedeutung einer dazu gegründeten Ein-Themen-Partei verwechseln. Das kann böse enden.

Generation C64

Zweitverwertung bei Spiegel Classic?

Spiegel-Titelbild: Aufstand aus Digitalien - Generation C64

Wäre dieser Artikel nicht perfekt geeignet für einen Retweet Nachdruck auf Papier? Komplett mit weiteren Analysen, Gesprächen und natürlich einem halbseitigen Infokasten „Was ist eigentlich ein C64?“

(Obiges Titelbild ist leider nur eine Montage von Wortfeld mit einem Foto von Stephan Luckow unter CC-by-Lizenz.)