Die Calvinisten (1)

Fakeblogger und der Technosexuellen-Duft.

Die Kurzfassung für Schnellleser: Fünf Figuren werben derzeit mit Kommentarspam für ihre Blogs, auf denen sie für den neuen Calvin-Klein-Duft Reklame machen. Aber alles der Reihe nach — das hier ist eine kleine Koproduktion von Wortfeld und The Maastrix in zwei Teilen.

Die Schöpfung

Alina (22) richtet sich am Freitag ein Weblog ein, am Samstag meldet sie es bei Technorati an, am Dienstag schreibt sie den ersten Beitrag, am Sonntag registriert sie sich bei Jetzt.de, am Mittwoch bei YouTube. Dann lädt sie acht Videos von sich selbst hoch. Acht Videos ohne Ton, die alle nur Alina in Frankfurt zeigen. Ein verwirrtes Web-2.0-Powergirl? Vielleicht.

Acht Videos ohne Ton platziert am selben Tag auch Tomek (25) bei YouTube. Am Tag, an dem sich Alina ein Weblog eingerichtet hat, hat Tomek mit dem Bloggen begonnen. Drei Tage später eröffnet Mirjam (19) eine MySpace-Seite, genau zwölf Minuten nach Katharina (21). Drei Tage später ist auch Joe (18) bei MySpace, sechs Tage darauf auch Tomek. Joe hat übrigens fünf Tage nach Tomek ein eigenes Blog begonnen. Weitere fünf Tage später hat er 25 Fotos von sich selbst bei Flickr deponiert.

Die Mitspieler noch einmal alphabetisch: Alina, Joe, Katharina, Mirjam, Tomek (18-25). Schon nach wenigen Tagen lernen sich Alina und Tomek kennen, Mitte des Monats hat Mirjams gute Freundin Katharina die Weblogs von Alina und Tomek entdeckt, während Joe bei Tomek kommentiert. Ende des Monats kommentieren alle bei allen, Alina und Tomek sind zusammen, Joe und Miriam treffen sich, Katharina, Mirjam und Tomek gehen zusammen los und küssen sich zu dritt. Alles schön transparent, weil sie ja alles bloggen und miteinander verlinken.

Vergesst Opelblogger, Konsolenschiffe und Colakommunen. Diese fünf Freunde sind der neue Maßstab für Glaubwürdigkeitsprobleme.

Das Mantra

Alina hat gehört, dass in New York alle von der „technosexual generation“ sprechen. Tomek ist das Wort „technosexual“ im Schlaf eingefallen. Sein Blog ist unter technosexual.de und technosexuell.de zu finden. Nachdem Joe verstanden hat, dass es bei „technosexuell“ nicht um Techno-Musik geht, bloggt auch er darüber. Katharina interessiert sich sehr für diesen „neuen Style“. Und für Mirjam ist das „DIE neue Bewegung“, zu der auch sie gehört.

Mit einer weiteren Gemeinsamkeit machen die fünf das Lesen ihrer Texte zur Qual. Joe ist „in2 Hörspiele“ und „in2 Literatur“. Alina ist „in2 chocolate“, „in2 my guy“, „in2 soccer“. Tomek ist „in2 Weggehen“, „in2 Musik“ und natürlich „in2 Alina“. Und so weiter (Katharina „in2 friends“) und so fort (Mirjam „in2 Dreier-Date“).

Das Drehbuch

Coty, Inc. ist der Riese in der Parfumbranche; zum Duft-Portfolio gehören etwa Joop, Jil Sander, Cerruti, Davidoff und Adidas. Und eben Calvin Klein mit einem neuen Duft: Wer ein Blog hat, einen iPod hat und schon einmal eine SMS verschickt hat, gehört zur Zielgruppe. Weil diese jungen Leute alles abkürzen, heißt er „ck IN2U“. Ein bisschen Werbelyrik:

she only knows his screen name, but can see that he has a cute face.
he doesn’t know what she looks like, but he wants to know what she’s in2.
she likes how he blogs, her texts turn him on.
it’s intense.
for right now.

Die Reaktion im englischsprachigen Raum war weitgehend verheerend. Nicht gerade ein Wunder: Ein Duftkonzern mit zwei Milliarden Euro Umsatz probiert sein Warenzeichen „technosexual“ (USA 78/870.184, EU 5450069) gleich als Generation zu vermarkten, benutzt SMS-Sprache und biedert sich bei Bloggern an. Mehr als eine Video-Parodie und eine Knüwersche Blogonovela-Folge war da eigentlich nicht zu erwarten.

Die Kaskade

Coty bewirbt den Duft im Netz mit einem sozialen Netzwerk — whatareyouin2.com –, das natürlich Aufmerksamkeit auf den Duft lenken soll. Dazu muss Coty aber erst einmal Aufmerksamkeit auf das Netzwerk lenken, in Toronto etwa mittels interaktiver Anzeigetafeln, in Madrid über Guerilla-Marketing, außerdem natürlich in Second Life.

Und in Deutschland? Tomek und Alina verlinken whatareyouin2.com mehrmals („Auf diese Seite solltet ihr mal schauen“, „Schaut mal da“, „hier gibt’s Tickets, falls Interesse besteht…“). Joe ist „gespannt auf dieses neue in2u von CK“, und für Alina ist es „definitiv mein neuer Duft“.

Aufmerksamkeitkaskaden funktionieren aber natürlich nur, wenn jemand mitliest. Und spätestens hier wird es unappetitlich.

Mirjam schreibt Kommentare unter anderem bei Spießer Alfons, Medienrauschen, Netzausfall, MC Winkel, Jepblog, Telagon Sichelputzer, ntropie, den Fünf Filmfreunden, Robert Basic, Die Welt ist Scheiße, Psycho-Blog, GreenDoor, Schreihals, Löwenzahn, Gorgmorg.

Alina kommentiert unter anderem bei Mario Sixtus, Popkulturjunkie, an der Blogbar bei Don Alphonso, bei Nerdcore, MC Winkel, den Fünf Filmfreunden, Media-Ocean, den neuen Meinungsmachern, Butterplanet, EndeNeu, Guten Tag Realität, Maxi Freymann, Kopfhoch-Studio, Schreihals. Und Wortfeld.

Joe behelligt unter anderem Medienrauschen, MC Winkel, Nerdcore, Mario Sixtus, Netzpolitik.org, Spießer Alfons, die Fünf Filmfreunde, azrael74, Polyperspektive, Waschsalon, Guten Tag Realität, Sparrenblog, Skyspinner, Killefit, den Jungen von nebenan, EndeNeu, Bad Moon Rising, Ich lach mich krank, Wer ist eigentlich Paul?, Jetzt red I, Generation Dumm, Rettet das Mittagessen. Und Wortfeld.

Tomek ist unter anderem bei De:bug, Im Blickfeld, Löwenzahn und Teddykrieger unterwegs, Katharina bei Textspeier und Media Coffee.

Die Puppenspieler der fünf Calvinisten benutzen also zahlreiche deutschsprachige Blogs als Trittbrett. (Mario Sixtus verlangt übrigens für Werbung in Kommentarfeldern 1.500 Euro im Monat.)

Die Exit-Strategie

Bei Horst Schlämmers Werbeblog für Volkswagen war das Outing des Auftraggebers von vornherein eingeplant, auch wenn ohnehin klar war, dass hier eine Kunstfigur bloggt.

Und wie wappnen sich Kunde und Agentur im Fall der fünf falschen Freunden für den Fall, dass die fünf auffliegen? Vermutlich so: „War doch nur ein Spiel auf der Meta-Ebene.“

Tatsächlich sind Blogeinträge über Fakeblogs die dritte Säule neben den gegenseitigen Kontakten und dem Sinnieren über Technosexualität: Joe schreibt immer wieder über das Thema und fordert, es müsse „auf jeden Fall ersichtlich sein, ob kommerzielle Aspekte hinter einem Blog stehen“. Bei MySpace gibt er in der Rubrik Helden „unkäufliche Blogger!“ an. Mirjam schreibt über Marc, der auf eine falsche Bloggerin hereingefallen ist. Alina und Tomek streiten über das angebliche Angebot einer PR-Agentur, für Hinweise auf Parties oder andere Veranstaltungen in Tomeks Blogs zu bezahlen.

Zum Kontext gehört wahrscheinlich auch die Erinnerung an die cK-one-Kampagne von 1998: Auf Plakaten und Anzeigen waren neben den Fotos der Models E-Mail-Adressen wie tia@ckone.com angegeben. Wer Tia, Robert, Anna, Danny oder Kristy schrieb, landete in einem Verteiler sporadischer und scheinbar persönlicher E-Mails der Charaktere. Drei Jahre lang lief diese Mail-Soap, angeblich mit Hunderttausenden Lesern. Damals ging es subtil zu: „The one thing that the campaign never did was plug the fragrance.“

Von einer subtilen, Opt-In-Kampagne mit Models, die als Kunstfiguren erkennbar sind, ist es ein weiter Weg zu den fünf Calvinisten, die überall für ihre Blogs werben und dort für Calvin Kleins Technosexuellen-Parfüm Reklame machen. Ob die Versicherungspolice, schon vorsorglich über falsche Blogs zu schreiben, ausreicht, um die belästigten Blogger zu besänftigen?

Das Fazit

„Für die Markteinführung des neuen Dufts von Calvin Klein IN2U wurde d.k.d mit der Konzeption und Durchführung einer Online Marketing Kamapagne beauftragt“, steht seit neuestem auf der Referenzenliste* des Domaininhabers von technosexual.de. Auftraggeber: Coty GmbH, Mainz.
*Update: Der Text zu Coty ist zuerst erweitert, dann gelöscht worden. Er ist aber in der Ursprungsfassung als datierter Screenshot vorhanden.

Auf der Plusseite: Ein paar MySpace-Nutzer und ein paar harmlose Kommentatoren haben den Weg in die falschen Blogs gefunden. Ob sie sich aber auch bei whatareyouin2.com registriert haben? Die Enttarnung, also genau das hier, wird sicher die Besucherzahlen deutlich erhöhen. Wenn „any publicity is good publicity“ stimmt, schön.

Auf der Minusseite: Die 50 Blogger werden sich nicht über Kommentarspam für ein Netzwerk von Fakebloggern freuen. Die „technosexuelle Generation“ wirkt nach dieser Scharade noch mehr wie ein Marketingkonstrukt, in das sich gerade Blogger nicht pressen lassen wollen. Und viral — geht anders. Bad publicity is bad publicity is bad publicity.

Teil 2

Die gesammelten Links der Fakeblogger und bald auch eine Chronologie gibt es im zweiten Teil bei The Maastrix.

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