Halbrohkost

Umfragedaten im Detail veröffentlichen.

Wenn Medien Meinungsumfragen in Auftrag geben, bekommen sie von den entsprechenden Instituten mindestens sehr hässliche Tabellen-Dokumente, manchmal aber auch schon aufbereitete Grafiken oder Vorlagen dafür. Zeit Online bietet in seinem umfangreichen Themenspecial Projekt Links nicht nur eine Umfrage als Bildergalerie und eine Analyse der Ergebnisse, sondern als PDF-Datei auch die etwas roheren Tabellen aus dem Hause tns emnid. Die enthalten nicht nur die Fragen im Wortlaut, sondern auch viel genauere Auswertungen: Beispielsweise liegt der Anteil der Frauen, die den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr für eher falsch halten, fast 20 Prozentpunkte höher als derjenige der Männer. Wenn die Forscher danach fragen, ob jemand Mindestlöhne begrüßt oder ablehnt, dann ist ein Blick auf das Haushaltseinkommen nicht uninteressant. (Und siehe da: Es ist keineswegs so, dass die Begeisterung für Mindestlöhne mit steigendem Einkommen automatisch sinkt.)

Anders gesagt: eine sehr gute, nachahmenswerte Idee, die detaillierten Daten online zu veröffentlichen!

Video, nicht TV

Bewegtbild-Ästhetik im Netz.

Fernsehen machen kann lieber das Fernsehen machen — das ist eine ziemlich gute Devise für Online-Video. In Deutschland zeigt das vor allem die Zeit, beispielsweise mit der Serie über Video-Überwachung in Hamburg und Berlin (Teil 1 und Teil 2) von Stephan und Christoph Hartmann: erkennbar professionell, aber nicht unbedingt nach den Gesetzen des klassischen TV-Beitrags gedreht. (Gefunden via Surveillance Studies.)

Einen ähnlichen Ansatz wählt jetzt der Guardian, der sich „a distinct visual style and what’s hopefully a refreshing lack of TV news clichés“ vorgenommen hat, wie Neil McIntosh von Guardian Unlimited in seinem Blog schreibt. Wichtig sei, kein armseliger Abklatsch der Fernsehnachrichten zu werden: „We need to be able to do something that’s distinctively the Guardian, part of an ecosystem of web content that includes audio, text and photography, produced by our professionals and by our users.“ Ein Video-Beispiel dafür: Transportprobleme im überfluteten Tewkesbury, unterlegt mit klassischer Musik.

Während also ein Teil der Online-Video-Profis nach einer etwas anderen Ästhetik sucht, hat Jackson West bei NewTeeVee einmal gesammelt, was die Amateur-Ästhetik auf YouTube & Co. derzeit ausmacht. Die Vergleiche mit Cinéma vérité und Dogma sind streckenweise gewagt, aber spannend.

Selbstversüchtig

Die Zeit experimentiert.

Ich mache mir etwas Sorgen um die Journalistenkollegen vom Speersort: Vor einem Monat hat sich Tobias Hürter Epo spritzen lassen, um Wirkung und Verlockung am eigenen Leib zu spüren. Jetzt hat Bas Kast mit einem Magnetstimulator Teile seines Gehirns lahmlegen lassen, um an den inneren Savant heranzukommen. Am kommenden Donnerstag ist also mindestens mit Helmut Schmidt schwerelos im Parabelflug zu rechnen.

Nachtrag: Auch die TR ist im Experimentierfieber, vermeldet die Zeit.

Jetztterror

Klagelied eines Möchtegern-Zeitsouveräns.

Fing doch gut an: Briefe, die viel günstiger als Auslandsgespräche über Zeitzonen hinweg sausten, aufzusammeln bei passender Gelegenheit in jeder elektronischen Oase. Foren, in denen der Anwesende auf die Beiträge der Abwesenden antwortete und daraus ein gedehntes Gespräche entstand. Lagerstätten von Bildern, später auch Tönen, später bewegten Bildern, die auf vorbeispazierende Nutzer warteten. Weblogs. Der On-demand-Nutzer, der Zeitsouverän.

Es ging schon schief, als der Chat erfunden wurde.

Jetztterror — be here now. Mittlerweile fühlt es sich an, als sei E-Mail für die jüngste Nutzergeneration bloß papierloses Telefax. Eine spamverseuchte Schnittstelle zu denen, die das mit dem „instant“ nicht richtig hinbekommen. Und das waren für das untergehende Abendland doch bloß die Aufwärmübungen. Dann wäre da Twitter und seine Klone fürs Mikrobloggen im Present Continuous: What are you doing, genau jetzt? Der Facebook-Status ist ein weiterer Totmannknopf: Bewegt der Nutzer sich noch? Und nun zunehmend das: Video mit Halbwertzeit Null — gesendet wird live. Selbst wenn dabei fast ohne Konzept, fast ohne Licht und fast ohne kalte Getränke etwas ziemlich Amüsantes herauskommt: Hoffentlich ist das, was da gerade leise die Haustür hinter sich schließt, nicht der Traum vom Wenn’s-gerade-passt-Internet.

Doppelschlag

Neue Online-Looks für Zeit und Guardian.

Zeit-Online-Merkliste Zeit Online macht einen radikalen Schnitt — der Relaunch am Montag lässt zumindest auf der Startseite des Angebots kaum einen Stein auf dem anderen, wie das Vorabbild verrät. Hoffentlich gelingt es mit der neuen Ressort-Navigation und der Einteilung in linke Seiten- und rechte Hauptspalte, die vielen exzellenten Inhalte endlich einmal besser zugänglich zu machen.

Auffällig ist unter anderem die neue Merkliste: Wie bei der Herald Tribune können Nutzer erst einmal die Artikel einsammeln gehen und dann gebündelt lesen. Neu ist das auch in Deutschland nicht. Schon im Jahr 2000 gab es auf der Website der Financial Times Deutschland Kästchen vor den Artikeln und einen Link „Meine Artikel“. Bei FTD.de ist das Feature längst wieder verschwunden, dafür ist es etwa bei YouTube wieder aufgetaucht. Mal abwarten, ob die Zeit-Online-Leser auch solche Sammelleidenschaft besitzen.

(Schneller Nachtrag nach dem Relaunch: Der allererste Eindruck ist gut, auch wenn 796 Pixel für den Inhalt auf einem 1280-Pixel-Monitor eher schmal wirken. Die Ressorts sind, wie zu erwarten war, deutlich besser zugänglich. Allerdings habe ich den Verdacht, dass hier vergangene Navigierbarkeitsschwächen etwas überkompensiert werden.)

Guardian-Start- und Unterseiten Einen neuen Look hat auch die britische Zeitung Guardian ihrer Online-Startseite verpasst: Erstaunlicherweise erinnert das Logo von Guardian Unlimited weiterhin stärker an das Zeitungsdesign der Jahre 1988 bis 2005 als an das aktuelle. Online-Chefin Emily Bell erklärt, das neue Website-Design erlaube mehr Flexibilität und betone die visuellen Elemente. Leider soll der Umbau von Guardian Unlimited aber anderthalb Jahre dauern. Derzeit müssen die Nutzer mit einem wilden Stilmix leben: Ein Klick auf einen Startseiten-Artikel führt ins schmalere, anders gestaltete Politik-Ressort. Das Arts Blog ähnelt der Debattenplattform, sieht aber völlig anders aus als Roy Greenslades Medienblog. Und der Reiseteil sieht jetzt aus wie eine Mischung aus allem.