Deutschlands Bahnhofsschilder

Das neue Wegeleitsystem der Deutschen Bahn.

Wenn die Bahn ausgerechnet in meiner Stadt einen typografischen Versuchsballon startet und es nicht groß ankündigt, sondern einfach mal schaut, ob jemand was merkt, dann nehme ich dieses Geschenk natürlich gern an und puste die Staubschicht von diesem Blog! Es geht immerhin um die Gestaltung der 5.400 Personenbahnhöfe, die fürs Land so prägend ist wie gelbe Briefkästen und blaue Autobahnschilder in DIN-Typografie.

Im November 2023 ging es los an 20 Hamburger S-Bahn-Stationen. Als ohnehin das Liniennetz umgekrempelt wurde, tauchten plötzlich Schilder auf, die anders waren als das, was an Deutschlands Bahnhöfen sonst steht und hängt (anklicken, um auf größeren Bildschirmen zu zoomen):

Die drei Schilder sind mit gutem Grund ein bisschen unterschiedlich: An der S-Bahn-Haltestelle Barmbek mit zwei Ausgangsbereichen muss das Schild weniger Orientierung liefern als am Kategorie-1-Bahnhof Hamburg Hauptbahnhof, wo ankommende Reisende in alle möglichen Verkehrsmittel umsteigen können.

Denn um Orientierung geht es eigentlich, nicht bloß Bahnhofsnamen. Wer Wegeleitsysteme gestaltet, muss mit Tafeln und Farben, Symbolen, Markierungen, Nummerierungen, Pfeilen und Displays dafür sorgen, dass alle überall hin finden, nicht zuletzt: raus. So ein System bemerkt man daher oft nur, wenn es seinen Job nicht gut macht und man daran scheitert. (Menschen in Hamburg kennen inmitten des komplexen U- und S-Bahnhofs Jungfernstieg den Blumenladen in einem Tunnel, an dessen Schaufenster ein Schild KEINE AUSKUNFT steht.)

Eigentlich hat die Bahn ja schon eine andere Hausschriften-Familie – die ausgezeichnete DB Type von Erik Spiekermann und Christian Schwartz (2005). Dieser Schrift nutzt sie aber nur für ihr Unternehmen und für den Personen- und Güterverkehr, den sie anbietet. Seit den Bahnreformen ist die Infrastruktursparte (die heutige DB InfraGO) ja Gastgeberin für mehrere Verkehrsunternehmen, nicht nur für Konzerntöchter der Deutschen Bahn. Das hat auf den Bahnhöfen eben auch typografische Folgen.

Kleine Reise in die Vergangenheit

Vor dem Blick auf die Umgestaltung springen wir aber erst zurück ins Bundesbahn-Zeitalter: Ende der 1950er-Jahre begann sie damit, die Schilder von Bahnhof zu Bahnhof im Westen Deutschlands gleich zu gestalten – in schwarzen, geometrischen Großbuchstaben auf weißem Grund.

Albert-Jan Pool hat bei Flickr Schilderbilder gesammelt, auf denen diese Schrift im Einsatz ist – heute nennen viele sie Bahn-Futura oder Bahnhofs-Futura, auch wenn es sich nicht um die Futura handelt. Nicht nur für Hamburg gilt: So ganz ist sie bis heute nicht aus dem Stadtbild verschwunden.

In der DDR scheint es weniger einheitlich zugegangen zu sein, wenn ich mir Video-Aufnahmen von 1990 anschaue – mit Variationen auch innerhalb eines Bahnhofs. Am häufigsten sieht man Schilder in einer Schrift, die auf die Preußische Staatseisenbahn zurückgeht und daher auch in der Bundesrepublik Spuren hinterlassen hat.

Ab 1987 ging es bei der Bundesbahn im Westen weiter mit blau umrahmten Schildern mit Beschriftung in Helvetica (Entwurf von Benno Keysselitz). Laut Sammelband Design & Bahn war das Redesign-Projekt damals auf 16 Jahre (!) ausgelegt, eine ganze Langzeit-Kanzlerschaft also.

Und dann kam alles anders: Bundesbahn und Reichsbahn fusionierten 1994, und die Deutsche Bahn AG machte sich auf den Weg von der allumfassenden Staatsbahn zu einer Holding mit Tochterunternehmen.

1996 ließ die Bahn ein neues Wegeleitsystem entwerfen, Henning Krause entwickelte dafür die Schrift DB WLS, die bewusst nah an der Helvetica bleiben sollte. Diese Nähe ist auch gelungen – die Beschilderung auf blauem Grund sieht professionell aus, dafür aber auch etwas nüchtern-blutleer. Dass die Pfeile eine abgetrennte Spitze haben, ist schon der maximale Exzess.

Die Neugestaltung im Hamburg-Test

Damit also in die Gegenwart und Zukunft: Die neuen Schilder – weiterhin in weißer Schrift auf dunkelblauen Hintergrund – hat die Deutsche Bahn erst vor allem bei der Hamburger S-Bahn aufgehängt. Nach und nach wechselte die Beschilderung aber auch an anderen Stellen am Hauptbahnhof und am Dammtor.

Was ist denn überhaupt neu an den Schildern? Am augenfälligsten ist, dass die Ausgänge und Ausgangsbereiche jetzt Buchstaben bekommen haben, denen man folgen und die man kommunizieren kann – so wie es in den U-Bahnen von London und Paris lange üblich ist. (Der Jungfernstieg hat dagegen laut Tunnelplan-PDF 22 Ausgänge mit so hilfreichen Namen wie Ballindamm, Ballindamm/Alster, Alstertor/Ballindamm, Ballindamm/Bergstraße und Bergstraße. Eine umweglose Durchquerung direkt zum Ziel ist immer wieder ein Erfolgserlebnis.)

Neu ist aber auch die Schrift auf den Schildern und seit März 2024 auf bahnhof.de. Sie trägt dort den Namen Arrow (zwischenzeitlich hieß sie ganz minimalistisch Bf, so wie Bahnmenschen eben Bahnhöfe nennen). Leicht ist ihre Aufgabe nicht: Sie wird flüchtig gelesen, bei nicht immer optimaler Beleuchtung, womöglich im Umsteigestress, und die Arrow meistert all das hervorragend. Aber sie muss ja nicht nur lesbar sein, sie gestaltet auch die Bahnhöfe. Wacher, freundlicher, mit einer Prise Individualität – eine Schrift von heute, aber nicht so modisch, dass sie in fünf Jahren schon wieder passé wirkt.

Zum Werkzeugkasten eines Wegeleitsystems gehört natürlich noch mehr – von den Farben über das Raster, auf dem sich alles anordnet, bis hin zu den Piktogrammen etwa für Aufzüge und Toiletten, Flughäfen und Theater. Die elektronischen Abfahrt-Displays zeigen Zeiten und Ziele übrigens in der erwähnten anderen Hausschrift DB Type an – nicht komplett logisch, aber kann ja noch werden.

Fazit gut ein Jahr nach der ersten Sichtung: Ich freu mich immer noch über jedes neue Schild, das ich entdecke. Von mir aus kann das Design nach dem Hamburg-Test auch anderswo an den Start gehen, dann vermutlich nicht auf einen Schlag, sondern – Pardon! – Zug um Zug.

(Bonus Track: Auch die Hamburger Hochbahn testet die neue Typografie.)

Schotterflug

Bahn-Datenaffäre, Berliner Lecks und Text-Kuratoren.

Bahn-Chart mit Projektnamen
(Zusammenarbeit der Deutschen Bahn AG mit der Firma Network Deutschland nach Projektvolumen 1998 bis 2007, mit den entsprechenden Codenamen – zu finden im Bahn-Zwischenbericht zur Datenaffäre)

Mit etwas Abstand noch einmal zum Abmahnungsstreit netzpolitik.org/Deutsche Bahn:

Lernen kann man etwas über das Zuspielen von Dokumenten, zum Beispiel das Tempo. Am 26.1.2009 um 14.59 Uhr erhält der Bundestags-Verkehrsausschuss per Fax den Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix. Am 27.1. um 12.23 Uhr leitet das Ausschusssekretariat das Dokument per Fax weiter. Der handschriftliche Vermerk „o. Mitglieder“ bedeutet vermutlich, dass dieses Fax an die ordentlichen Mitglieder des Ausschusses gegangen ist. Und am 28.1. ist der Bericht schon in zwei Redaktionen gelandet, nämlich beim Tagesspiegel und beim Kölner Stadt-Anzeiger. (Beide Redaktionen glauben offenbar, die Information exklusiv zu haben: Sie veröffentlichen sie im Netz erst kurz vor Mitternacht und verweisen auf die Druckausgabe vom 29.1.)

Dass Dokumente beim Zuspielen einen Drall, einen Effet bekommen, wird beim Blick auf diese ersten Artikel zum Dix-Bericht klar: „Bahn ließ auch wegen Mehdorn-Steueranzeige ermitteln“ und „Noch ein Skandal: Die Revanche des Bahnchefs“. Beide Medien stürzen sich also auf einen Satz aus dem siebenseitigen Bericht: „Ein Mitarbeiter hatte unter einem falschen Namen Herrn Mehdorn eines Steuerdelikts bezichtigt und sich in einem Schreiben an mehrere Finanzbehörden gewandt.“ Beim Kölner Stadt-Anzeiger reagiert sogar Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach auf den Satz: Dieser Vorgang sei „unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen“, sagt Bosbach, übrigens Abgeordneter aus dem Verbreitungsgebiet des Kölner Stadt-Anzeigers.

Netzpolitik.org-Blogger Markus Beckedahl veröffentlicht das komplette Dokument am 31.1. (erst nach der Abmahnung hat er die Namen der Beteiligten abgekürzt und Funktionsbezeichnungen ganz weggelassen). Am selben Tag hat die Süddeutsche schon ausführlich aus dem Dokument zitiert und sich diesmal nicht nur auf „Projekt Uhu“, die Steueranzeige beschränkt.

Glücklicherweise geht es netzpolitik.org weniger um das persönliche Schicksal Mehdorns als um den Umgang mit Mitarbeiterdaten generell, das Memo ist sehr vorsichtig anmoderiert, ohne die Steueranzeige ins Zentrum zu stellen. Im Nachhinein zeigt sich, dass das Dix-Memo genau an dieser Stelle fehlerhaft ist: Es gab keine Anzeige unter falschem Namen gegen Mehdorn, sondern unter dem falschem Namen Hartmut Mehdorn. Die Bahn kann in ihrem Zwischenbericht zur Datenaffäre entsprechend laut klagen: „Die Berichterstattung [der Medien] zum Projekt Uhu ist falsch und irreführend.“

Es ist inzwischen keine große Kunst mehr, ein Dokument im Netz anonym so zu publizieren, dass es kaum mehr verschwindet. Wie es netzpolitik.org hier gemacht hat, ist deutlich sympathischer: Das Dokument bekommt quasi einen Kurator, der die Veröffentlichung auf sich nimmt und mindestens für die Echtheit (wenn schon nicht die Richtigkeit) mit seinem Ruf bürgt.

Die Aufregungs- und Solidarisierungsspirale und das Spiel David gegen Goliath hat schon Ralf Bendrath auf netzpolitik.org beschrieben. Sein Fazit liest sich aber wie eine deutliche Warnung vor Nachahmung: Nicht zuletzt aus politischen Gründen hat die Bahn den Streit schnell fallengelassen, und nur wenige Blogger sind so gut vernetzt wie netzpolitik.org.

Wer vor Gericht gewonnen hätte? So eine große Rolle spielt es nicht, denn beim nächsten Dokument kann alles anders aussehen. Ralf Bendrath hat zurecht angemerkt, dass es beim Veröffentlichen solcher Dokumente um konkrete inhaltliche Gründe im Einzelfall gehen sollte und nicht um den Weil-wir-es-können-Reflex. (Um so weniger verstehe ich seine Forderung, mit dem Spiegeln des Dokuments schon mal vorsorglich „persönliche Solidarität“ zu zeigen.) Ergänzend: Ruhig länger darüber nachdenken, wem die Veröffentlichung nützt. Und wenn sowohl Geld und Zeit für Rechtsstreitigkeiten als auch die exzellente Vernetzung fehlen — vielleicht lieber einen Kurator mit Rechtsabteilung im Hause wählen.