Westflügel

WAZ-Mediengruppe startet DerWesten.

Wer in letzter Zeit sowohl Kress Report, Medium Magazin, Spiegel Online, taz, Tagesspiegel, Handelsblatt, FAZ als auch Weblogs aus dem Weg gegangen ist, nur für den habe ich eine Neuigkeit: Die WAZ Mediengruppe hat DerWesten.de gestartet, ein regionales Onlineportal für die Menschheit zwischen Kranenburg und Marsberg und zwischen Isselburg und Burbach. Und damit die einzelnen Websites der Regionalzeitungen WAZ, NRZ, WR, WP und IKZ abgestellt.

Beim ersten Herumstöbern: eine erfreulich schmerzfreie Registrierung für alle möglichen Nutzeraktivitäten, ein Korrekturblog, das W-Team, viel eSport. Nutzergeneriertes Artikel-Geotagging und überhaupt viele Karten. Gut durchdachte Navigation. Das ist jetzt bei regionalen Tageszeitungen endlich einmal nicht mehr Online als Randaktivität in den Händen von Beauftragten.

Herausforderungen bleiben aber auch für die nächsten, die sich am Thema versuchen: beispielsweise beim Veranstaltungskalender, der sich — wie so häufig — eher wie eine überkomplexe Suchmaschine anfühlt und in diesem Fall die gesamte Bandbreite von Ruhrpott Punk Superbowl bis Tierärztlicher Notdienst Haltern abdeckt. Oder bei den Kindernachrichten, die nicht eben aussehen wie auf Kinder zugeschnitten.

Mehr bei onlinejournalismus.de und beim Pottblog.

Upgrade im Westen

Die Online-Pläne der WAZ-Gruppe.

WAZ 2.0? Eine der Urformen von location based services heißt: Lokalteil einer Regionalzeitung. Eigentlich müsste sie auch im Netz die Keimzelle von Communities und der Traum vieler Anzeigenkunden sein. Was viele Tageszeitungen stattdessen im Netz bieten, sind eingekaufte Nachrichten, ein paar Artikel aus der Papierausgabe und dazu ein Forum. Online als Randaktivität in den Händen von Beauftragten.

Dass das anders werden muss, hat die Spitze der WAZ-Mediengruppe nun offenbar eingesehen und eine Bloggerin zur Online-Chefredakteurin auserkoren. Die Reaktion unter den Bloggern und Podcastern beim gestrigen Stelldichein mit den WAZ-Granden war eine Mischung aus großer Freude für Katharina Borchert alias Lyssa und dem Gefühl, dass sie sich da einen ordentlichen Brocken vorgenommen hat. Wenn ihr tatsächlich gelingt, im Raum der Westdeutschen Allgemeinen, Neuen Ruhr Zeitung/Neuen Rhein Zeitung, Westfälischen Rundschau und Westfalenpost eine Kombination aus journalistischem Qualitätsangebot und Web-2.0-Plattform zu machen, dann liegt die Messlatte für alle übrigen Zeitungen — nicht nur die regionalen — künftig deutlich höher. (Ein mahnender Schwenzelismus: „Das Gegenteil von einfach heißt Portal“.)

Im taz-Blog Bildschirmtext zieht Philipp Dudek einen Zusammenhang zwischen der Online-Offensive und der Schließung von WAZ-Lokalredaktionen in Herten (65.000 Einwohner), Marl (90.000 Einwohner), Datteln (plus Olfen), Haltern, Oer-Erkenschwick und Waltrop (zwischen 30.000 und 40.000 Einwohner). Allerdings benennt Dudek den Zusammenhang nicht. Die Finanzanalysten der Deutschen Bank sind da offener: „We believe that the business is broken or, at the very least, is in the process of rusting away.“ Das beschriebene Business ist übrigens die Zeitungsbranche. Dass das in Deutschland nicht anders ist, zeigt ein Blick auf die IVW-Auflagenentwicklung der vergangenen zehn Jahre (und die ist noch nicht einmal nach Geburtsjahrgang der Leser sortiert).

Mehr zum Thema:
Heiko Hebig: Im Dialog mit der WAZ
Thomas Knüwer: Gestern bei Wazens
Jan Schmidt: Workshop in Essen
Matthias Kretschmer: WAZ goes Web 2.0 – so zumindest der Plan
Mario Sixtus: Waz für ne Idee! (aua!)
Felix Schwenzel: bodo holt lyssa aus dem abgefahrenen zug
Nicole Simon: Änderungen in kleinen oder großen Schritten

Nachtrag: Zudem Neues vom Haltungsturner: Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach wird beim PR-Netzwerk Edelman Director Online Conversations und CBO.

Heimdrucker-Zeitungen

Über G24, den Web-first-Grundsatz und OnRuhr.

Die britische Tageszeitung Guardian fügt den Formen elektronischen Papiers eine weitere hinzu: G24 soll eine im Viertelstundentakt aktualisierte Kurz-Zeitung zum Ausdrucken werden. Der Leser kann sich sein Blatt aus fünf Themenpaketen zusammenstellen und bekommt dann ein 8- bis 12-seitiges PDF-Dokument. Bislang gibt es nur eine Dummy-Titelseite (im Format 21 x 24,4 cm) zu sehen, der Starttermin wird mit „later in the summer“ angegeben. Für den Leser ist das Blatt dank eines Sponsors kostenlos.

G24-Dummy mit Kategorien Nachrichten, Ausland, Wirtschaft, Sport und Medien

Dabei will der Guardian viele Texte aus dem Online-Angebot in ein Print-Layout gießen und damit vor allem Pendler ansprechen. (Vermutlich werden allerdings die wenigsten G24-Ausgaben daheim auf dem eigenen teuren und langsamen Tintenstrahldrucker entstehen, sondern eher auf dem schnellen Laserdrucker im Büro kurz vor Feierabend.)

Erst vor zwei Wochen hat der Guardian offiziell die Parole „Web first“ ausgegeben — Artikel erscheinen online, bevor sie das im gedruckten Blatt tun. Das Fazit der Guardian-Onliner nach einer Woche ist sehr positiv, mittlerweile ist auch die Times dem Vorbild gefolgt. Allerdings bleiben weiterhin einige große, exklusive Geschichten reserviert für die Papierausgabe.

Dass der Guardian mutig in die digitale Zukunft geht, hat er zuletzt mit Comment is free gezeigt, einer Kombination von Meinungsartikeln, Leserkommentaren und Blog-Links. Und die 120-Millionen-Euro-Investition in neue Druckmaschinen für den Relaunch hat Alan Rusbridger bekanntermaßen lakonisch kommentiert: „They may be the last presses we ever own.“

Bildschirm mit OnRuhr-Logo Ganz ohne Druckmaschinen und ebenfalls mit E-Paper zum Ausdrucken will übrigens auch der frühere WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer seinem Ex-Arbeitsgeber Konkurrenz machen. OnRuhr soll einen Mantelteil und zunächst zwei Lokalteile haben und werbefinanziert kostenlos sein, meldet der Spiegel. Platzhirsch WAZ hält mit einer Online- und Blogoffensive dagegen.

Ein längerer Nachtrag: Ein Kommentator hat auf das sehr ähnliche Angebot 24 Horas der spanischen Tageszeitung El País verwiesen. Dort wird auf Knopfdruck ein derzeit 13-seitiges PDF-Dokument mit Artikeln aus dem Online-Angebot elpais.es erstellt, eine Seite davon mit Börsenkursen, Wetter und Cartoon. Dafür enthält jede zweite Seite eine Iberia-Anzeige.

Wer sich kostenlos anmeldet, hat die Wahl zwischen einer allgemeinen Ausgabe (Inland, Ausland, Wirtschaft, Sport) und Ausgaben nur mit Inlandsmeldungen, Auslandsmeldungen oder Wirtschaftsmeldungen. Für Zeitungsabonnenten ist das PDF-Dokument werbefrei. Leider sieht diese Automatikzeitung auch sehr computergeneriert und langweilig aus. (Mehr dazu auf Spanisch bei Periodista Digital — dort vermutet der erste Kommentator eine Verschwörung der Zeitung mit Drucker- und Tintenherstellern.)