Mehr Zugang

Jeff Jarvis auf der next09.

So viel Überraschendes hat Jeff Jarvis in seinem Eröffnungsvortrag der next09 gar nicht gesagt, wenn man ihm und seinen Seelenverwandten schon eine Weile zugehört hat. Seine Tour-Präsentation, in der er die Erkenntnisse aus „What Would Google Do?“ zusammenfasst, hat mehr Tiefe als die Powerpoint-Gliederung erahnen lässt, und Jarvis ist ein erfahrener, humorvoller Redner.

Im Gespräch mit dem Publikum kommt die Rede am Ende auf die Zukunft der Medien, und da ist Jarvis zumindest ein bisscher optimistischer als Clay Shirky. Er glaubt, er hofft, dass es eine Nachfrage nach Nachrichten geben wird, dass es ein Gemisch geben wird, in dem auch öffentlich mitfinanzierte Journalisten und Freiwillige ihre Rolle spielen.

Und in einem hat er absolut recht: Selbst wer nicht das Ende der Medien as we know it kommen sieht, sollte sich darum kümmern, dass die Chancen für öffentliche Kontrolle politischen Handelns wachsen. „Demand that government data is searchable and linkable“, sagt Jarvis. In die Praxis übersetzt heißt das aus meiner Sicht vernünftige Schnittstellen, offene Formate, viel mehr zugängliche Daten, Online-Sitzungsprotokolle und Sitzungs-Livestreams von allen möglichen öffentlichen Gremien — nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in Ländern und Kommunen. Wer die Forensoftware ächzen sieht, die der Bundestag als E-Petitionsplattform missbraucht, weiß: Leicht wird das nicht.

Mehr Jeff Jarvis:
Blog Buzzmachine
Podcast Guardian Media Talk USA
Artikel in der Huffington Post
Artikel im Guardian
Interview bei Spiegel Online
Interview bei WiWo.de
Video-Interview bei Zeit Online
Video-Interview bei TechCrunch

Ohne Poster

Winnenden: Medienkritik von fünf Opferfamilien.

In der Spiegel-Online-Meldung unter der Überschrift „Opferfamilien aus Winnenden verlangen Killerspiel-Verbot“ fehlt ein Aspekt aus dem offenen Brief der Familien von fünf getöteten Schülerinnen:

„Wir wollen, dass der Name des Amokläufers nicht mehr genannt und seine Bilder nicht mehr gezeigt werden. Am aktuellen Beispiel von Winnenden zeigt sich, dass die derzeitige Berichterstattung durch unsere Medien nicht dazu geeignet ist, zukünftige Gewalttaten zu verhindern. Auf nahezu jeder Titelseite finden wir Namen und Bild des Attentäters. Diese werden Einzug finden in unzählige Chatrooms und Internet-Foren. Eine Heroisierung des Täters ist die Folge. Bei Gewaltexzessen wie in Winnenden müssen die Medien dazu verpflichtet werden, den Täter zu anonymisieren. Dies ist eine zentrale Komponente zur Verhinderung von Nachahmungstaten.“

Ich weiß nicht, ob es nur ein technischer Fehler oder tatsächlich Absicht ist, aber der Spiegel sieht zumindest davon ab, das Titelbild der Ausgabe 12/2009 wie sonst üblich als 32-mal-42-Zentimeter-Poster auf seidenglänzendem Papier für 12,95 Euro anzubieten.

Spiegel 12/2009
„Die SPIEGEL-Titelbilder repräsentieren eine eigene Erzählkultur sowohl der Inhalte als auch der Darstellungsästhetik.“ (Täterfoto von Wortfeld verpixelt)

Den Namen des Täters anonym zu halten, halte ich allerdings für eine Utopie. Da sind erstens ausländische Medien, bei denen die volle Namensnennung der Standard ist und die nicht an deutsches Recht zu binden sind. Da ist zweitens das Internet, in dem viele eine Anonymisierung als Herausforderung ansehen und den Namen herausfinden und verbreiten würden. Und da ist drittens der Täter, der seine Heroisierung dann eben gründlicher etwa im Netz vorbereiten wird, wie schon bei anderen Amokläufen geschehen.

Nachtrag: Das taz-Blog Reptilienfonds hat es auch bemerkt, Spiegel Online hat den Artikel ergänzt.

Das Undenkbare

Clay Shirky über die Zukunft der Zeitungen.

„In Revolutionen kehrt sich die Wahrnehmung auf merkwürdige Weise um. Im Normalfall sieht man diejenigen, die lediglich die Welt um sie herum schildern, als Pragmatiker, während diejenigen mit märchenhaften Vorstellungen einer alternativen Zukunft als Radikale gelten. Die letzten Jahrzehnte waren allerdings nicht der Normalfall. Bei den Zeitungen waren es die Pragmatiker, die einfach aus dem Fenster schauten und bemerkten, dass die reale Welt zunehmend dem undenkbaren Szenario glich. Behandelt wurden diese Leute wie Irre. Wer dagegen Traumbilder vom Erfolg abgeschotteter Systeme (Walled Gardens) und begeisterter Micropayment-Nutzung malte, für die es keine reale Basis gab, wurde nicht als Scharlatan betrachtet, sondern als Retter.“

Clay Shirkys Essay über die Zukunft der Zeitungen hilft keinem Printmedienmenschen aus der Krise, der sich selbst als einen Printmedienmenschen sieht. Shirky ist nicht einmal besonders optimistisch, dass es für die gedruckte Zeitung bald ein funktionales Äquivalent geben wird, einen tröstenden Ersatz. So sei das eben in echten Revolutionen, schreibt er trocken: „Das alte Zeugs geht schneller kaputt als das neue Zeugs an die Stelle tritt.“ Unbedingt lesenswert.

Die Krise

Ein paar Reaktionen: Jeff Jarvis warnt, dass die Zeitungen nicht die letzte Branche sein werden, die es trifft. Cory Doctorow sieht Parallelen zu denen, die ihr Produkt mit  Rechtebeschränkungen und Anwälten schützen wollen. Tim O’Reilly meint, dass die — bislang — von Zeitungen erfüllten wichtigen Bedürfnisse nicht verschwinden und setzt auf neue Institutionen. Wer trotz Shirky noch an Micropayment glaubt, findet mehr dazu, auch von Shirky, im Freakonomics-Blog.

Stille Post

Von Slashdot zu Turi in vier Schritten.

Schritt eins:
Bei Slashdot stellt ein Nutzer die Frage, ob NBC bei der Übertragung der Olympia-Eröffnungsfeier die Reihenfolge der Mannschaften verändert hat. Zumindest im Online-Video sei die US-Mannschaft viel später zu sehen als nach der tatsächlichen Reihenfolge. Binnen einer Stunde haben Slashdot-Leser recherchiert (und in den Kommentaren geschrieben), dass die Online-Version durcheinandergeraten ist, die im Fernsehen gesendete Reihenfolge aber stimmt.

Schritt zwei:
Einzelne Blogger greifen den Slashdot-Artikel auf.

Schritt drei:
Spiegel Online schreibt am Rande eines Artikels über chinesische TV-Manipulationen auch über Vorwürfe gegen NBC: „Die Ankunft des amerikanischen Teams sei nach hinten geschnitten worden, um die Zuschauer am Bildschirm zu halten, behaupten Blogger im Internet.“

Schritt vier:
turi2.de beruft sich auf den Spiegel-Online-Autoren, der sich auf Blogger beruft, die sich auf Slashdot beziehen, und spitzt alles noch ein wenig zu: